Digitalisierung, Bloggen und Leselust in der Münchner Stadtbibliothek

Die Münchner Stadtbibliothek stellt sich der Digitalisierung der Gesellschaft: Die Verzahnung von analog-digitaler Leselust mit Bloggen, Lernplattform und Social Web treibt das Team um Katrin Schuster mit großer Leidenschaft voran. Sie eröffnen für den Bibliotheksnutzer und für die eigene Arbeit neue Erfahrungshorizonte. Die Münchner Stadtbibliothek will berühren und die Leselust stärken. Wie genau sie das machen, erzählt uns Katrin im heutigen Montagsinterview.

Alte Dame am Tablet in der Münchner Stadtbibliothek in Sendling. Visualisiert die Digitialisierung als Chance für Bibliotheken.

Digitale und analoge Lektüre und Weiterbildung gehören in der Münchner Stadtbibliothek untrennbar zusammen – für Jung wie Alt. (Foto: Eva Jünger/Münchner Stadtbibliothek). Digitalisierung fördert die Leselust.

Liebe Katrin,
wir haben uns auf dem AfterWorkCamp der Kulturkonsorten 2016 kennengelernt und kurz über das „junge“ Blog der Münchner Stadtbibliothek gesprochen. Jetzt habt ihr euer einjähriges Blogjubiläum. Was ihr im Social Web bewegt habt und noch bewegt ist der Hammer – so viel Einsatz, Esprit und Leidenschaft wünschte ich mir im Kultursektor noch viel mehr. Eure digitale Taten:

  1. Blogparade „Public!“
  2. ENTER! Digitale Woche 2017 (18.5.-24.5.17)
  3. Foto-Wettbewerb: #MeinOrtimWeb
  4. E-Learning-Plattform

Für die Podiumsdiskussion über „Bloggen in München“ am 24. Mai 2017 habt ihr mich als Kulturbloggerin und Gründungsmitglied des Bloggerclubs e. V. eingeladen – bin schon hibbelig und freue mich darauf. Jetzt folgt mein Fragenfeuerwerk – fiel mir schon schwer, mich auf zehn elf Fragen (!) zu beschränken.

Nachgefragt bei Katrin Schuster zur Digitalisierung & Leselust der Münchner Stadtbibliothek

1. Stell dich doch bitte kurz vor: Wer bist du und was ist dein beruflicher Hintergrund? Seit wann bist du bei der Münchner Stadtbibliothek und was ist dein Aufgabengebiet? Hattest du schon mit Blogs privat oder beruflich zu tun?

Nach meinem Studium (Germanistik, Kommunikations- und Theaterwissenschaften, mit Betonung auf GERMANISTIK, danach Theater-, Film- und Fernsehkritik) habe ich ungefähr 10 Jahre als freie Journalistin gearbeitet: eine wahnsinnig schöne, aber leider ab und an auch harte Zeit. Schon damals habe ich neben Literaturkritiken immer auch Medienkritiken geschrieben. Einer meiner ersten Texte über „irgendwas mit Internet“ (das muss ungefähr im Jahr 2005 gewesen sein) handelte von Blogs… Zugleich habe ich immer eigene Projekte gemacht, von 2008 bis 2015 habe ich z.B. zusammen mit der ganz wundervollen Grafikerin Tanja Kischel ein Literaturblatt für München herausgegeben, den KLAPPENTEXT . Und als ich kapiert habe, dass WordPress eine gut handhabbare Sache ist, gab es bald mein journalistisches Blog(das aktuell leider ziemlich brach liegt).

Parallel habe ich immer auch viel Juryarbeit gemacht (seit zehn Jahren bin ich z.B. Mitglied der Jury des Grimmepreises), und dann kam der Kontakt zum Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst (heute: für Bildung und Kultur, Wissenschaft und Kunst) zustande – so saß ich ab 2009 in der Bayerischen Staatsbibliothek und konzipierte und betreute mit den dortigen Kollegen das Literaturportal Bayern und später in diesem Rahmen auch ‚meine‘ erste App: „Dichterwege – Auf den Spuren von Jean Paul“.

Dann suchte die Münchner Stadtbibliothek: eine Redakteurin für Text, Website und Social Media. Das war mein Job, und zum Glück habe ich ihn auch bekommen. Angefangen habe ich im Januar 2015. Konkret bin ich dort inhaltlich verantwortlich einerseits für unsere Drucksachen (Imageflyer, Programme, Plakate, Jahresbericht etc.), andererseits für unsere digitale Kommunikation. Als ich angefangen habe, waren das: Website und Facebook. Mittlerweile heißt das: Website, Facebook, Blog, Twitter, Instagram (und in Klammern: Pinterest). Ich habe, wenn ich das irgendwie zusammenfassen sollte, jedes Mal Jobs gemacht, die es vorher so nicht gab. Das bedeutet, wie Du Dir vorstellen kannst, eine unglaubliche Freiheit und Chance – und diese Freiheit, das muss hier unbedingt betont werden, wird mir in der Münchner Stadtbibliothek auch vollauf zugestanden; es herrscht da ein großes gegenseitiges Vertrauen, das ich nicht hoch genug schätzen kann.

2. Am 23.5.2016 ging das Blog der Münchner Stadtbibliothek online. Warum gibt es das Blog? Was wollt ihr euren digitalen Lesern vermitteln und was können diese in Zukunft von euch erwarten? Können sie gar mitgestalten?

Mir war von Anfang an klar, dass es auch in der Münchner Stadtbibliothek unbedingt ein Blog geben sollte, weil in dieser Institution so viel Wissen, so viel Leben und so viel Vielfalt – kurz: so viele Geschichten – stecken, dass die Welt davon erfahren muss. Und ein bisschen Eigennutz stand bestimmt auch dahinter: Ich schreibe und redigiere einfach wahnsinnig gerne …

Das Blog ist sehr vielfältig, und genau das wollen wir unseren Leserinnen und Lesern auch vermitteln: dass wir in vielerlei Hinsicht die richtige Ansprechpartnerin für sie sind. Deshalb beantworten wir Fragen (Rubrik #FAQ); deshalb geben wir Buchtipps (Review), auch im Podcast-Format (BookTalk); deshalb denken wir öffentlich über die Rolle und Funktion von öffentlichen Bibliotheken in der Gegenwart und Zukunft nach (Rubrik „Zum Thema“, darin auch die erwähnte Blogparade „Public!“); deshalb empfehlen wir Bücher oder Filme zu bestimmten Themen („Auslese“). Wir möchten uns, kurz gesagt, auch im digitalen Raum als die „Content-Kuratoren“ etablieren, die wir analog längst sind.

Was man in Zukunft von uns erwarten kann, ist eine schwierige Frage, denn ein Jahr ist eine verdammt kurze Zeit, um Prognosen anzustellen. Andauernd gibt es neue Ideen, manche verwerfen wir, andere verfolgen wir, manche beweisen sich, manche scheitern. Auf eine gewisse Weise sind wir immer noch in der Beta-Phase. Aber selbstredend kann jede Leserin und jeder Leser bei uns mitgestalten. Schon ein einziger Kommentar verändert das Blog – das ist schließlich das Faszinierende an Social Media! Ideen, Themenvorschläge oder andere Anmerkungen von Leserinnen und Lesern sind jederzeit willkommen, allerdings kommt das meist nicht von alleine.

Du weißt so gut wie ich, dass der Aufbau einer Community, die diesen Namen auch verdient, nicht von heute auf morgen gelingt, und da liegt noch ein gewisser Weg vor uns. Oder anders gesagt: Blogger- bzw. Influencer-Relations kommen, wenn ich das realistisch einschätze, frühestens 2018 in der Digitalen Strategie vor. Oder noch einmal anders gesagt: Da ich selbst zehn Jahre lang frei gearbeitet habe, bin ich nicht gewillt, Texte zu publizieren, für die wir aktuell schlichtweg nichts bezahlen können.

3. Ihr bloggt jetzt schon ein Jahr. Wie kommen eure Geschichten im Blog bei den Lesern an? Werden die Kategorien gleich gerne gelesen oder gibt es Präferenzen? Gibt es ein verrücktes oder besonders berührendes Erlebnis rund um einen Artikel?

Wie die Geschichten ankommen? Ja, wenn man das wüsste … Dass lange und komplexere Texte (bei uns z.B. „Review“) seltener geklickt werden als Listen oder ähnliche Zusammenfassungen („Auslese“), ist bekannt. Gleichzeitig sagen Klickzahlen wenig darüber aus, welcher Text nur geklickt und welcher wirklich gelesen wurde. Insofern sind mir 20 Klicks auf die Rezension eines wichtigen Buches manchmal mehr wert als 100 auf eine Bücherliste.

Dass auch lange Texte funktionieren, beweist am besten unser Online-Katalog: Wenn zum Beispiel eine zwei Jahre alte TV-Serie, die im Blog (und sonst nirgends) gerade lobend und ausführlich besprochen wurde, plötzlich wochenlang vorgemerkt ist, muss der Blogartikel der Grund dafür sein, und das freut mich immer ganz arg. Auch den Blog-Autorinnen und -Autoren bedeutet solche Öffentlichkeit viel – das sehe ich durchaus und ist wirklich schön: dass sie merken, dass ihre Expertise nicht nur fürs Vier-Augen-Gespräch über eine konkrete Frage taugt, sondern von vielen Menschen hoch geschätzt wird.

Was mich persönlich an den Interessen unser Leserinnen und Leser überrascht hat, ist ihr deutliches und großes Interesse an digitalen Themen. Ich hatte ein wenig das Vorurteil, dass wir unser Publikum mit Artikeln über Bücher locken und nebenbei ihr Interesse auf das Digitale lenken. De facto ist es andersherum: Richtiggehende Best- und Dauerseller sind bei uns Artikel wie „Preisgekrönte Apps für Kinder“, „Was macht die Münchner Stadtbibliothek auf Instagram?“, „Freie Räume, neue Gemeinschaften – Die Bibliothek als real-digitale Schnittstelle“ und der von Dir oben erwähnte ‚Selbsttest‘ unserer eLearning-Plattform.

Verrückte Erlebnisse fallen mir im Moment keine ein, berührende jede Menge. Jeder Schreibworkshop, den ich für meine Kolleginnen und Kollegen gebe, ist in diesem Sinne berührend; jedes Mal, wenn eine Autorin oder ein Autor einen richtig guten Text abliefert, bin ich berührt. Aber auch jedes Mal, wenn ein Blogger oder eine Bloggerin mit meiner Redaktion hadert, denn das zeugt ja nur von dem Herzblut, das sie in ihre Texte stecken. Ich glaube, für mich gibt es kaum eine befriedigendere Arbeit, als mich mit Menschen und Texten auseinanderzusetzen und dabei neue Ideen zu haben und zu entwickeln – weil es für beide Seiten echt ‚berührend‘ ist.

Gerade las ich den schönen Text „6 Social Experts on What Being a ‚Social Media Expert‘ Really Means“ – eine Beschreibung eines idealen Social-Media-Managers lautet: „You embrace change. These are not jobs for people who are change adverse.“ Das spricht mir aus dem Herzen.

Blick in den Zeitschriftensaal der Münchner Stadtbibliothek am Gasteig. Digitalisierung schreitet auch bei den Zeitschriften voran.

Der Bestand an gedruckten Zeitungen in der Stadtbibliothek Am Gasteig ist riesig. Digital gibt es noch tausende mehr. (Foto: Eva Jünger/Münchner Stadtbibliothek)

4. Euer Blog steht exemplarisch für vorbildhafte Teamarbeit, zumindest für mich als Außenstehende. 30 Autoren schreiben dafür in einer unglaublich dichten Taktung. Perfekt für die Aufgabenverteilung sowie Facettenreichtum. Jeder von ihnen bringt unterschiedliche Stärken, Themenschwerpunkte und Interessen ein. So wird ein Corporate Blog vielseitig mit Ecken und Kanten. Wie habt ihr die Autoren gewonnen? Bedurfte es viel Überzeugungsarbeit? Wie organisiert ihr euch (Kernredaktion, Redaktionsplan, Ideenfindung)? Was sagen die Bibliotheksmitarbeiter zum Blog? Können sie mitgestalten (Ideen, Wünsche, Kritik)?

Es war natürlich von Anfang an klar, dass ich so ein Blog niemals werde alleine stemmen können. Wir starteten also ein so genanntes „Interessensbekundungsverfahren“ im Haus; angesprochen wurden alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – das war mir wichtig, dass sich alle damit gemeint fühlen. Man muss wissen: In einer Einrichtung wie der Münchner Stadtbibliothek arbeiten ja nicht nur studierte Bibliothekarinnen und Bibliothekare, sondern auch einige ArchitektInnen, zahlreiche Verwaltungsbeamte, ein gutes Dutzend Fahrer für Lieferwagen wie Bücherbusse und jede Menge „technische Angestellte“ – hinsichtlich des Ausbildungsgrads und vor allem auch der Herkunft der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (siehe „Welche Sprachen werden in der Münchner Stadtbibliothek gesprochen?“) herrscht in der Münchner Stadtbibliothek eine Vielfalt, von der die meisten zeitgenössischen Unternehmen nur träumen können.

Auf den Aufruf meldeten sich rund 30 Kolleginnen und Kollegen, und gleich in der ersten Redaktionssitzung sprudelten die Themen und Ideen. Organisatorisch sieht das ungefähr so aus (aber auch da bin ich noch am Rumprobieren): Alle paar Monate laden wir alle Autorinnen und Autoren zur Redaktionssitzung; wir machen zunächst immer eine Feedback-Runde (Was läuft gut, was schlecht? Was fehlt? Wie können wir es besser machen?), dann sprechen wir konkret über Themen und Artikel. Daraufhin erstelle ich einen für alle einsehbaren Redaktionsplan, und selbstredend kann jede/r MitarbeiterIn der Münchner Stadtbibliothek jederzeit Themen oder Artikel vorschlagen.

Die Rubrik #FAQ verantwortet meine Kollegin Tanja Erdmenger, den Rest ich. Wir beide tauschen uns freilich nicht nur bei den Redaktionssitzungen, sondern recht oft über das Blog aus, praktischerweise liegt ihr Büro meinem quasi direkt gegenüber. (By the way, aber wahrlich keine Nebensache: Tanja ist nicht nur für das oben erwähnte eLearning verantwortlich, sondern aktuell vor allem die Kuratorin unserer Digitalen Woche ENTER!) Wenn Tanja und ich eine Artikelidee haben, sprechen wir auch Kolleginnen oder Kollegen an, die nicht zum eigentlichen AutorInnen-Team gehören.

Den oben schon erwähnten #FAQ-Artikel über die Sprachen in der Münchner Stadtbibliothek hat etwa meine Kollegin Margit Lindner, die unsere interkulturellen Initiativen verantwortet, geschrieben; und demnächst wird Siegfried Kalus, der Chef der Bücherbusse, erzählen, wie und wo so ein Bücherbus zusammengebaut wird (in Skandinavien, so viel sei verraten). Ergänzend biete ich Schreibworkshops an – mir ist wichtig, dass jede/r seine/ihre eigene Stimme entdeckt. Es bringt nichts, jemanden aufs Ich-Sagen zu verpflichten, wenn sich derjenige damit unwohl fühlt. Genauso wenig will ich eine authentische Plauderstimme auf strikte Rezensionsregeln verpflichten.

Innerhalb der Münchner Stadtbibliothek kommt das Blog in mehrfacher Hinsicht bestens an. Angefangen bei einer Kollegin, die mir im Aufzug erzählte, dass ihre Mutter ganz begeistert davon sei bis hin zu unserem Verwaltungsdirektor (privatwirtschaftlich gesagt: unserem Geschäftsführer), der mittlerweile viele Lektüretipps aus unserem Blog holt und mich auch wissen lässt, wenn ihm das Buch nicht gefallen hat. Noch viel wichtiger aber sind, und das hatte ich anfangs gar nicht im Blick, die Veränderungen, die das Blog intern in Gang gesetzt hat. Ich habe darüber schon einmal gebloggt und kann es hier nur wiederholen:

„Das war und ist eigentlich die viel großartigere Erfahrung: dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zusammen kamen, die bisher wenig miteinander zu tun hatten (die Münchner Stadtbibliothek hat über 500); dass sie miteinander ins Gespräch kamen über Bücher, Filme, Spiele; dass man manch verborgenes Talent entdecken durfte, bei sich wie bei anderen; dass Hierarchien in den Hintergrund traten; dass man mit Stolz auf die eigenen Kenntnisse bei der Sache war und ist.“

5. Welche Rolle nimmt das Blog in innerhalb eures Kommunikationsmixes mit Website, Social Media sowie analogem Programm ein? Tatsächlich interessiert mich noch mehr eure Vermittlungsarbeit via Blog und Co. Was leisten die einzelnen Kanäle darin? Ist Storytelling ein Thema für euch? Wie empfindet ihr den Umgang damit?

Und noch so eine Frage, die ich nicht endgültig beantworten kann: Alles ist im Fluss … Das Blog ist natürlich zuallererst der Ort, der uns gehört, das heißt: den wir nach unseren Regeln ordnen und strukturieren können (was auf Facebook, Twitter und Co. eben nicht möglich ist). Für die einzelnen Social-Media-Kanäle wiederum gibt es jeweils spezifische strategische Ausrichtungen:

  • Facebook ist eine multimediale Community, die vor allem auf Identifikation und Unterhaltung zielt – und genau das machen wir da auch: Community-Bildung mit möglichst mulitmedialen (da haben wir noch etwas Aufholbedarf) Inhalten, stets basierend auf den Werten unserer Institution (wenn ich zitieren darf; „Die Münchner Stadtbibliothek versteht sich als zentrale Institution der Kultur und des lebensbegleitenden Lernens, der internationalen Offenheit und der gelebten Inklusion.“).
  • Twitter dagegen ist anders ausgerichtet; dort steht nicht die Community-Bildung, sondern der Austausch mit anderen AkteurInnen, die eben diese Werte teilen, im Vordergrund – seien das Bibliotheken, JournalistInnen, öffentliche Institutionen oder Think Tanks. Twitter ist schlichtweg das neugierigere (man folgt da nicht denen, die man eh kennt, sondern denen, die etwas Interessantes zu berichten haben), inklusivere (man beachte die Barrierefreiheit) und aktuellere (eine ordentliche Timeline – wo gibt´s das sonst noch?!?) Medium, und das sind wir dort eben auch.
  • Auf Instagram machen wir wieder etwas ganz anderes – das Projekt ist noch recht jung, ein Testballon, der gerade richtig schön zu steigen beginnt: Seit Dezember 2016 betreue nicht mehr ich den Kanal, sondern alle vier Wochen ein anderer Mitarbeiter/eine andere Mitarbeiterin oder ein kleines Team. Auch diese Strategie liegt, genau wie bei Facebook und Twitter, in der Struktur des Netzwerks selbst begründet: Instagram verpflichtet ja quasi zum mobilen Posten (die Desktop-Version hat diese Funktion nicht erst seit kurzem), und das haben wir schlichtweg beim Wort genommen – unser Instagram-Kanal reist also durch die Institution. Zudem eignet sich Instagram gut als Schulungstool, um Kolleginnen und Kollegen, die keinerlei Erfahrung mit Social Media habe, erste schöne Erfahrungen damit zu bescheren, denn Instagram ist ein nettes und positiv zugewandtes Netzwerk.

Storytelling ist aktuell kein großes Thema bei mir, vor allem aus Zeitgründen, aber ich muss auch zugeben, dass ich mit dem Begriff noch immer wenig anfangen kann (und das als Literaturwissenschaftlerin…!). Ich weiß, dass in der Münchner Stadtbibliothek mindestens 10.000 Geschichten stecken und ich bisher nur einen Bruchteil davon kenne. Und wenn man eine Geschichte sinnvoll integrieren kann, dann erzählen wir sie natürlich auch (wie z.B. das Entstehen eines Bücherbusses) – ohne das dann als „Storytelling“ zu etikettieren. Allergisch reagiere ich in jedem Fall auf fast jedes Storytelling, in dem Stofftiere vorkommen (das ist bei öffentlichen Bibliotheken leider sehr beliebt…).

Junger Mann auf Handy im Stadtverkehr blickend. Die Münchner Stadtbibliothek stellt vieles digital zur Verfügung. digitale Projekte via eBook. elearning-Plattform

Alle digitalen Angebote der Münchner Stadtbibliothek – eBooks, Hörbücher, digitale Zeitschriften, eLearning und vieles mehr – sind auch mobil nutzbar. (Foto: Eva Jünger/Münchner Stadtbibliothek)

6. Wie bewertet ihr die digitale Transformation der Gesellschaft? Welche Konsequenzen hat das für euch? Verlangen eure Bibliotheksnutzer den digitalen Auftritt oder greift ihr dem Wunsch vor, da es definitiv kein „Neuland“ mehr ist? Gibt es hier eine Altersdifferenz: Erwartungshaltung junger und älterer Menschen?

Die digitale Transformation verstehen wir als große Chance. Digitalisierung ermöglicht so vielen Menschen so viel mehr Teilhabe! Gedruckte Bücher etwa sind nur bedingt barrierefrei – bei eBooks dagegen kann ich die Schrift beliebig vergrößern oder sie mir sogar vorlesen lassen. Um ein eBook zu leihen, muss ich das Haus nicht verlassen – ein enormer Vorteil für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen. Ganz zu schweigen von den sozialen Netzwerken, die z.B. gehörlosen Menschen Zugang zu ganz neuen Gemeinschaften und Kommunikationsräumen eröffnen. Und nicht zu vergessen jene Münchnerinnen und Münchner, die noch nicht so gut Deutsch sprechen, sich aber dennoch informieren möchten: Unser digitaler PressReader hält über internationale 6.000 tagesaktuelle Zeitungen und Zeitschriften aus rund 200 Ländern in über 60 Sprachen vorrätig – in der gedruckten Version würden wir die niemals unterbringen! Und andersherum schafft die Digitalisierung unseres Bestands Platz für mehr reale Interaktionen, an denen ja in digitalen Zeiten nicht weniger Bedarf besteht. Aber bevor ich hier schon wieder ins schwärmende Plaudern geraten: Hier und hier habe ich bereits darüber gebloggt, wie gut uns die Digitalisierung tut.

Über die Erwartungshaltung unserer Nutzerinnen und Nutzer kann ich leider nicht ganz so viel sagen. Manche Dinge packen wir früher an als andere – eBooks verleihen wir zum Beispiel bereits seit 2007. Andere Dinge brauchen etwas länger, u.a. weil wir großen Wert auf Datenschutz legen und deshalb sehr genau hinsehen, mit welchem Newsletter- oder ePayment-Anbieter wir zusammen arbeiten – um nur zwei Beispiele zu nennen, die wir jüngst installiert haben. Die Regelungen für öffentliche Institutionen sind bekanntermaßen strenger als für privatwirtschaftliche – was ich sehr schätze, da ich persönlich sehr froh darüber bin, dass wir im Gegensatz zu vielen anderen Unternehmen unsere Kundinnen und Kunden eben nicht auswerten und durchleuchten. Du kannst Dir ungefähr vorstellen, was aus Leihlisten alles vermeintlich erkennbar werden könnte… Unsere Daten wären, würde ich mal behaupten, kaum weniger aufschlussreich als jene von Facebook, und deswegen passen wir sehr gut darauf auf.

Unsere Veranstaltungsarbeit aber lässt erkennen, dass die Digitalisierung in jedem Alter ein großes Thema ist. Meine Kolleginnen Astrid Meckl und Raphaela Müller, die die Medienpädagogik verantworten, geben Social-Media-Workshops in Schulen und sind, wenn ich das richtig im Kopf habe, bis Ende 2017 ausgebucht. Und die Erwachsenen kommen genauso oft und regelmäßig mit Fragen auf uns zu. Deshalb gibt es z.B. die monatlichen eBook-Sprechstunden, und deshalb veranstalten wir nun ENTER!

7. Eure neue E-Learning-Plattform habt ihr warum für wen konzipiert? Gibt es schon erste Erfahrungswerte, Nutzerverhalten, -wünsche nach Alter?

Dass es da Bedarf gibt, war uns natürlich schon länger klar – wir wollten aber in jedem Fall ein gutes, sinnvolles und vielfältiges Paket aus Anbietern schnüren. Und das ist uns jetzt gelungen, finde ich (ich bin selbst begeisterte Nutzerin). Im Grunde muss ich immer wieder auf die Kernaufgabe öffentlicher Bibliotheken zurückkommen, die da lautet: den Zugang zu Informationen zu ermöglichen, zu sichern und zu fördern, und zwar für alle. Das ist in digitalisierten Zeiten freilich um einiges vielfältiger geworden, deshalb verleihen wir nicht mehr nur Bücher, sondern neben DVDs, CDs, Games und so weiter auch eBooks, eAudios und eben eLearning-Kurse. Das Portal wird sehr gut angenommen, aber für detailliertere Statistiken ist es tatsächlich noch zu früh, da muss ich um Verständnis bitten.

Poster der digitalen Woche ENTER! der Münchner Stadtbibliothek. Weiße Tastatur auf grünem Grund mit der Aufschrift ENTER!

Die Digitale Woche „ENTER!“ (18.-24. Mai 2017) der Münchner Stadtbibliothek bietet ein spannendes Programm für Jung und Alt.

8. Digitalisierung thematisiert ihr in „Enter! Digitale Woche 2017“ (18.5.-24.5.17). Das Programm ist umfänglich und findet an verschiedenen Orten. Games, Wiki, E-Books, Apps, Bloggen, Musik im Netz, Umgang mit dem Social Web für Erwachsene und Kids (Erklärbär?). Wie seid ihr auf die Themen gekommen? Was versprecht ihr euch von ENTER? Welche Ziele verfolgt ihr damit?

Am Anfang von ENTER! stand der Wunsch, unsere zahlreichen eigenen Produkte bekannter zu machen, da viel zu viele Menschen in München gar nicht wissen, was wir alles haben – was ihnen eigentlich alles längst ‚gehört‘, da unsere Aufgabe ja darin besteht, ihnen diese Informationen und Möglichkeiten zugänglich zu machen. Zugleich wissen wir natürlich, dass ein gewisser Teil der Menschen der Digitalisierung kritisch gegenüber steht – zu Unrecht, denn das Netz kann für jede und jeden eine Bereicherung darstellen. Wenn man es denn zu nutzen weiß!

Und das ist vielleicht das eigentliche Ziel von ENTER!: die vielen Möglichkeiten des Mitmachens und der Teilhabe aufzuzeigen und dafür zu begeistern und zugleich die Angst zu nehmen. Den Kopf in den Sand zu stecken, wird an der fortschreitenden Digitalisierung nichts ändern, sondern nur einem selbst schaden, weil man dann tatsächlich nicht nur riskiert, abgehängt zu werden, sondern man schlicht und einfach viele großartige Möglichkeiten und Chancen verpasst.

9. Und noch eine ganz persönliche Frage zu ENTER!: Welche Veranstaltung empfiehlst du mir und Mini? Meine achtjährige liebt Geschichten, Sprache und ist extrem kreativ.

Auf jeden Fall „Spiel mit!“: An zwei Nachmittagen, einmal in der Stadtbibliothek Am Gasteig, einmal in der Stadtbibliothek Moosach, können Kinder zwischen 6 und 13 Jahren selbstständig Games, Apps und andere digitale Spielzeuge ausprobieren, die mit dem Deutschen Kindersoftwarepreis TOMMI von einer Kinderjury (also von Gleichaltrigen!) ausgezeichnet wurden. Da ist eigentlich für jedes Kind etwas dabei, denn die Bandbreite reicht von kleinen Robotern über Text-Spiele bis zu lustigen Apps. Zudem sind stets mehrere erfahrene Medienpädagoginnen vor Ort, die helfen, wenn nötig, aber alle selbst auf Entdeckungsreise gehen lassen. Auf der TOMMI-Website kann man sich einen ganz guten ersten Eindruck über die Gewinner der vergangenen Jahre verschaffen. (Und falls Mimi sich für gar nichts erwärmen sollte, kann sie sich jederzeit auf unseren analogen Bestand stürzen, den sie nur wenige Schritte entfernt findet…)

10. Kultur-Museums-Frage: Kultur erfüllt ihr zu Gänze. Jetzt bitte ich dich über den Tellerrand zu schauen. Wenn du ins Museum gehst, was spricht dich dort an? Wie bist du überhaupt auf das Museum gekommen – digital/analog? Könntest du dir Kooperationen mit hiesigen Museen vorstellen? Wäre das ein Thema für euch? Ich fände es klasse, wenn unterschiedliche Kulturinstitutionen etwas gemeinsam aushecken und „ihren“ Besuchern näher bringen – alles pro Kultur!

Ich bin eine eher traditionelle Museumsgängerin: Ich schaue mir die Werke an und brauche sonst eigentlich gar nichts (Preise und Öffnungszeiten eruiere ich vor dem Besuch selbstverständlich auf der jeweiligen Website). Aus beruflichem Interesse habe ich mir in diesem Jahr – im Nachgang zu einem Kurzurlaub in Wien – das digitale Angebot des Kunsthistorischen Museums Wien angesehen. Die digitale Sammlung ist großartig, da kann ich mir Raum für Raum ansehen, was wo hängt, und zwar hochauflösend. Dass der Tintoretto-Raum an dem Tag, als wir dort waren, wegen einer privaten Veranstaltung gesperrt war, hat mich dennoch über die Maßen aufgeregt: Das geht in einer öffentlichen Institution (für die ich ja sogar Eintritt zahle) meiner Meinung nach überhaupt nicht, und das kann auch keine digitale Sammlung ersetzen.

Die App des Kunsthistorischen Museums habe ich mir ebenfalls angesehen: Das sind einzelne thematische Spaziergänge, die mir insgesamt aber zu sehr nach niedrigschwelliger Didaktik klangen. Zudem hat man nur zwei Spaziergänge frei, die restlichen soll man bezahlen. Ich weiß ja, dass App-Entwicklung keine billige Sache ist, aber das finde ich wirklich ein Unding: dass eine öffentliche Institution ihre Vermittlungsarbeit hinter einer Bezahlschranke versteckt. Da bin ich wohl zu sehr vom Selbstverständnis öffentlicher Bibliotheken geprägt ;-)

Natürlich kann ich mir Kooperationen mit hiesigen Museen vorstellen! Tatsächlich gibt es auch seit einiger Zeit eine kleine Runde der Social-Media-Managerinnen (ja, alles Frauen…) der städtischen Kultureinrichtungen, in der wir Ideen spinnen. Und irgendwann wird da auch mal was draus, versprochen!

11. Dein Lebensmotto für die Leser*innen: Was möchtest du Ihnen mitgeben?

Oh je, das klingt jetzt protestantischer, als es gemeint ist: Fragen stellen und die Antworten anhören halte ich für wichtig im Leben. Das kann nicht nur auf unterschiedlichste Arten berührend sein (Du siehst, mir gefällt dieses Adjektiv!), sondern spart vor allem jede Menge Zeit und Nerven.

Selfie von Katrin Schroeder, verantwortlich für die digitaler Kommunikation der Münchner Stadtbibliothek.

Mein einziges Selfie, das etwas taugt, was vermutlich daran liegt, dass ich darauf frisch und dick geschminkt bin für den Auftritt in der Literatur-Sendung „Andere Seiten“, deren erste Ausgabe in unserer neuen Stadtbibliothek Giesing (daher die Spiele im Hintergrund) aufgezeichnet wurde.

Die Münchner Stadtbibliothek im Web:

Website | Blog | Facebook | Instagram | Twitter

Liebe Katrin, merci beaucoup für die Teilhabe an euren digitalen Ideen. Der Tiefgang überraschte mich sehr. Du bietest hier so viel Inspiration für Kulturinstitutionen sich der Digitalisierung der Gesellschaft mit viel Verve zu stellen via Arbeitsteilung, Planung und einer gehörigen Portion Leidenschaft. Es ist keine Hexerei, muss aber im Haus akzeptiert und gefördert werden und zwar von allen! Ein ganz herzliches Dankeschön für die Einblicke in eurer und deiner Gedankenwelt. Bibliotheken sind spannende Orte für Impulse!

Nutzt du die digitalen Angebote der Münchner Stadtbibliothek? Was gefällt dir, was wünschst du dir von ihr? Kennst du digitale Projekte anderer Bibliotheken? Wenn ja, welche?

 
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7 Kommentare

  1. Rainer Ostendorf

    Die Digitalisierung schreitet immer weiter voran. Ich finde es gut, dass auch Biblitheken mit dem Zeitgeist gehen. Vielen Dank für den interessanten Artikel.

    • Tanja Praske

      Lieber Herr Ostendorf,

      gerne geschehen und ja, das ist wichtig. Bibliotheken sind hier auf einen guten Weg.

      Beste Grüße
      Tanja Praske

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