Eine Parforcejagd als Desserttafel entspricht dem Zeitgeschmack des 18. Jahrhunderts. Heute verrät sie uns Faszinierendes. Das Bayerische Nationalmuseum deckte in kriminalistischer Ermittlungsarbeit sensationelle Fakten auf. Diese verrät uns Dr. Katharina Hantschmann, Referentin für Keramik am Museum, in ihrem Gastbeitrag im Vorfeld des BloggerWalks #BNMArtDogs. Reinlesen und den Hashtag #BNMArtDogs am 7. Februar, ab 18:00 verfolgen!
Die Parforcejagd als Desserttafel – raus aus dem Depot, rein ins Rampenlicht
Bei den Vorbereitungen zur aktuellen Ausstellung „Treue Freunde. Hunde und Menschen“ (bis 19. April 2020) im Bayerischen Nationalmuseum ergab sich eine echte kleine Sensation. Wir fanden die bislang nicht erkannten allerersten Werke der Nymphenburger Porzellanmanufaktur. Sie brachten uns viele neue Erkenntnisse über diese Zeit. Es handelt sich dabei um eine Gruppe einzelner Terrakotta-Figuren: Sie stellen eine Parforce-Jagd en miniature dar. Das Ensemble stammt aus altem Wittelsbacher Besitz, stand aber seit Jahrzehnten im Depot. Vermutlich dienten die Figuren einst in Wittelsbacher Schlössern als Tafelschmuck.
Ausgewählt für die Ausstellung haben wir das Ensemble wegen der vielen Hunde, die dazu gehören: es ist eine ganze Meute, die gerade dem fliehenden Hirsch im vollen Lauf nachsetzt und ihn hetzt. Dahinter folgen Reiter in Uniformen. Sie blasen zum Teil in ihre Jagdhörner, um den Mitjägern Signale zu geben und die Hunde anzutreiben. Außerdem gehört eine Kutsche mit zwei Damen dazu. Denn eine solche Parforcejagd war nicht nur die alleraufwendigste Form der höfischen Jagd, sondern gleichzeitig auch ein großes gesellschaftliches Ereignis, bei dem die Damen des Hofes nicht fehlen wollten.
Eine Parforce-Jagd zog sich in der Regel über viele Stunden hin. Zunächst gab es das sogenannte Rendez-Vous, ein Picknick-artiges Jagdfrühstück, bei dem die Jäger dem Jagdherrn von ihrer Ausschau berichteten. Anschließend wurde entschieden, welcher Hirsch nun gejagt werden sollte. Die Hunde nahmen die Fährte des ausgewählten Tiers auf, durften es aber nicht etwa stellen und todbeissen. Vielmehr waren die Hunde darauf abgerichtet, den Hirsch “nur“ bis zur Erschöpfung zu hetzen, bis dieser ermattet zusammenbrach. Dann wurde mit dem Jagdhorn die Jagdgesellschaft herbeigerufen und der vornehmste Jagdteilnehmer verabreichte dem Tier mit dem Hirschfänger den Todesstoß.
Spannende Neuerkenntnisse im Restaurierungsatelier: kriminalistische Ermittlungsarbeit
Bei der Untersuchung im Restaurierungsatelier stellten wir fest, dass die Figuren aus gebranntem Ton bestehen und die Bemalung nach dem Brand „kalt“, also mit Ölfarben aufgebracht wurde. Aufgrund der Ähnlichkeit einiger Tiere wurden bei der Ausformung sicherlich Modeln verwendet.
Was man an manchen Stellen mit dem bloßen Auge erkennen kann, bestätigte die Röntgenaufnahme: Beim Ausformen wurden zur Stabilisierung im Inneren der Extremitäten Drahtstücke eingelegt; diese sind an den Hinterläufen in den rechteckigen Sockelplatten verankert. Nur so konnte man die Tiere im schnellen Galopp darstellen mit erhobenen Vorderläufen. Wegen des Metalls können die Figuren nur bei relativ niedrigen Temperaturen gebrannt worden sein. Sie sind aber trotzdem stabil, nur die aufgetragene Farbe ist rissig und nachgedunkelt und droht zum Teil abzubröckeln, weshalb die Figuren auf den ersten Blick etwas unansehnlich erscheinen.
Unter dem Mikroskop machte die Restauratorin Isabel Wagner dann noch eine höchst spannende Beobachtung, die man, wenn man genau hinschaut, auch in der Vitrine nachvollziehen kann, besonders wenn man eine Taschenlampe zur Hilfe nimmt: Die Bemalung der Figuren ist äußerst aufwendig gestaltet: die blauen Uniformen sind reich mit einst silbernen Bordüren versehen, die jetzt schwärzlich angelaufen sind. Um Plastizität zu erzeugen wurde den Farben häufig Metallflitter und kleinste Quarzsplitter beigemischt. Diese beginnen auf der Tafel im Kerzenlicht zu funkeln.
Auch die übrigen Accessoires sind aufs feinste mit Punkten und Spitzen bemalt, Details wie die Kandaren oder die Steigbügel aus kleinen Metallstücken und die doppelte Zügelführung, die Peitschen oder die Aufhängung der Kutsche aus dünnem Leder gestaltet. Man sieht den enormen Aufwand, den man für den Schmuck der Desserttafel des Fürsten betrieb.
Auftraggeber und Datierung
Auf keiner der zum Parforcejagd-Ensemble gehörenden Figuren ist eine Marke, eine Signatur oder eine Datierung zu erkennen. Für wen wurde der Tafelaufsatz gemacht? Anhaltspunkte zur Beantwortung geben die Uniformen. In vielen Details stimmen sie exakt mit den Personen auf dem in der Ausstellung neben dem Tafelaufsatz hängenden Gemälde überein, das eine kurfürstlich-bayerische Parforcejagd beim abschließenden Curée der Hunde zeigt und um 1750 datiert wird.
Vergleichbar sind die Farben der Uniformen, die Länge der hochgeknöpften Rockschöße, die Größe der Hüte und selbst das Zaumzeug der Pferde. Gemälde und Tafelaufsatz wurden offensichtlich für den jungen bayerischen Kurfürsten Max III. Joseph angefertigt, der 1745 im Alter von 18 Jahren die Regierung in Bayern übernommen hatte. Im Gemälde meint man in den feinen Gesichtern Porträts zu erkennen.
Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass mit den beiden Damen in der Terrakotta-Kutsche zwei ganz konkrete Personen gemeint sind: Rechts mit dem Fächer die Mutter des Kurfürsten und links seine Gemahlin, die junge bayerische Kurfürstin Maria Anna, die in aufrechter Haltung die (nur noch in Spuren erhaltenen) Lederzügel in den Händen hält.
Die ersten Erzeugnisse der Nymphenburger Porzellanmanufaktur
Natürlich fragt man sich, welcher kreative Kopf hinter dem Terrakotta-Jagdensemble steht. Die Überlegungen dazu muss man etwas erläutern. Bekanntlich heiratete Kurfürst Max III. Joseph 1747 die sächsische Prinzessin Maria Anna, deren Vater der Besitzer der Meißener Porzellanmanufaktur war. Noch im selben Jahr ließ Max III. Joseph in Schloss Neudeck in der heutigen Au eine eigene Porzellanmanufaktur einrichten. In dieser Zeit war die Technik der Porzellanherstellung noch ein großes Geheimnis, das man aus Meißen trotz der verwandtschaftlichen Beziehungen nicht in Erfahrung bringen konnte.
Man versuchte daher, das nötige Wissen durch drei Porzellanarbeiter aus Wien zu erhalten, die im November 1747 angestellt wurden. Leider ohne Erfolg, da der für den Brand zuständige Techniker schon nach zwei Wochen verunglückte. Der Modelleur und der Maler blieben aber in München und wurden noch bis Juni 1750 bezahlt. Vieles spricht dafür, dass die beiden damals die Parforcejagd aus hellem Ton gebrannt haben. Die Gruppe würde damit zu den ersten Erzeugnissen der später nach Nymphenburg verlegten kurbayerischen Porzellanmanufaktur zählen. Eine kleine Sensation, denn bislang sind keine konkreten Objekte aus dieser Produktion bekannt.
Vielen herzlichen Dank, liebe Dr. Katharina Hantschmann, für diesen großartigen zweiten Gastbeitrag bei mir. Er passt wunderbar zu „Nymphenburger Porzellan: ein Lustgarten en miniature„.
Jetzt heißt es für Euch: Verfolgt den Hashtag #BNMArtDogs ab dem 7. Februar, um 18:00. Knapp 30 Blogger und Bloggerinnen wandeln mit uns durch die Ausstellung. Wir haben uns einiges überlegt. Was das ist, erfahrt ihr dann in den Blogposts der Teilnehmenden. Nach #BarockerLuxus ist das nun der zweite BloggerWalk des Bayerischen Nationalmuseums. Wir sind alle hochmotiviert Euch teils ungewöhnliche Perspektiven auf „Treue Freunde. Hunde und Menschen“ vorzustellen. Die Ausstellung könnt Ihr noch bis zum 19. April 2020 besuchen!
Bayerisches Nationalmuseum
Prinzregentenstraße 3
80538 München
www.bayerisches-nationalmuseum.de
Öffnungszeiten: Di-Mi 10–17 Uhr, Do 10–20 Uhr, Fr-So 10–17 Uhr
Eintrittspreise: 12 € | ermäßigt 8 € | Kinder, Jugendliche unter 18 Jahre: Eintritt frei
Blogposts zum Bayerischen Nationalmuseum:
- „Ritter, Helden und Raufbolde„
- „Münchner Museumstour für Kinder mit Migrationshintergrund – Bayerisches Nationalmuseum (1)“
- „Waffen auf der Cadolzburg: Aufstieg und Niedergang der Armbrust„
- „Nymphenburger Porzellan: ein Lustgarten en miniature | #Lustwandeln“
- „Wimmelbilder in 3-D: Krippen im Bayerischen Nationalmuseum (2)„
- „Herr der Krippen in München: Max Schmederer. Sammler, Stifter, Visionär (1)„
- „Pieter Brueghel in 3D – die „Volkszählung zu Bethlehem“ neu interpretiert„
- „Christoph Brech: „Überleben“ im Bayerischen Nationalmuseum“
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