Digitale Strategie & Langzeitarchivierung von digitalen Daten – Nachlese „Digitalisierung in Museen“ | #MuseumDigital19

Wie entwickeln Museen in Sachsen-Anhalt ihre digitale Strategie? Welche Herausforderungen gibt es bei der Langezeitarchivierung von digitalen Daten? Welche Vorteile bietet die Digitalisierung von Besucherbefragungen? Diesen Fragen widmete sich die Fachtagung „Digitalisierung in Museen“ in Wernigerode 2019. Darüber berichtet Christian Reinboth (Research Funding Manager, Hochschule Harz) in seinem zweiten Gastbeitrag bei mir. Zuvor schrieb er über „Digitalisierung – Chance für Museen und Kultureinrichtung„. Lies beides – es tut sich einiges in Sachsen-Anhalts Museen!

Digitale Strategie und Langzeitarchivierung - Digitalisierung in Museen. Eine Museumstagung wird eröffnet durch Prof. Dr. Georg Westermann, Prorektor für Forschung und Wissenstransfer der Hochschule Harz (Foto: Hochschule Harz).

Eröffnung der Digitale Strategie und Langzeitarchivierung digitaler Daten zog die Teilnehmer in ihren Bann. Hier Eröffnung der Museumstagung „Digitalisierung in Museen“ 2019 durch Prof. Dr. Georg Westermann, Prorektor für Forschung und Wissenstransfer der Hochschule Harz (Foto: Hochschule Harz).

Sachsen-Anhalts Museen auf dem Weg zur digitalen Strategie

Am 20. Februar 2019 fand zum dritten Mal die gemeinsame Fachtagung zur Digitalisierung in Museen des Museumsverbands Sachsen-Anhalt und der Hochschule Harz am Hochschulstandort Wernigerode statt. Auch in diesem Jahr zog sie wieder über 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus mehreren Bundesländern an.

Die Themen der ersten beiden Tagungen waren:

Unsere dritte Tagung widmete sich insbesondere der Steuerung von digitalen Strategiefindungsprozessen in Museen sowie den Herausforderungen der  Langzeitarchivierung digitaler Daten. Für Tanja Praskes Blog fasse ich nachfolgend sehr gerne einige der zentralen Aussagen aus den drei Themenblöcken der Tagung zusammen.

Digitale Strategie im Museum

Session I: Digitale Strategiefindung in Museen

Referentinnen und Referenten: Prof. Dr. Thomas Leich (Kompetenzzentrum Mittelstand 4.0 Sachsen-Anhalt), Dr. Christian Gries (Landesstelle für nichtstaatliche Museen in Bayern), Dr. Katrin Moeller (Historisches Datenzentrum Sachsen-Anhalt)

  • Die digitale Welt wird dauerhaft Bestand haben und nicht mehr „verschwinden“ oder auch nur an Relevanz verlieren. Das Aussitzen der Digitalisierung ist für Museen (und auch für Leiterinnen und Leiter, die bis zum Ruhestand gefühlt „nur“ noch einige wenige Jahre überbrücken müssen) somit keine sinnvolle Option – und eine Digitalisierungsstrategie demzufolge kein „nice to have“, sondern ganz eindeutig ein „must have“.
  • Museen ist nicht zu empfehlen, viel Zeit in die Entwicklung des allumfassenden „10-Jahres-Plans“ zur Digitalisierung zu investieren. Entsprechende Vorhaben sind oft sehr aufwändig – und ihre Ergebnisse nicht selten schon wieder technisch überholt, bevor sie überhaupt feststehen. Museen, die in die digitale Welt aufbrechen wollen, sollten statt dessen kleinere Projekte mit überschaubaren Aufgaben und Zielvorstellungen definieren (z.B. den Aufbau einer Präsenz auf einer Social Media-Plattform oder die Digitalisierung von 100 Exponaten für museum-digital), diese ohne eine allzu umfangreiche Vorplanung starten, wertvolle Praxiserfahrungen sammeln, die Ergebnisse regelmäßig evaluieren und die Vorhaben entsprechend fortführen, neu gestalten oder wieder einstellen.
  • Das Outsourcing der digitalen Strategiefindung an externe Beraterinnen und Berater sollte – auch dann, wenn sich eine dementsprechende Förderchance ergibt – nach Möglichkeit vermieden werden. Kein Externer – insbesondere kein Externer, der sich nicht primär auf den musealen Bereich spezialisiert hat – kann ein Haus gut genug kennen, um eine Sammlungs- und zielgruppengerechte Ansprache entwickeln zu können.
  • Die Digitalisierung ist grundsätzlich als Querschnittsaufgabe zu betrachten, die sämtliche Aktivitäten eines Hauses berührt und die daher keinesfalls entkoppelt in einer Abteilung oder einem Projekt bearbeitet werden kann (also kein „Meier kümmert sich um die Außendarstellung, Schmidt um die pädagogische Begleitung und Schulze übernimmt die Digitalisierung.“). Man sollte aus diesem Grund auch nicht den Fehler begehen, von den eigentlichen Kernprozessen des Museums losgelöste Projekte im Bereich der Digitalisierung (wie etwa die Entwicklung einer App durch einen externen Dienstleister) zu starten, nur weil sich beispielsweise eine Fördermöglichkeit auftut.
  • Der digitale Raum reicht weit über die Grenzen des eigenen Museums hinaus und umfasst Plattformen und partizipative Formate, auf und bei denen die Museen keine Deutungs- und Kommunikationshoheit mehr besitzen. Dieser Umstand muss einem beim Aufbau digitaler Angebote stets bewusst sein.
  • Der Aufbau zielgruppengerechter digitaler Angebote wird nach wie vor dadurch gehemmt, dass viele kommunale Museen fest an die digitalen Strukturen ihrer jeweiligen Kommunen gebunden sind und etwa Social-Media-Aktivitäten nur über die entsprechenden kommunalen Auftritte entfalten oder keine eigene Webseite betreiben dürfen. Der primäre Online-Auftritt solcher Museen findet sich dann meist auf der kommunalen Webseite neben Schulen, Kitas, Abfallentsorgung und weiteren Angeboten, für die es keine echten Substitute gibt – ganz im Gegensatz zu einem Museumsbesuch, der daher auch anders beworben werden muss.
  • Um die in Repositorien erfassten Forschungsdaten möglichst breit nutzen zu können, muss eine Einigung auf Standards und Ontologien für deren wissenschaftliche Erschließung erfolgen. Die museale Welt steht hier leider noch ganz am Anfang.

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 Langzeitarchivierung von digitalen Daten

Session II: Langzeitverfügbarkeit von digitalen Daten

Referenten: Prof. Daniel Ackermann (Hochschule Harz), Dr. Stefan Rhode-Enslin (Institut für Museumsforschung Berlin)

  • Um einen Gegenstand digital vollständig zu erfassen (also in einer Art, die eine perfekte Reproduktion des Originals ermöglichen würde), werden sehr viel mehr Daten als nur eine Beschreibung und ein paar Fotos benötigt, so etwa Informationen zur Haptik und Olfaktorik. Aufgrund der dafür anfallenden enormen Datenmengen muss zwingend eine Auswahl getroffen werden, was digital bewahrt werden soll – und was nicht.
  • Dies gilt auch für die Bewahrung des digitalen Erbes unserer modernen Gesellschaft – vom Videospiel über die Unmengen an digitalen Bild- und Tonaufnahmen bis hin zur digitalen Alltagskommunikation über E-Mails und Social Media. Wir müssen heute darüber nachdenken (und entscheiden), was aus dieser enormen Vielfalt dauerhaft für die Historikerinnen und Historiker der Zukunft gesichert werden soll.
  • Die Langzeitverfügbarkeit digitaler Daten ist an deren Lesbarkeit und damit an Software, Betriebssysteme, Rechnerarchitekturen und an das Vorhandensein von Lesegeräten für spezifische Datenträger gebunden. Diese einschränkenden Bedingungen sind bei der Konzeption von Archivierungsstrategien zu berücksichtigen.
  • Eine „echte“ Langzeitverfügbarkeit digitaler Daten werden auf Dauer nur wirklich große Institutionen gewährleisten können – alle anderen müssen sich hierfür institutionelle Partner suchen, die erwartbar auch noch in 100 Jahren existieren. Gleiches gilt auch für Online-Plattformen, die der Fachwelt Forschungsdaten aus musealen Einrichtungen dauerhaft zur Verfügung stellen sollen – auch hier sind Zusammenschlüsse zu großen Plattformen kleinen Insellösungen mit oft entsprechend kurzer Lebensdauer (aufgrund der Abhängigkeit von Fördermitteln und von der fortgesetzten Existenz ihrer Betreiber) vorzuziehen.
Über 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren zur dritten Museumstagung nach Wernigerode gekommen (Foto: Hochschule Harz). Digtiale Strategie und Langzeitarchivierung digitaler Daten

Über 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren zur dritten Museumstagung nach Wernigerode gekommen (Foto: Hochschule Harz).

 Digitalisierung von Besucherbefragungen

 Session III: Wie geht es weiter?

Referentinnen und Referenten: Prof. Dr. Matilde Groß (Hochschule Harz), Ulf Dräger (Museumsverband Sachsen-Anhalt)

  • Von Museen wird in zunehmendem Maße ein Spagat zwischen der Vermittlung von Wissen und der Unterhaltung von Besucherinnen und Besuchern (Edutainment) abverlangt. Dies führt dazu, dass auch die Ansprüche an die digitale Repräsentanz der Häuser sowie an deren Kommunikation im digitalen Raum ansteigen. Museen, die sich diesen neuen Ansprüchen stellen wollen, müssen den engeren Austausch mit ihren jeweiligen Zielgruppen suchen – beispielsweise über digitalisierte Besucherbefragungen.
  • Die Digitalisierung von Besucherbefragungen hat zahlreiche Vorteile: So kann etwa der Ablauf von Befragungen durch Filterführung flexibel gestaltet werden, der Wegfall der Transkription spart Zeit und Arbeit und eliminiert eine mögliche Fehlerquelle. Darüber hinaus kommt eine digital unterstützte Befragung den steigenden Erwartungen vieler Besucherinnen und Besucher auch an diesen Aspekt musealer Arbeit entgegen.
  • An Bedeutung zunehmen dürfte auch die Erhebung der Motive von „Nicht-Besuchern“, wie sie beispielsweise in Wernigerode durch Hochschule Harz und Schlossmuseum schon seit 1998 durchgeführt wird. An dieser Kooperation zeigt sich darüber hinaus der große Wert von Kontinuität bei Besucherbefragungen – seit immerhin 21 Jahren und über insgesamt 2.407 Besucherinterviews hinweg ist zumindest ein Teil der Fragen gleich geblieben, was wiederum vergleichende Auswertungen über lange Zeitreihen ermöglicht. Der zu erwartende Erkenntnisgewinn ist hier deutlich größer als bei unregelmäßigen Erhebungen mit immer wieder neuen Fragen und Erhebungsinstrumenten („Was der neue Praktikant nächste Woche machen könnte? Wann war noch gleich unsere letzte Besucherbefragung?“)

Eine vierte Auflage der Tagung ist für 2020 geplant, Themen werden aktuell noch gesucht. Die Vorträge der aktuellen Tagung können – teilweise – von der Tagungswebseite heruntergeladen werden.

Autor: Christian Reinboth, Research Funding Manager, Hochschule Harz

 Berichte zur Fachtagung #MuseumDigital19:

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5 Kommentare

  1. Prima. Es ist essentiell, auch für unsere Nachkommen eine Langzeitarchivierung von digitalen Daten sicher zu stellen und die Gesellschaft für derartige Projekte zu begeistern. Ein Mehrwert für uns alle. Schöner Artikel. Weiter so…

    • @ Reeni Christensen: Vielen Dank! Ich finde den Gedanken in der Tat beunruhigend, dass unser digitaler Alltag in 50 bis 100 Jahren aus dem Gedächtnis der Menschheit verschwunden sein könnte. Den Alltag im viktorianischen England können wir ja beispielsweise heute noch sehr gut nachvollziehen: Die Romane, die Gesellschaftsspiele, die Zeitungen, die Theaterstücke, die Briefe, die Daguerrotypien – alles noch – zumindest in Ansätzen – vorhanden. Was wird dagegen von all den Zerstreuungen und Kommunikationsformen, die unseren heutigen Alltag prägen, in 100 Jahren auch nur noch im Ansatz nachvollziehbar sein? Social Media? E-Mails? Handyspiele? YouTube-Videos?

  2. Arbeiten Museen eigentlich bei Fragen der digitalen Langzeitarchivierung mit den Archiven zusammen? In NRW ist dies der Fall. Das DA NRW bietet Lösungen für die LAngzeitarchivierung von Archiven, Bilbiohteken und Museen: https://www.danrw.de/ .

    • Tanja Praske

      Lieber Thomas,

      vielen Dank für diese Info! Ich leite das mal an Christian Reinboth weiter, ob er dazu etwas weiß. So direkte Zusammenarbeiten sind mir nicht bekannt. Kenne das selektiv für das Bavarikon, aber nicht in den Maßen.

      Herzlich,
      Tanja

    • Leider kann ich die Frage ebenfalls nicht beantworten, auch wenn ich davon ausgehe, dass eine selektive Zusammenarbeit stattfindet (was ja mit Blick insbesondere auf technische Ressourcen und sich für alle Partner stellende Fragestellungen auch durchaus sinnvoll wäre). Ich werde mal beim Verband anfragen und melde mich ggf. nochmal, sollte sich etwas Interessantes ergeben…

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