Der erste Kultur-Hackathon „Coding da Vinci Süd“ startete in München am 6. April 2019. Einer von sieben regionalen Hackathons, der von der Kulturstiftung des Bundes gefördert wird. In die Münchner Stadtbibliothek luden insgesamt elf Veranstalter*innen ein. 31 Datengeber*innen aus Bayern und Baden-Württemberg stellten für das Kick-Off ihre umfangreichen Datensätze zur Verfügung. Katrin Krumpholz, digitalaffine Kunsthistorikerin und Kulturtouristikerin, war eine der rund 160 Teilnehmer*innen, die sich am Gasteig einfanden, um mit den offen lizenzierten Datensätzen zu arbeiten und bis zur Preisverleihung am 18. Mai 2019 in Nürnberg digitale Anwendungen zu entwickeln. Hier ihre persönliche Erfahrung vom Event.
Startschuss für „Coding da Vinci Süd“
Kennst du den Kollektourmaten? Oder die „Berliner MauAR“?
Durch diese und weitere Projekte wurde ich in den vergangenen Jahren auf das Kultur-Hackathon-Format „Coding da Vinci“ aufmerksam. Sie inspirierten mich dazu, selbst an einer digitalen Anwendung mitzuarbeiten. Ein weiterer Grund nach München zu reisen war, dass ich als Marketingreferentin einer Kulturstiftung daran interessiert bin, das für den Herbst 2020 anvisierte Regionalevent in Niedersachsen mit zu organisieren. Dazu treffen sich Ende April rund zehn Bildungs- und Kultureinrichtungen in Hannover, um sich kennenzulernen und auszutauschen. Ich bin also auch neugierig darauf, das Organisatorische kennenzulernen.
Möge das Spielen beginnen…
Nach der offiziellen Begrüßung der Teilnehmer durch die Hackathon-Gründer, aktuellen Veranstalter*innen und Förder*innen, starteten die 31 Datengeber*innen mit der „One Minute Madness“: In einer Minute stellten sie kurz und knackig, informativ, witzig ihre Datensätze vor. Im Anschluss konnten sich die Teilnehmer*innen – die „Hackathlet*innen“ – in vertiefenden, zehnminütigen Sessions näher mit ihren Favoriten auseinandersetzen. An drei Orten in der Stadtbibliothek fanden die Sessions statt; für das eine und andere spannende Thema lohnte sich der Ortswechsel in die erste Etage oder zurück zur Hauptbühne. Von den insgesamt 31 Datensätzen waren es am Ende vier, mit denen ich mir vorstellen konnte zu arbeiten:
- die Spiele-Quartette des Dt. Spielearchivs,
- das fränkische Wörterbuch der Bayerischen Akademie der Wissenschaften,
- die drei historischen Luftschifffahrten des Zeppelin-Museums, und
- die zoologischen Sammlung der @UB_FAU.
Die Hackathlet*innen waren direkt im Anschluss aufgerufen ihre Ideen zu pitchen, und Mitstreiter*innen zu gewinnen. Da ich keine eigene zündendende Idee hatte, lausche ich gespannt den Mutigen, die sich auf die Bühne trauten. Vielleicht hatte jemand anders eine gute Idee zu einem meiner Favoriten?
An Ideen mangelte es nicht
Schnell waren 24 Ideen vorgestellt, weitere fanden später ihren Eingang in Etherpad. Alle Ideen wurden via Graphic Recording nachlesbar und als Inspirationsquelle für alle dokumentiert. Doch nicht alle Datensätze fanden interessierte Hackathlet*innen – umso größer war die Freude und Unterstützung der Datengeber*innen, deren Datensätze ausgesucht wurden. Bei den Ideenpitches stellte sich übrigens schnell heraus, dass es vor allem an Programmierer*innen und UX-Designer*innen mangelte, weniger an Ideen und Kulturwissenschaftler*innen. Die wenigen IT- und Design-Profis, die sich als solche outeten, waren daher gefragte Gesprächspartner*innen und Tippgeber*innen in Sachen Software und Vorgehensweise.
Weil mein Tweet zum Mindmapping so zahlreich geliket wurde, möchte ich an dieser Stelle noch betonen, wie wichtig es ist, Ideen zu sammeln. Jede Idee ist wichtig und wertvoll. Jede Idee kann die Grundlage und Inspiration für weitere Ideen sein und wunderbare Projekte. Am Schönsten und Praktischsten lassen sie sich mit Mindmapping dokumentieren und visualisieren.
Gesucht und gefunden: Chamäleon und Team
Nach den Pitches folgte die Teamfindungsphase, ein wenig chaotisch, ergebnisoffen und witzig. Ich war auf der Suche nach einer Ideengeberin zum zoologischen Datensatz der @UB_FAU – letzten Endes blieb ich beim Chamäleon hängen, das mir bereits vor der Veranstaltung auf Twitter begegnete. Ich hörte mal hier einer Gruppe zu, mal da in eine hinein. Ich schnappte teils konkrete, teils vage Vorstellungen von Projektideen auf und überlegte, ob es für mich ggf. Anknüpfungspunkte gibt. Im Grunde war ich offen für die meisten Ideen, denn: So viele klangen einfach spannend – und boten Anlass für viele Geschichten!
Am Ende fand ich, was ich suchte: zwei Mitstreiterinnen, eine (weitere) Kunsthistorikerin und eine Studentin eines Studiengangs Digital Humanities. Die auf der Hauptbühne vorgestellte Idee eines „Memento Mori Memories“ erweiterten wir um ein-zwei weitere, wie eine Slot(h)-Machine, mit der sich Fabelwesen generieren lassen sollen (Sloth = Faultier).
Tag 1 endete schließlich mit dem Kennenlernen meiner beiden Mitstreiterinnen, dem Ideenspinnen und weiterentwickeln – und dem Netzwerken. Außerdem war ein knackiger Projektname gefragt! Bis 22 Uhr boten die Räume der Münchner Stadtbibliothek die Gelegenheit dazu, an den Projekten zu arbeiten und sich auszutauschen.
Datensatz und Storytelling – wann funkt es?
A human being is a storytelling machine. The Self is a story.
Paul Brooks
Tag 2 startete bei den meisten mit der Gruppenarbeit, verteilt über die weitläufigen Räumlichkeiten der Stadtbibliothek. Auf der Hauptbühne bot vormittags und nachmittags je eine Input-Session jede Menge „Content“ für die Projektarbeit. „Was interessiert dich an dem Datensatz?“, fragt Astrid Kahmke vom Bayerischen Filmzentrum am Sonntagmittag in ihrer Input-Session „Vom Reisen und Entdecken – Storytelling rund um Kulturgüter“. Gute Frage! Bei 31 frei lizensierten Datensätzen, die unzählige Geschichten beinhalten, die es zu erzählen lohnt; bei so vielen Datensätzen diesen einen auszuwählen, mit dem man anschließend sechs Wochen lang arbeiten möchte – das ist eine kleine Herausforderung. Wie treffe ich als „Hackathletin“ die richtige Entscheidung? Was ist die eigene Motivation?
Warum das Chamäleon, warum zoologische Werke?
„Bei der Wahl des Datensatzes suchen wir nach persönlichen Anknüpfungspunkten an unser Leben“, beantwortete Astrid Kahmke ihre Eingangsfrage. Es gehe um Erlebnisse, um Erinnerungen und Erfahrungen – um Emotionen. Daher dachte ich intensiver über meine Entscheidung für die zoologischen Werke nach. Was das Chamäleon betrifft, begeistern mich die Detailgenauigkeit der Zeichnung, die Abenteuer der Naturforscher*innen, die Vorstellung exotischer Entdeckungen in fernen Ländern, das Unbekannte, neue Welten. Was gilt heute als exotisch? Was gibt es heute noch zu entdecken in Zeiten von Google Earth & Co.? Vielleicht möchte ich den Mut, die Leistung der Forschungsreisenden würdigen – und anregen, das Kleine im großen Ganzen sehen zu lernen oder zumindest die Wunder der Natur mit anderen Augen zu sehen?
Auf die Plätze, fertig, hacken!
Vor meinem inneren Auge tummeln sich die Frösche, Schmetterlinge und Fabelwesen in unserem imaginären Spiele-Zoo. Noch weiß ich nicht, wie sie digital schwimmen, flattern oder laufen lernen, aber ich habe Lust, genau das herauszufinden. Daher ist auch die zweite Input-Session am Sonntagnachmittag ein Muss: Robin Kocaurek von Games Bavaria gab jede Menge praktische Tipps, wie man ein Spiel gestaltet und worauf es im Gestaltungsprozess ankommt.
Für das Geschichtenerzählen gelten im Grunde ähnliche Ansätze wie fürs Spieleentwickeln: die „User Experience“ steht im Fokus der Projektarbeit, wie auch das Medienverhalten der Zielgruppe(n). Deswegen empfehle ich einen Hackathon als Weiterbildung für jede*n Kulturwissenschaftler*in – man bekommt einen neuen Blick auf die Dinge und lernt „agiles Arbeiten“ auf Augenhöhe kennen.
Arbeiten mit Daten ist: Spielen – und macht Spaß
Schöner Nebeneffekt: Das Arbeiten mit offenen Daten ist selbst Spielen! So postuliert es immerhin das Deutsche Spielearchiv Nürnberg am Ende seiner Präsentation – und die müssen das ja schließlich wissen. Beim intensiven Auseinandersetzen mit dem Datensatz fallen mir mehr und mehr Geschichten ein, die wir erzählen könnten. Das gäbe Projekte weit über die sechs Wochen hinaus! Aber das ist wiederum ein erklärtes Ziel der Hackathons, möglichst nachhaltige Strukturen und langfristige Kooperationen zwischen Hackathlet*innen und Datengeber*innen zu schaffen.
Mitspielen ist übrigens auch ohne Teilnahme am Kick-Off möglich: Rund 200 offene Datensätze haben sich in den vergangenen fünf Jahren auf der Webseite von Coding da Vinci angesammelt – und warten darauf, in Nutzung gebracht zu werden. Auf der Website von Coding da Vinci findet ihr mehr Informationen zu den Datensätzen. Wer also mitspielen möchte, kann das gerne tun: Dazu einfach im aktuellen Hackdash eintragen. Oder: einfach zum nächsten Regionalevent (ab 2020) reisen. Mein Tipp: Sich vorher die Datensätze anzuschauen, lohnt sich. Nicht nur, weil die Datensätze zu eigenen Ideen inspirieren, sondern auch, weil man in seiner Projektgruppe schneller die Grundidee konkretisieren und weiterentwickeln kann.
Fünf Jahre Coding da Vinci – was ist neu?
Am 18. Mai stellen die Teams ihre Prototypen oder fertigen Anwendungen in der Nürnberger Tafelhalle vor. Dass ein Kultur-Hackathon an zwei Standorten ausgetragen wird, ist übrigens nur eine von mehreren Neuerungen, die das Münchner Regionalevent im fünften Hackathon-Jahr ausmacht. So konnten der BR und Moderator Matthias Leitner als Medienpartner gewonnen werden: Beide begleiten das Regionalevent Süd vom Kick-Off bis zur Preisverleihung in Nürnberg. Der Kick-Off wurde an beiden Tagen live gestreamt, laut Veranstaltern mit bis zu 5.000 Zuschauern! Und: Coding da Vinci goes international! Auf Einladung des Goethe Instituts lernten Teilnehmer*innen aus Indonesien, Brasilien, Südafrika, Tansania, dem Senegal und der Elfenbeinküste das Hackathon-Format an diesem Wochenende kennen – um es nun in ihren Heimatländern umzusetzen. So ist bereits im kommenden Jahr ein Hackathon in São Paolo geplant, verrät der brasilianische Teilnehmer. Großartig!
Dass Coding da Vinci zum Erfolgsformat avancieren würde, hatten die drei Gründer*innen sicherlich nicht erwartet: Seit 2014/2015 organisierten sie das Digitalevent bundesweit – als Hobby in der Freizeit –, 2016 fand das erste regionale Event in Hamburg statt. In den vergangenen fünf Jahren brachten sie hunderte Interessierte aus dem Technik-, IT- und Kulturbereich zusammen. Wer einmal dabei war, kommt auch gerne wieder: „Coding da Vinci macht süchtig“, erzählt mir Stephan Bartholmei, einer der Gründer von Coding da Vinci. Und jetzt mal ehrlich: Wer würde nun nicht gerne nach Brasilien reisen?
It’s all about family
Aber auch in Deutschland gibt es genug Anlässe: Bis 2022 sind weitere sechs Regionalevents in Planung, darunter die niedersächsische Ausgabe. Das ist das vierte Novum der Münchner Hackathon-Ausgabe: Erstmals förderte die Kulturstiftung des Bundes einen Hackathon: Das Programm Kultur Digital umfasst rund 1,2 Millionen Euro und finanziert die künftige Projektkoordination und Netzwerkbildung durch die noch junge Geschäftsstelle, angesiedelt an der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt am Main, sowie (mit dem Münchner) insgesamt sieben Regionalevents.
Meine Eindrücke vom Kick-Off sind sehr vielfältig wie nachhaltig, sowohl aus der Sicht der privaten Teilnehmerin, die nun aktiv in einer Projektgruppe Gas gibt, um ein tolles digitales Produkt vorzustellen – aber auch aus Sicht der möglichen Mitveranstalterin eines Hackathons. Das, was das Münchner Orga-Team an diesen beiden Tagen auf die Beine gestellt ist wirklich grandios (und schwer zu toppen).
Vielen lieben Dank für ein spannendes, informatives und sehr inspirierendes Wochenende! Liebe Hackathon-Familie: Wir sehen uns in Nürnberg!
Und last but not least: ein ganz herzliches Merci an Tanja für das Angebot und die Möglichkeit diese kleine Nachlese veröffentlichen zu dürfen. Merci!
Weitere Rückblicke zum Nachlesen:
- Coding da Vinci. Kick-Off mit internationalen Teilnehmer*innen
- Coding da Vinci Süd: In München fließen die Kulturdaten
Autorin: Katrin Krumpholz ist studierte Kunsthistorikerin und Kulturtouristikerin. Seit ihrer Weiterbildung zur Social-Media-PR-Referentin 2014 verfolgt sie das digitale Kultur- und Tourismusgeschehen vor allem auf Twitter, aber auch auf Tagungen, Workshops und Barcamps rund ums Thema „Digitale Transformation“.
Über Hackathons:
Wer sich weiterhin über Hackathons informieren möchte, der liest das Montags-Interview mit Dr. Harald Klinke „Digitale Kunstgeschichte: Was kann sie leisten in Lehre & Gesellschaft? | #DigitalHumanities„.
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