Gar nicht einfach – das Schreiben fürs Hören, aber erlernbar, wenn bestimmte Tipps befolgt werden. Texte für Audioguides oder Apps zu schreiben, weicht definitiv von der Schriftsprache ab. Das Ohr „sieht“ anders als das Auge. Ein guter Hörtext lässt Kopfbilder entstehen, ist kurzweilig, faszinierend und nachhaltig. Was muss ich dafür tun?
Die Tipps beruhen auf meinen eigenen Schreib-Erfahrungen für die App „Schlosspark Nymphenburg“ sowie vor allem auf einem Workshop der Bayerischen Museumsakademie. Hier stellte Frau Dr. Astrid Pellengahr, Leiterin der Landesstelle der nichtstaatlichen Museen in Bayern, zusammen mit einer Mitarbeiterin ihre Empfehlungen zum Schreiben fürs Hören, für Audioguides vor.
Vorüberlegungen zum Thema Audioguides oder Apps
Zielgruppe und Ziele
An wen richtet sich der Audioguide, die App? Die Zielgruppe bestimmt die Tonalität des Audioguides. Diese können sein:
- Erwachsene
- Kinder/Jugendliche
- Einzel- oder Mehrfachbesucher
- Blinde/Seh-/Hörbeeinträchtigte
- fremdsprachliche Besucher (erforderlich: Anpassung an kulturellen Hintergrund)
Was soll der Audioguide leisten? Ist er ergänzend zur Objektbeschreibung, zu Publikationen, zu weiteren Vermittlungsformaten zu sehen? Das sollte so sein. Er darf und muss vom bestehenden Angebot abweichen, um einen Mehrwert zu bieten. Und immer daran denken: Der Besucher ist ein autonomes Wesen. Das Vermittlungsangebot sollte möglichst viele zufrieden stellen (O-Ton Dr. Pellengahr). Das funktioniert über unterschiedliche Zugänge. Die Zielsetzung des Audioguides muss klar sein. Macht er Sinn für das Museum, die Gedenkstätte oder den Stadtrundgang? Diese Frage stellte Dr. Pellengahr ganz zu Beginn des Kurses. Warum ist diese Frage wohl wichtig? Was meinst du?
„Denkt an die Lerntypen!“
So lautet Frau Pellengahrs Aufforderung an uns. Sie verweist auf die neun verschiedenen Intelligenzen nach Howard Gardner und empfiehlt vertiefend dazu die Informationsschrift des Deutschen Museumsbundes „Museen und lebenslanges Lernen – ein europäisches Handbuch“, Berlin 2010. Die Intelligenz ist nur zu einem kleinen Teil genetisch bedingt, ausschlaggebend sind vor allem kulturelle Faktoren.
Idealerweise nimmt das Museum durch verschiedene Vermittlungszugänge auf diese Lerntypen Rücksicht. Für den Audioguide sind vor allem folgende Lerntypen relevant:
- musikalische Intelligenz
- körperlich-kinästhetischer Intelligenz
- interpersonale Intelligenz
Unterscheidung von Hören und Zuhören
Dr. Pellengahr nach ist das Ohr unser Tor zu Emotionen. Es befördert kognitive Fähigkeiten und Lernprozesse. Sehen und Hören verhalten sich komplementär zueinander. Das Sehen vermittelt den stärkeren Reiz, während das Hören diesen Reiz verstärkt.
„Visuelle Erfahrungen können durch akustische Informationen verstärkt werden“, so Pellengahr.
Wie funktioniert das Hören?
- weckt Emotionen
- Mimik und Gestik fehlen
- Hörsequenz beflügelt Fantasie
Und das Zuhören?
- aktiver Vorgang
- komplexe anspruchsvolle Tätigkeit
- Klänge wecken Assoziation und beflügeln Fantasie und Vorstellungskraft. Für den Audioguide sollte auf angenehme Geräusche geachtet werden.
Der Audioguide ist linear aufgebaut, die Kommunikation einseitig, deshalb zählt er zum Hören.
Schreiben fürs Hören
Allgemeine Schreibtipps für gute Audiotexte
- er ist max. 90 Sekunden lang; das entspricht in etwa 180 Wörter
- die Kunst des Weglassens ist gefragt. Es geht nicht darum, möglichst viel Wissen unterzubringen. Verhält sich ganz ähnlich zu „Die wichtigste Nebensache: Texte schreiben für Museen und Ausstellungen“.
- ein Audioguide ist keine wissenschaftliche Abhandlung, sondern muss für den Laien verständlich aufbereitet werden
- erzähle Geschichten, die bleiben haften
- arbeite mit Sprecherwechsel
- Geräusche als Klammer einbauen
- benutze Sprache und Begriffe, die wir im Alltag verwenden: Je bildlicher die Sprache, umso besser die (Kopf-)Bilder.
- setze wechselnde Methoden ein
- situiere den Zuhörer
- Objektbezug bzw. Kontextualisierung im Außenbereich muss gegeben sein
- kurze Beschreibung des Exponats ist nötig
- meide Gedankensprünge
- Text sprechen, aufnehmen und prüfen (selbst oder Fremder), ob alles verständlich ist. Gerade beim Sprechen fallen unglückliche Satzkonstruktionen auf.
Methodenwechsel
Der Methodenwechsel innerhalb des Audioguides sorgt für aufmerksame Zuhörer. Was ist damit gemeint? Beispielsweise können Grenzen aufgelöst werden, insofern das Objekt zum Zuhörer spricht oder aber es tritt ein Erzähler aus der Zeit auf. Für beide Varianten sollte es eine separate Stimme geben. Historischer „Klatsch“ ist wirkungsvoll für optisch wenig attraktive Objekte, wie beispielsweise Münzen. Grundsätzlich müssen die Sprecher authentisch wirken.
Der Einsatz von Dialekt hängt vom Inhalt ab und muss realitätskonform sein, sonst wird es peinlich. Das hängt auch von der Zielgruppe ab. Der Einzugsbereich eines Museums liegt im Schnitt bei 30 km, 50 km funktionieren noch, 100 km bedeutet dann schon richtig Arbeit, die Besucher zu gewinnen. Das wirkt sich auf die Wirkkraft von Dialekten für den Audioguide aus.
Tipps für hörverständliche Satzstrukturen
- ein Satz, eine Aussage
- nicht mehr als 13 Wörter
- wechsle zwischen langen und kurzen Sätzen
- Fachbegriffe nur wenn nötig und dann definiert
- meide Einschübe in Relativsätzen
- keine viersilbrigen Wörter verwenden, ersetze „nichtsdestotrotz“ durch „dennoch“
- keine Redundanzen: „dunkler, verkohlter Brand“
- keine Klangwiederholungen:
- wiederhole und variiere nicht Bezeichnungen: bleib bei Bürgermeister und sprich nicht von Amtsinhaber
- auf Füllwörter verzichten
- mehr Verben als Substantive verwenden
- das Verb steht am Satzanfang
->aktive und keine passive Verwendung
->starke Verben nutzen - Kernaussage am Ende des Satzes, das bleibt beim Hören haften
- stelle logische Verknüpfungen am Satzanfang her, wie: deshalb, also, weil, daher, denn
- sparsame Verwendung von Jahreszahlen
Besucherperspektive einnehmen
Was könnte den Besucher interessieren? Davon sollte die Objektwahl für den Audiotext abhängen. Das hat etwas mit Audience Developpment zu tun. Es geht darum zu überlegen, was dem Betrachter ins Auge fällt. „Welches Vermittlungsziel verfolgen Sie mit dem Objekt in der Ausstellung?“. Das sollte sich im Hörtext widerspiegeln, so Dr. Pellengahr.
Um das Interesse des Zuhörers zu halten, muss eine Dramaturgie für den Audioguide aufgebaut werden. Die Leitidee sollte sich entlang eines „rabbit hole“ entwickeln. Hier spielt die Aufmerksamkeitsspanne des Nutzers eine Rolle. Im Internet beträgt diese gerade einmal vier Sekunden und mobile nur zwei Sekunden (eine Statistik dazu findest du in „7 Tipps für den erfolgreichen Blogartikel: Struktur und Leserlichkeit“). Es gilt zu faszinieren und darüber zum längeren Zuhören zu animieren. Stichwort: Storytelling.
Hörbeeinträchtigte – wichtiges Thema
Schon jetzt hat jeder vierte Jugendliche Hörschäden. Damit wird Hörbeeinträchtigung ein gesellschaftlich relevantes Thema in der nahen Zukunft. Hörbeeinträchtigte haben mit dem sogenannten Cocktaileffekt zu kämpfen. Gemeint ist damit:
- gleichwertiges Hören
- Sinnesbeschränkung
- keine Priorisierung
Das ist zu berücksichtigen. Es wirkt sich zudem auf die Geräteauswahl aus. Entweder sollte eine ‚T‘-Schaltung vorhanden sein – sie überträgt direkt ins Hörgerät – oder der Audioguide wird ergänzt durch eine Halsschleife, die dasselbe leistet. Leichte, einfach verständliche Sprache wird so zunehmend wichtiger.
Kinder als Zielgruppe
Wer sich über Kinder als Zielgruppe informieren möchte, der findet Audioguides von Kindern und Beratung auf der Website der Stiftung Zuhören.
Liebe Frau Dr. Pellengahr, ein herzliches Dankeschön für diesen kurzweiligen und inputreichen Workshop-Tag. Falls Sie Anmerkungen oder Korrekturen haben, setze ich diese gerne um. Grundsätzlich kann ich das Fortbildungsangebot der Bayerischen Museumsakademie empfehlen.
Literaturtipps zum Schreiben fürs Hören:
- Stefan Wachtel, Schreiben fürs Hören. Trainingstexte, Regeln und Methoden, 4. Aufl., München 2013.
- Mit den Ohren sehen. Audioguides und Hörstationen in Museen und Ausstellungen, Hannelore Kunz-Ott (Hrsg.), Museumsbausteine, Landesstelle für die Nichtstaatlichen Museen in Bayern, Bd. 14, München 2012.
- Soundgarden, Wie schreibt man eine Audioführung? Ein kleiner Leitfaden, Stand 2009
- Brigitte Hagedorn, „Schreiben fürs Hören – Satzbau“, in: audiobeitraege, 24/11/2011, http://www.audiobeitraege.de/schreiben-furs-hoeren-satzbau/ [Letzter Zugriff: 17.2.16]
– dies., „Schreiben fürs Hören – Verben“, in: audiobeitraege, 17/03/2011, http://www.audiobeitraege.de/schreiben-furs-hoeren-verben/ [Letzter Zugriff: 17.2.16]
– dies., „Schreiben fürs Hören – Textaufbau“, in: audiobeitraege, 29/3/2011, http://www.audiobeitraege.de/schreiben-furs-horen-textaufbau/, [Letzter Zugriff: 17.2.16]
– dies.; „Schreiben fürs Hören – Verständlichkeit“, in: audiobeitraege, 7/4/2011, http://www.audiobeitraege.de/schreiben-furs-horen-verstandlichkeit/ [Letzter Zugriff: 17.2.16]
– dies., „Wie Sie Zahlen im Hörbeitrag gut verpacken“, in: audiobeitraege, 16/10/2014, http://www.audiobeitraege.de/wie-sie-zahlen-im-hoerbeitrag-verpacken/, [Letzter Zugriff: 17.2.16] - Howard Gardner, Abschied vom IQ – die Rahmen-Theorie der vielfachen Intelligenzen, Klett-Cotta, 2005
Ob für Audioguides oder Apps, die Tipps zum Schreiben fürs Hören sind für beide relevant. Kennst du weitere Tipps oder Literaturhinweise zum Thema? Dann her damit. Wie schätzt du die Zukunft von Audioguides ein? Nutzt du sie oder nicht? Warum?
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