Migration in der Kunst. #seekingartstories in Lettland, Litauen und Südafrika

Migration in der Kunst – es ist von allen Zeiten: wegziehen, die Heimat endgültig verlassen, Völkerwanderung, Flüchtlingswellen. Das Schicksal von Flüchtlingen berührt mich. Wie wird es in Kunstwerken dargestellt? Wie prägt Migration das Schaffen von Künstlern, die selber fliehen mussten?
Angeregt von der Aktion Museum Global – #seekingartstories der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen gehe ich mit Euch auf Spurensuche in Gegenden außerhalb Westeuropas. Ich zeige Euch, mit den Worten des Museums, einige „Mikrogeschichten einer ex-zentrischen Moderne„.

Migration in der Kunst: "Flüchtlinge" von Jēkabs Kazaks, 1917 - Detail, Sammlung Lettisches Nationales Kunstmuseum in Riga. Gemeinfrei, via Europeana.

„Flüchtlinge“ von Jēkabs Kazaks, 1917 – Detail, Sammlung Lettisches Nationales Kunstmuseum in Riga. Gemeinfrei, via Europeana.

Migration in der Kunst – welche Gesichter hat sie?

Lettland: Jēkabs Kazaks

Unsere kurze Reise durch die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts erhebt keinen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit und Vollständigkeit. Wir gehen mit den einfach zugänglichen Mitteln Europeana Collections und Wikipedia der Frage nach Migration in der Kunst nach und starten in Lettland. Leider werden wir unterwegs oft feststellen müssen, dass es wenig Bildmaterial gibt, das gemeinfrei ist oder wenigstens mit Quellenangabe verwendet werden darf. Manchmal ist der Künstler noch nicht lange genug verstorben; manchmal auch haben die heutigen Besitzer der Kunstwerke dem existierenden Bildmaterial keine ausreichende Lizenz gegeben. Auf manche Bilder kann ich deshalb nur verlinken. Das monumentale „Flüchtlinge“ von Jēkabs Kazaks ist eine Ausnahme.

Der Künstler wurde 1895 in Riga geboren und verstarb bereits 1920 infolge einer Tuberkulose. Während des ersten Weltkrieges war er selber zeitweise Flüchtling und ebenfalls in der Flüchtlingshilfe in Pensa tätig. 1917 entstand dieses monumentale Gemälde:

Migration in der Kunst: „Flüchtlinge“ (1917) von Jēkabs Kazaks, Öl. Sammlung Lettisches Nationales Kunstmuseum, Riga. Gemeinfrei, via Europeana.

„Flüchtlinge“ (1917) von Jēkabs Kazaks, Öl. Sammlung Lettisches Nationales Kunstmuseum, Riga. Gemeinfrei, via Europeana.

Dunkelheit, aber auch Stolz und Kraft sprechen aus diesem Gemälde. Eine kurze Deutung gibt es in der Bildbeschreibung bei Europeana. Das Kunstwerk gehört zu den zehn Kunstwerken, die Lettland in 2016 für das Europeana 280-Projekt (je 10 Kunstwerke aus den 28 Mitgliedsstaten) ausgewählt und zur Verfügung gestellt hat. Diesem Projekt verdanken wir das gemeinfreie Bild!

Weitere Infos:
– Biografie: Wikipedia (Englisch)
– Sieben Werke in Google Arts & Culture
– Monografie: Dace Lamberga, Jēkabs Kazaks, 2007, Riga: Neputns; 226 S., mit Englischer Zusammenfassung
Art History of Latvia IV, 1890-1915 [Englische Ausgabe], Riga: 2014, Institute of Art History of the Latvian Academy of Art and Art History Research Support Foundation, S. 365f.
– „Flüchtlinge“ ist mit Kurzbeschreibung auch aufgenommen worden in der online Ausstellung „Gesichter Europas“ im Abschnitt „Modernismus und Kriegführung“ bei Europeana Collections.

Litauen: Antanas Gudaitis

Migration in der Kunst: "Die neuen Siedler" (1933) von Antanas Gudaitis, Öl (113 x 88 cm). Litauische Nationalgalerie CC BY 4.0, über Europeana

„Die neuen Siedler“ (1933) von Antanas Gudaitis, Öl (113 x 88 cm). Litauische Nationalgalerie CC BY 4.0, über Europeana

Zu Antanas Gudaitis (1904-1989) habe ich wenig Info gefunden. Die Website der Nationalgalerie in Vilnius nennt ihn „den Vater des Litauischen Expressionismus„. Die Bildbeschreibung in Europeana Collections erzählt von seiner Studienzeit in Kaunas und anschliessend in Paris (1929-1933). Die helle Palette aus Paris verwendet er unmittelbar nach seiner Heimkehr, um die schwierige gesellschaftliche Lage in seiner Heimat zum Ausdruck zu bringen:

„The characters and mood of the painting recall Parisian depictions of musicians and circus artists. Although, rather than reflecting the joy of life, anxiety and problems of young peasant couple are portrayed. Enjoyment of culture that Antanas Gudaitis acquired in Paris is gradually overshadowed by empathy for the less fortunate and sense of duty to society. In the eyes of contemporaries the title given to the painting turned this artwork into a reference toward a pressing problem in society, which is reflected both in art and literature of the period.“

Litauen – Südafrika: Franz Domscheit / Pranas Domšaitis

Migration in der Kunst: "Litauische Dorfszenerie" (1918) von Franz Domscheit / Pranas Domšaitis, Öl (65 x 65 cm). Litauische Nationalgalerie CC BY 4.0, über Europeana

„Litauische Dorfszenerie“ (1918) von Franz Domscheit / Pranas Domšaitis, Öl (65 x 65 cm). Litauische Nationalgalerie CC BY 4.0, über Europeana

Franz Domscheit wurde 1880 in Cropiens (heute russisch Гаево/Gajewo in der Oblast Kaliningrad) geboren und wuchs im gemischt kulturellen Umfeld von Litauen und Deutschland auf. Auf Empfehlung von Max Liebermann wurde er in die Akademie in Königsberg aufgenommen. Er bereiste Nordwesteuropa, pflegte Kontakte mit bekannten deutschen Malern und stellte nach dem ersten Weltkrieg in Berlin und Essen aus.

Sein Leben änderte sich schlagartig als eines seiner Gemälde 1937 in die Wanderausstellung „Entartete Kunst gelangte und seine Werke aus Deutschen Museen entfernt wurden. Er zog sich nach Vorarlberg zurück und signierte seitdem nur noch mit „P. D.“ – der Kurzform seines litauischen Namens Pranas Domšaitis. Als Litauer wanderte er 1949 nach Südafrika aus, wo eine neue Schaffensperiode begann und er erneut erfolgreich wurde. Ausstellungen in Südafrika, aber auch in den Vereinigten Staten und Canada folgten. Er verstarb 1965 in Kapstadt.

Als kosmopolitischer Mensch fühlte er sich doch ganz und gar Litauer: „Litauisches Blut täuscht nicht, genau wie auch meine Bilder wahrhaft litauisch sind.“ (Zitat aus einem Brief, nach Europeana). Seine Gemälde und Aquarelle (in Europeana Collections sind 377 vorhanden) zeigen Landschaften und Szenen aus allen Gegenden, die er bereiste. Sehr häufig hat er jedoch die biblische Szene der „Flucht nach Ägypten“ dargestellt; in Europeana gibt es derer etwa zehn.

Weitere infos:
– Biografie: Wikipedia (dort weiterführende Literatur und Weblinks)
– Anmerkungen zu seiner Biografie und künstlerischer Werdegang ebenfalls im Bildbeschreibung zum obigen Bild bei Europeana
– Google Arts & Culture zeigt 33 Kunstwerke und bietet außerdem einen virtuellen Rundgang in der nach ihm benannten Galerie in den Gebäuden der Lithauischen Nationalgalerie in Vilnius an
– Kurzinfo in Englisch zu der Pranas Domšaitis Galerie (Dauerausstellung) in Klaipėda / Litauen
– „Litauische Dorfszenerie“ ist mit Kurzbeschreibung aufgenommen worden in der online Ausstellung „Gesichter Europas“ im Abschnitt „Modernismus und Kriegführung“ bei Europeana Collections.

Südafrika: Maggie Laubser und Irma Stern

Maggie Laubser

Maggie Laubser, Selbstporträt (1928), Öl (46 x 32 cm); Sanlam Art Collection, Bellville (Südafrika). Gemeinfrei, Wikimedia Commons

Maggie Laubser, Selbstporträt (1928), Öl (46 x 32 cm); Sanlam Art Collection, Bellville (Südafrika). Gemeinfrei, Wikimedia Commons

Maggie (Maria Magdalena) Laubser wurde 1886 in Südafrika geboren. In den Jahren 1913-1924 hat sie als bereits erfahrene Zeichnerin und Malerin viel Zeit in Westeuropa verbracht. Während des Ersten Weltkriegs war sie in London zuhause, wo sie an der Slade School of Fine Art studierte. Von 1919 bis 1921 hielt sich sich in Belgien und Italien auf. Ihre Migration war nicht von Flucht geprägt (von dem Ortswechsel von Holland nach England beim Ausbruch des Krieges einmal abgesehen). Finanzielle Unterstützung ermöglichte ihr die vielen Studienaufenthalten in Westeuropa.

Entscheidend für ihr expressionistischen Malstil, die sich in einigen Werken schon vorher angedeutet hat, war der Aufenthalt in Berlin (November 1922 bis November 1924). Dort lernte sie u.a. Karl Schmidt-Rottluff kennen.
Zu der Zeit war auch die südafrikanische Malerin Irma Stern in Berlin; beide Damen verbrachten gemeinsam drei Wochen in der Künstlerkolonie Ahrenshoop. November 1924 kehrte Maggie Laubser endgültig nach Südafrika zurück. Sie zeichnete und malte bis zu ihrem Tod in 1973.

Weitere infos:
– Biografie: Wikipedia (English; mit einigen Bildern und Literaturangaben)
– Nicht vermerkt in Wikipedia: Muller Ballot, Maggie Laubser: a window on ‚Always Light‘,  Stellenbosch : SUN MeDIA, 2016

Das Irma Stern Museum in Kapstadt (2010). Bild von Flickr-user ipickmynose, CC BY-NC-ND 2.0

Das Irma Stern Museum in Kapstadt (2010). Bild von Flickr-user ipickmynose, CC BY-NC-ND 2.0

Irma Stern

Irma Stern wurde 1894 als Tochter deutsch-jüdischer Auswanderer in Südafrika geboren. Von 1913 bis 1920 studierte und arbeitete sie in Berlin und Weimar; sie war Zeichnerin, Malerin, Keramikerin und Bildhauerin. Mit Unterstützung von Max Pechstein konnte sie 1916 ihre erste Ausstellung in Berlin abhalten. Sie war Mitglied der sogenannten Novembergruppe. 1920 kehrte sie nach Südafrika zurück, bereiste aber fortwährend viele Länder in Afrika und Europa. Ihre Werke wurden bis 1933 auch in Deutschland ausgestellt. Sie verstarb 1966 in Kapstadt.

Leider kann ich hier von Irma Stern kein Werk zeigen. Die Website des Irma Stern Museum in Kapstadt (vorher ihr Wohnhaus und Atelier) zeigt eine Reihe von Werken. Ihr Leben und das ihrer Eltern war von Migration geprägt, wobei gezwunge und selbst gewählte Umsiedlungen und Reisen sich abwechselten.

Weitere infos:
– Biografie: Wikipedia (mit Literaturangaben; die Englische Version ist etwas ausführlicher)
Bibliografie der Irma Stern Trust Collection
– Ausstellung Kunsthalle Bielefeld 1996/97 plus gleichnamiger Katalog: „Irma Stern und der Expressionismus: Afrika und Europa: Bilder und Zeichnungen bis 1945“. Von Jutta Hülsewig-Johnen und Irene Below, Kerber 1996.
– Zu ‚eurozentrischen Perspektiven‘, Irma Stern und der südafrikanischen Emigrantin, Kunsthistorikerin und Künstlerin Liz Crossley (geb. 1949) siehe einen online Beitrag (pdf) von Dr. Irene Below: ‚“Wenn die Kunst aus ihrem elitären weißen Ghetto ausbricht…“ (Liz Crossley). Annäherungen an Liz Crossleys Projektion ‚An other‘ 1995 in Trier‘.

Maggie Laubser und Irma Stern gelten als sehr bedeutsam für die Anerkennung und Entwicklung eines regional-eigenständigen Expressionismus in Südafrika. Wertschätzung für diesen Malstil wurde den Damen jedoch erst allmählich nach Jahrzehnten entgegengebracht. Sie liessen sich trotzdem nicht beirren!

Ausblick

Ich hoffe, diese bescheidene Weltreise durch die Kunstgeschichte hat Dir gefallen! Selbstverständlich ist gediegene wissenschaftliche Artbeit notwendig, um diese Mikrogeschichten einer ex-zentrischen Moderne‚ kunsthistorisch, kulturgeschichtlich und ‚menschlich‘ aufzuarbeiten und die Fragen, worauf das Forschungsprojekt Museum Global der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen fokussiert, grundlegend zu beantworten. Zum Glück sind Monografien zu den einzelnen KünstlerInnen oft vorhanden.

Migration ist auch heute Thema. Europeana hat die gegenwärtige gesellschaftliche Debatte zum Anlass genommen, eine eigene online Sammlung „Migration“ anzulegen, wobei nicht nur Inhalte aus europäischen Archiven, Bibliotheken und Museen bereitgesteltt werden, sondern auch Erinnerungsstücke und die dazugehörigen Erzählungen von Privatpersonen. Kunsthistorisches ist dort vorerst noch wenig vorhanden.

Mich interessiert auch wie die Migranten / Flüchtlinge unserer Tagen Migration in Kunst darstellen. Es gibt nicht nur Ai Weiwei. :)  Ich bin z.B. beeindruckt von den Fotos des Syrers Omar Imam, der wirklich mit einer „different narrative“ kommt. Was meint Ihr?

Linktipps zu Syrischen KünstlerInnen in Frankreich:

Hier im Blog schrieb Natja Igney Artikel über syrische Künstler in Frankreich, die als Ergänzung gut zum Thema #seekingartstories passen:

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Kategorie Kulturgenuss

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2 Kommentare

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