Im heutigen Gastbeitrag von Dr. Sebastian Karnatz, mein Kollege bei der Bayerischen Schlösserverwaltung, geht es um ein herrliches Jugendprojekt auf der Cadolzburg: Jugend entwirft, Jugend kuratiert ein Burgmuseum mit, etwas überspitzt formuliert. So funktioniert Partizipation in der Kulturvermittlung – ein herzliches Dankeschön, Sebastian!
Für viele Kuratorinnen und Kuratoren im Kulturbetrieb haben Jugendprojekte in etwa den gleichen Charme wie regelmäßige Blog-Beiträge – sie machen Arbeit und was dabei letztendlich rauskommt, lässt sich auch kaum sagen.
Dass man mit solch einer Haltung weder der kulturellen Bildungsarbeit mit Jugendlichen noch dem Blog als Medium der musealen Vermittlungsarbeit gerecht wird, versteht sich hier (in diesem Blog!) sicherlich von selbst.
Dabei liegen die Chancen von Jugendprojekten klar auf der Hand: Sie tragen zur Diversifizierung der Besucherschichten bei, sie helfen einem, Altbekanntes mal aus einer anderen Perspektive zu sehen, und sie sind nicht zuletzt auch eine enorme Bereicherung des eigenen Arbeitsalltags.
Ich möchte im Folgenden von einem Projekt berichten, das im Rahmen der Arbeit an einem Museumskonzept für die fränkische Cadolzburg von den Kuratoren der Bayerischen Schlösserverwaltung (meiner Kollegin Dr. Uta Piereth und mir) in Zusammenarbeit mit der Jugendbauhütte Regensburg durchgeführt wurde und im nächsten Jahr seinen Abschluss findet.
Die Startvoraussetzungen für ein derartiges Projekt sind bei der Cadolzburg zugebenermaßen speziell. Die einst mächtige Hohenzollernburg – Stammsitz der Familie im späten Mittelalter, bevor sich der Schwerpunkt der Herrschaft nach Brandenburg verlagerte – ging 1945 weitgehend in Flammen auf. Ab der Höhe des zweiten Obergeschosses erhielt der Bau gleichsam unheilbare Wunden. Als temporäre Sicherungsmaßnahmen wurde die Burg über Jahrzehnte hinweg immer wieder mit Betonkernen und Stahlankern versehen, um wenigstens die Ruine halten zu können. Diese Situation bringt natürlich viele Hemmnisse, aber gleichzeitig auch viele Chancen mit sich.
Eine neue-alte Burg!
Seit den 1980er Jahren besitzt die Schlösserverwaltung den Auftrag, die Burg wieder aufzubauen. Vor gut zehn Jahren wurde die Sanierungsmaßnahme erstmalig zu einem Abschluss gebracht. Die Burg präsentiert sich von außen wieder als geschlossene Einheit, im Inneren wurde nur ein Teil der Burg im sog. Alten Schloss wieder verkehrssicher gemacht. Das Neue Schloss hingegen bietet sich als eindrucksvolle Halle ohne Zwischeneinteilung (auch dies ein Werk des Brandes) als Mahnmal der Zerstörung dar.
2012 wurde der Startschuss zu einem weiteren wichtigen Vollendungsschritt gegeben. Das Alte Schloss soll auf vier Ebenen den Besuchern zugänglich gemacht und zu einem Burg-Erlebnismuseum mit Schwerpunkt auf der Vermittlung der Geschichte der Hohenzollern in Franken im Spätmittelalter ausgebaut werden.
Von Anfang an war klar, dass es sich fast zwangsweise um ein besonderes Museum handeln muss. Es sind so gut wie keine Originalobjekte aus der Burg mehr vorhanden. Mit spärlichen Ankäufen lässt sich zwar einiges an Inhalt visualisieren, ein „echtes“ kunsthistorisches Museum wird so allerdings aus der Cadolzburg nicht. Vielmehr wollen wir die Chance nutzen und mittels nachgebauter Objekte, Hands-On-Stationen, Duftmodulen und etlichem mehr das Spätmittelalter im spezifischen Kontext der Hohenzollernfürsten erlebbar machen.
Deswegen war es für uns bereits im Vorhinein klar, dass man die Vorbereitungs- und Ausbauzeit nicht nur zur Akquise von Objekten, Nachbauten etc. nutzen sollte, sondern auch für sinnvolle Projekte, die ihrerseits wiederum zu neuen Objekten für das Museum führen können.
Die Zusammenarbeit mit der Jugendbauhütte – ein Glücksfall
So war es regelrecht ein Glücksfall, dass wir Ende des Jahres 2012 auf Christoph Bücker, den Leiter der Jugendbauhütte Regensburg, trafen. Die Jugendbauhütten wurden von der Stiftung Denkmalschutz ins Leben gerufen und sind in der Trägerschaft der Internationalen Jugendgemeinschaftsdienst e.V. (ijgd). Sie gelten als die Anlaufstelle für ein “Freiwilliges Soziales Jahr in der Denkmalpflege“.
Dabei sammeln die Jugendlichen ein Jahr an unterschiedlichsten Einrichtungen – vom Labor für Dendrochronologie (Bestimmung des Alters von Holz) bis hin zu großen kulturgeschichtlichen Museen – Erfahrungen im weiten Feld der Pflege und Präsentation von Kultur- und Kunstgütern.
Von Beginn an zählte auch das Restaurierungszentrum der Bayerischen Schlösserverwaltung zu den Einsatzstellen der Jugendbauhütte, so dass ein gemeinsamer Anknüpfungspunkt bereits gegeben war. Begeistert von der Projektarbeit der Jugendlichen, die im Rahmen von gemeinsamen Seminarwochen durchgeführt wird, entschlossen wir uns, selbst ein Projekt auf der Cadolzburg gemeinsam mit der Jugendbauhütte anzugreifen.
Schnell war die Idee geboren, in der herrschaftlichen Burgkapelle im zweiten Obergeschoss des Alten Schlosses ein gemeinsam angefertigtes Glasfenster auszustellen. Schon Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Kapelle in Erinnerung an die „große Zeit“ der Cadolzburg mit einem an spätmittelalterliche Glaskunst erinnernden Fenster ausgestattet. Damals wurde zu Ehren eines Besuchs Kaiser Wilhelms II. seine Urahnin Elisabeth, die Frau des ersten zollerschen Kurfürsten Friedrich (Kurfürst ab 1415), auf dem Fenster dargestellt.
Uns war klar, dass ein 2014/15 entworfenes Fenster sich kaum so unreflektiert der Geschichte und ihrer Formen bedienen kann, wie dies noch vor gut 100 Jahren der Fall war. Was Christoph Bücker und uns vorschwebte, war ein Fenster, das zwar einerseits handwerklich die zur Verfügung stehenden Mittel des Spätmittelalters – also mit Ausnahmen nur farbiges Glas, Bleistege und Zeichnungen in Schwarzlot und Silbergelb – verwenden, andererseits aber in der Komposition modern (also eigentlich nicht-figürlich) sein sollte.
Eine Jury als Zeichen der Anerkennung
Ein allererstes Einführungsseminar Anfang September 2014 mit Besuch der Cadolzburg und einer ersten Annäherung an den Umgang mit dem Werkstoff Glas durch Annika Esser, die bei der Firma Rothkegel für Glasmalerei zuständig ist und einst selbst durch ein FSJ in der Denkmalpflege auf den Geschmack kam, sollte die Jugendlichen von der Aufgabe, ein Fenster für die Cadolzburg zu erschaffen, begeistern. Das Ergebnis des Seminars übertraf unsere kühnsten Träume.
Die über 20 Jugendlichen waren Feuer und Flamme für die Seminaraufgabe. Jeder von ihnen sollte in den nächsten Wochen einen großen Entwurf – 1 mal 2 Meter – für das Glasfenster anfertigen und sich gut zwei Monate später einer Jury stellen. Dass die Jury mit Dr. Wolfgang Illert, dem Geschäftsführer der Stiftung Denkmalschutz, Mathias Pfeil, dem Generalkonservator der Bayerischen Landesdenkmalpflege, Dr. Uta Piereth und Jürgen Bauer, den Verantwortlichen bei der Schlösserverwaltung, und Edith von Weitzel-Mudersbach, der Vertreterin der Gemeinde Cadolzburg, hochkarätig besetzt sein sollte, hemmte die Jugendlichen keineswegs. Im Gegenteil: Es zeigte ihnen, welch große Wertschätzung ihrer Arbeit entgegengebracht schon im Vorfeld wurde.
Tatsächlich entstanden in diesen zwei Monaten zwischen den „normalen“ Arbeiten in ihren jeweiligen Betrieben unter kundiger Anleitung der Künstlerin Olga Merk 22 hervorragende Entwürfe, von denen jeder einzelne so gut war, dass er ausführungstauglich gewesen wäre.
Am 31.10.2014 war es dann so weit: Als krönenden Abschluss einer Seminarwoche im Bauarchiv in Thierhaupten stellten die Jugendlichen ihre Entwürfe der Jury vor. Schon bei dieser kurzen Runde – jede/r der TeilnehmerInnen hatte fünf Minuten Zeit – wurden zwei Dinge klar: Jede(-r) hatte Spaß an der Aufgabe und hat sich ihr voll und ganz hingegeben; jede(-r) hätte es verdient gehabt zu gewinnen.
Eine schwierige Entscheidung
Umso schwieriger war die Entscheidung für die Jury. Während Christoph Bücker, die Verantwortlichen in Thierhaupten und ich als Organisatoren die stete Kaffeeversorgung der wichtigen Damen und Herren sicherstellten, diskutierte die Jury fast zwei Stunden über die Entwürfe. Einer nach dem anderen wurde abgehängt und umgedreht, so dass aus der einst rappelvollen Galerie mit 22 Entwürfen schlussendlich nur noch zwei übrig blieben.
Der 18jährige Jakob Dillinger, derzeit als Freiwilliger bei der Firma Arcteam in Regensburg, entwarf ein Fenster, das sich eigentlich in vielen Details von den Vorgaben löst. Die ebenfalls 18jährige Milena Brandl – praktischerweise Freiwillige bei der Firma Rothkegel in Würzburg – hingegen hielt sich mit ihren roten und blauen Farbbögen, die sich subtil überlagern und so ein suggestives architektonisches Formenspiel ergeben, an die Vorgabe, einen weitgehend abstrakten Entwurf auszuführen.
Dass sich die Jury nach langer Beratung vor den Bilder trotzdem für Jakobs Entwurf entschieden hat, liegt sicherlich an der überzeugenden ästhetischen Wucht und an der inhaltlichen Raffinesse seiner Komposition, die semantisch von unten nach oben zu lesen ist. Ausgangspunkt des Geschehens ist die deutlich erkennbare bildliche Abbreviatur der Cadolzburg. Aus ihr erwachsen Flammen – unzweifelhaft eine Anspielung auf jenen schicksalhaften Brand im Jahr 1945. Allerdings entsteht aus den Flammen in luftiger Höhe etwas Neues, das von zarten Blautönen umspielt wird: ein Gewölbe, wie es einst auch in der Burg zu sehen war. Dass das Gewölbe etwas schief daherkommt, ist ebenfalls alles andere als ein Zufall, ist doch in den 90er Jahren der Wiederaufbau eines gewölbten Repräsentationsraumes nicht ganz korrekt gelaufen und hat bis heute eine etwas gewöhnungsbedürftige Gewölbekonstruktion hinterlassen. Jakobs Entwurf ist also nicht nur ästhetisch gelungen, er ist auch ein ironisches Spiel mit den Topoi Wiederaufbau und Zerstörung.
Es lohnt!
Im kommenden Jahr werden die Jugendlichen gemeinsam unter kundiger Anleitung der Fachmänner und -frauen der Glasfirma Rothkegel das Fenster selbst herstellen. Es wird 2017 den ihm gebührenden Ehrenplatz in der Kapelle einnehmen – dort wo einst das Fenster für Kaiser Wilhelm II. eingebaut wurde.
Am Ende des über ein Jahr dauernden Prozesses wird also ein einzigartiges Fenster für die Cadolzburg entstanden sein, das von der tiefen Beschäftigung mit Geschichte und Zukunft der Burg zeugen wird. Allein dafür hat sich das Jugendprojekt ohne Wenn und Aber gelohnt. So ist es schlussendlich mit dem Jugendprojekt wie mit einer anständigen Vermittlungsstruktur im Multimediabereich: Ob wirklich neue Besucherschichten damit angesprochen werden, kann als Frage höchstens eine statistische Auswertung beantworten. Dass man auf dem Weg dorthin selbst einiges lernt und Menschen dazu bringt, neu über alte Fragestellungen nachzudenken, ist allerdings in solch statistischen Größen nicht messbar und – von unbezahlbarem Wert.
Sebastian, toll! Ich stimme dir darin – unbezahlbarem Wert – zu und freue mich sehr auf 2017! Was sagt ihr zum partizipatorischen Ansatz?
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Lieber Sebastian Karnatz, liebe Tanja,
dem Lob von Anke können wir uns nur anschließen. Museen tun gut daran, wenn sie Jugendliche stärker miteinbeziehen – wiewohl partizipative Projekte mittlerweile (Gott sei Dank) von der überwiegenden Mehrheit mitgedacht bzw. konzipiert werden.
Auch im Joanneum können wir der Arbeit mit Jugendlichen durch interne Veränderungen endlich mehr Aufmerksamkeit schenken, als in den Jahren zuvor. Das freut uns! Als gutes Beispiel kann ich hier das Kunsthaus Graz erwähnen: Mit dem „Friendly Alien“ wächst auch das junge Publikum. Viele, die beim ersten „Wirbel in der Bubble“ (http://bit.ly/1z69Z7Y) noch kleine Kinder waren, sind alle Jahre dabei geblieben. Damit das auch weiterhin möglich ist, haben wir beim Wirbel nun sukzessive das Angebot hinsichtlich älterer Kinder und Jugendliche erweitert. Heuer wird es erstmals einen Workshop für 14 bis 16 Jährige geben. Weiters arbeiten wir an einer eigenen Jugendschiene, die über das Jahr verteilt Kontinuität für dieses junge Publikum bringen soll! Für Studierende bieten wir ja schon lange eigene Programme und nun wollen wir endlich die Lücke für die 14 bis 18 Jährigen schließen. Derzeit läuft übrigens ein Videowettbewerb zum Thema „Schaden begrenzen!“ (www.museumsblog.at/Schadensbegreunzung) im Rahmen der Ausstellung „Damage Control“. Im Jänner gibt es dann einen eigenen Workshop zum Thema Videoschnitt.
Liebe Grüße
Christoph
Liebe Anke von Heyl,
besten Dank für das Lob! Es ist immer schön zu hören, wenn etwas von den Projekten ankommt. Und schön ist natürlich auch, dass der Aufwand gesehen wird, der in der Tat immer mit solchen Projekten verbunden ist.
Ansonsten gelobe ich das nächste Mal Besserung, was die Länge betrifft, oder mache daraus zwei Blogs ;-)
Herzliche Grüße,
Sebastian Karnatz
Lieber Sebastian,
dein Beitrag ist ganz hervorragend! Eure Initiative ist richtig und gut. Ich wette mit der Cadolzburg identifizieren sich jetzt nicht nur die 22 Jugendlichen. Ihnen gebührt großer Dank, dass sie mitgemacht haben. Ich bin schon sehr gespannt, wie das Erlebnismuseum 2017 ausschaut und angenommen wird.
Weiter so und hoffentlich lesen wir dich hier noch einmal. Dann machen wir eine kleine Serie, denn die Themen verdienen das!
Herzlich,
Tanja
Lieber Sebastian Karnatz, liebe Tanja,
nachdem ich mich ein bisschen durchkämpfen musste durch den sehr dichten Text (der Inhalt reicht eigentlich für zwei Beiträge!), möchte ich das Projekt hier gerne mit dem verdienten Lob bedenken.
Ich finde den Ansatz wunderbar, weil er Jugendlichen eine besondere Wertschätzung entgegen bringt. Eine Haltung, die für mich wesentlich dazu beiträgt, dass Museen und andere Kulturorte von diesen als Orte wahrgenommen werden, an denen sie willkommen sind. Und die auch Perspektiven für den eigenen Lebensentwurf enthalten.
Auch die Zusammenarbeit mit professionellen Handwerksbetrieben finde ich super. So entstand eine Arbeit, die mehr sein kann als die üblichen Kreativ-Arbeiten in der Museumspädagogik.
Aus eigenem Erleben weiß ich, wie hoch der organisatorische Aufwand solcher Projekte ist. Aber man hat sicher noch lange etwas davon. Und sicher sind die beteiligten Jugendlichen von jetzt an ganz anders mit der Cadolzburg verbunden.
Tanja, ich find es klasse, dass du solche Gastbeiträge für dein Blog an Land ziehst. So wird es immer mehr zum Verteilerknoten. Daumen hoch dafür!
Herzliche Grüße und ein feines Wochenende
Anke
Liebe Anke,
das wäre ein Wunsch von mir, dass das so kommt – das Blog als Verteilerknoten für Diskussionen #Traum. Mich hat der Beitrag von den Socken gerissen. Klar ist er lang, in meinen Augen passt es so. Ob es ein nächstes Mal geben wird, weiß ich nicht, hoffe es aber, denn Sebastian schreibt wunderbar!
Danke für deinen Kommentar hier, ein Beitrag, der mir wichtig ist!
Herzlich,
Tanja