Katwijks Museum und Europeana Collections – gibt Europa Halt oder trügt es? Das Meer, trägt es uns oder ist es trügerisch? Und der Mensch, der ich bin – ist auf mich Verlass oder versage ich manchmal? Diese Fragen kommen mir, wenn ich die Beiträge lese, die bis jetzt im Rahmen der Blogparade “Europa und das Meer – Was bedeutet mir das Meer?” des Deutschen Historischen Museums geschrieben wurden. Mancher Blogpost bietet uns keine romantische Urlaubslektüre! Meeresverschmutzung und ‚Flüchtlingskrise‘ … Für ein zukünftiges Happy-End sind wir selbst mitverantwortlich.
Katwijks Museum – das Meer: Segen und Fluch
Das Katwijks Museum in der ehemaligen Künstlerkolonie Katwijk, an der Holländischen Westküste zwischen Scheveningen und Noordwijk, präsentiert zur Zeit eine Ausstellung über den Münchener Maler Hans von Bartels (Hamburg 1856 – München 1913). Wie seine Landsleute Max Liebermann und German Grobe hat Von Bartels oft in Katwijk gemalt und seine Spezialität angefertigt – die Gouache. Ich liebe seinen „Muschelfischer (Katwijk)“, weil es diese Ambivalenz vor Augen führt. Einerseits ist das Meer die Existenzgrundlage des Fischers und seiner Familie. Andererseits sind die Lebewesen nur winzige Gestalten in einer tosenden Brandung unter einem hohen Himmel, der Regenschauer auf sie herablässt. Trotzdem reflektiert die Sonne rechts am Horizont ins Wasser; es gibt Hoffnung auf bessere Zeiten! Ich mag die bunte Mischung kräftiger Farben; trotz des rauen Klimas fühle ich mich ein wenig an den spanischen Maler Joaquín Sorolla erinnert.
Für diejenigen unter Euch, die Ihren Sommerurlaub an der Niederländischen Westküste verbringen: das 200-jährige Jubiläum von Scheveningen als Badeort wird in Den Haag mit vielen Ausstellungen gefeiert, die sich alle mit dem Leben am Meer befassen. Mein ‚Geheimtipp‘: „Aan zee. Jan Toorop, Piet Mondriaan, Jacoba van Heemskerck, Ferdinand Hart Nibbrig“ im Gemeentemuseum.
Europeana Collections – Europa und das Meer: die Ausstellung einmal anders
Vermutlich werde ich nicht imstande sein, die Ausstellung Europa und das Meer in Berlin zu besuchen; aber wer weiß, sie schließt ja erst im neuen Jahr, am 6. Januar. Das Deutsche Historische Museum habe ich noch nie besucht. Es ist mir jedoch schon seit einigen Jahren sympathisch, und zwar wegen dieses Projektes: „Multaka – Geflüchtete als Guides auf der Berliner Museumsinsel„. Dankenswerterweise lässt sich auf der Website des Museums viel über die Ausstellung herausfinden, besonders im Abschnitt Presse. So können Leute wie ich, die außerdem verpasst haben, sich den Katalog zu besorgen, doch einen Eindruck der Ausstellung gewinnen. Ich möchte mich hier auf ein kleines ‚Spiel‘ einlassen, nämlich einige Themen aus der Ausstellung aufgreifen und dazu meine eigene klitzekleine online Ausstellung gestalten, u. a. mit Material von Europeana Collections. Bekanntlich bin ich ein Fan der Projekte der Europeana; ich habe hier öfters darüber berichtet.
Europa: es fing an im Meer
Der Raub der Europa, der „Frau mit der weiten Sicht„, führte durch das Mittelmeer. Zeus in Stiergestalt trug Europa durch die Wellen, von Sidon im heutigen Libanon nach Matala auf Kreta. In heutiger Terminologie und zeitwidrig eingestuft: ein gelungener Einwanderungsversuch über das offene Meer … In der Kunst wurde es oft dargestellt. Dieser Stier von Jan Visscher schafft es sogar, dass seine Geliebte während der Überfahrt keine nassen Füsse bekommt:
Verzweifelte Menschen im Meer; was tun?
Die eindruckvollsten Zahlen und Bilder der sogenannten ‚Flüchtlingskrise‘ stammen vom Meer. Zehntausende haben in den vergangenen Jahren bis auf den heutigen Tag im Mittelmeer ihr Leben verloren. Die ‚Frau mit der weiten Sicht‘ tut sich sehr schwer, politische Klugheit und Achtung für Menschenwürde unter einen Hut zu bringen. Auch ich sehe fast tatenlos zu. Es bleibt bei dem Unterschreiben von Petitionen, vereinzelten Geldspenden und einem Blogpost „How Europeana can help to make Europe a better place„. Kann ich mehr tun?
Die Ausstellung in Berlin zeigt u. a. ein auf der Flucht mitgeführtes Mobiltelefon von Mohammed Ebrahimi (um 2014) – ein wichtiges Hilfsmittel auf der Fahrt ins Unbekannte.
Geschichten von Migration in „Europeana Migration Collections“
Hinter jedem Objekt steckt ein Mensch, mit Gefühlen und Träumen, mit Ängsten und Geschichten. Europeana versucht dieses Jahr mit der Migration Collection ‚Material‘ aus Archiven, Bibliotheken und Museen zum Thema Migration bereitzustellen. Ich setze ‚Material‘ bewusst zwischen Gänsefüßchen, denn es handelt sich oft um emotional geladenes Erbgut von Menschen. Europeana bietet zusammen mit Partnern sogenannte Migration Collection Days an, wo Menschen ihre Erinnerungsstücke digitaliseren und ihre Geschichten erzählen und registrieren lassen können. Diese werden in der obengenannten Sammlung aufgenommen. Ich war in Utrecht als ‚Einscan-Gehilfe‘ dabei.
Leider ist in Deutschland noch kein Collection Day zustande gekommen – wobei Städte wie Hamburg und Bremen sich von der Geschichte der Auswanderung her dazu doch gerade anbieten würden. Ich bitte gerne um Rückmeldung, wenn eine Institution oder ein Verein etwas mit Europeana auf die Beine stellen möchte!
Außerdem kann jeder Internetbenutzer seine Erinnerungsstücke und die dazugehörige Geschichte online in die Datenbank eingeben, wo sie nach Moderierung durch Europeana freigegeben wird. Die Ernte von Collection Days und online story-sharing ist als fester Bestandteil der Gesammtkollektion für jedermann einsehbar. Manchmal darf man das Bildmaterial auch verwenden. Ich habe u. a. eine Geschichte meines Vaters geteilt; er wurde 1948 als junger Mann und einer von vielen in den Niederlanden zum Militär eingezogen und für den Kriegseinsatz über das Meer nach Indonesien geschickt.
Migration über das Meer: Kunst spricht
Ist Kunst harmlos? Spätestens als ich den #DHMMeer-Post von Susanne Brandt, „Europa und das Meer: Von Angesicht zu Angesicht“ las, wurde ich eines Besseren belehrt. „One face – one moment“ – ein Gesicht, das in wenigen Sekunden vom Meer endgültig fortgespült wird …
Ein Kunstwerk, das mich besonders fasziniert und mich an die risikovollen Überfahrten im Mittelmeer erinnert, ist diese Skulptur des Schwedischen Bildhauers Carl Milles. Es stammt aus den Jahren 1936-1940; über dessen Hintergrund weiß ich eigentlich nichts. Es trägt den Namen „Auswanderer. Fisch mit Emigranten„.
Wie komfortabel reisen diese Auswanderer auf dem riesengrossen Fisch. Sie lesen ein Buch oder halten ein Haustier in den Händen! Einige scheinen zu sprechen oder zu singen.
Wie weit ist dieses Bild von der Realität der Flüchtlingsschiffe auf dem Mittelmeer entfernt. Deshalb fasziniert es mich umso mehr. Auf Tiere wie diesen Fisch, oder den Stier, der Europa trägt, scheint mehr Verlass als auf Menschen.
In wieweit trägt oder trügt Europa?
Diese Frage hebe ich mir auf für die Blogparade, die im September von Museum Burg Posterstein durchgeführt wird: #SalonEuropa. Auch diese Blogparade wird erfreulicherweise mitbetreut von Tanja Praske; das weckt Erwartungen!
Ist auf mich Verlass?
Wo bleibt denn der Aktivist? Gewiss werde ich weiterhin Petitionen unterschreiben. Auch im Kulturbereich gibt es sie. Gerade ringen die „Berlin Call to Action – Cultural Heritage for the Future of Europe” der Europa Nostra und die „Brüsseler Erklärung – Für die Freiheit der Kunst“ um unsere Aufmerksamkeit. Ein lustiges Protest-Video, gedreht im Rubenshuis in Antwerpen, prangert die rigide Nackt-Zensur von Facebook in Sachen Kunst an. Ist Kultur Nebensache, Zeitvertreib, oder ist sie lebensnotwendig? Welche Gesellschaft möchten wir mitgestalten?
Weiterhin habe ich mir spannende Lektüre vorgenommen. Kunsthistorikerin Eva Rovers hat nicht nur eine Biografie verfasst über Helene Kröller-Müller aus Horst/Essen, Gründerin des Kröller-Müller-Museum, das gerade sein 80-jähriges Bestehen feiert. Ihr neuestes Buch, „Practivisme – Handboek voor heimelijke rebellen“ (Praktivismus – Anleitung für heimliche Rebellen; leider noch nicht in deutscher Übersetzung), versucht ‚Wohnzimmer-Aktivisten‘ wie mich dazu zu ermutigen, ein kluger, in der Gesellschaft sichtbarer Weltverbesserer zu werden; einer, der etwas mehr tut, als nur im stillen Kämmerlein Petitionen unterschreiben und Müll trennen.
Von Kunstgeschichte zu sozialem Engagement? Ich lasse mich gerne darauf ein! Könnte das Schreiben von Blogposts und das Teilnehmen an Blogparaden wie #DHMMeer ein kleiner Anfang sein?
So endet dieser Beitrag mit den fragenden, sehnsüchtig ringenden Händen einer Fischerfrau aus Katwijk. Ein Bild, das zum Engagement verführen könnte.
Danke schön, Deutsches Historisches Museum! Danke schön, Teilnehmer der Blogparade #DHMMeer! Danke schön, Tanja Praske!
Nachtrag 1 am 25.07.2018: Ich möchte noch auf das neulich errichtete „Virtuelles Migrationsmuseum“ hinweisen – leider konnte ich mich damit bisher nur oberflächlich befassen.
Nachtrag 2 am 25.07.2018: die „Brüsseler Erklärung“ – für die Freiheit der Kunst gibt es jetzt auch auf English, Französisch, Polnisch und Ungarisch. Stand der Dinge: > 47.700 Unterschriften.
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Sehr spannender Beitrag. Informativ und inspirierend. Sehr gerne gelesen. Weiter so!
Ganz herzlichen Dank, ich mache gerne weiter!
Peter
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