Susanne Schneider aka @sufloese hat mir vorgestern einen wunderbaren Gastbeitrag zu #KultDef zugesandt. Sie nimmt uns auf ihre Reise durch den großen „Kulturwald“ mit – Kultur bildhaft in Gleichsetzung mit einem Waldlauf – herrlich! Was hat der mit Hochkultur zu tun?
Tanja Praske hat bis zum 30. Juni zu einer Blogparade zum Thema „Was ist Kultur für mich…?“ aufgerufen.
Nun… ich habe keinen Blog, aber ich finde das Thema sehr spannend, habe schon all die Tage überlegt, was für mich Kultur ist und ob ich das überhaupt aufschreiben kann… Schließlich habe ich etwas darüber festgehalten:
Als Mitglied eines Orchesters komme ich tagtäglich mit verschiedenen Auffassungen von Kultur zusammen. Orchester, Konzerthäuser, Opernhäuser usw. werden oft auf die Bühne der Hochkultur gehoben. Hochkultur? Der Begriff klingt wie die Spitze eines Eisbergs. Wie oft ringt man an dieser Spitze um die „richtige“ Interpretation? Wie oft stürzen die hohen Ideale von dieser Spitze ab, weil man nicht an einem Strang gezogen hat? Wie oft werden mit kleinlichen Mitteln irgendwelche Befindlichkeiten wichtiger als die Sache an sich? Befindet man sich dabei nicht eher in einem (Kultur)dorf im Hochgebirge? Die Kulturseiten der Zeitungen sind voll davon. All das verstehe ich nicht primär unter Kultur. Das ist das, was einige dafür halten.
Ist Kultur überhaupt zu erklären?
Auf meinen Waldläufen der letzten Tage habe ich oft über dieses Thema nachgedacht. Wenn ich es überhaupt aufschreiben kann, dann vielleicht so:
Kultur ist für mich das, was wir auf unseren Lebenswegen aus dem Erlebten machen und wie wir es weitergeben. Kann man Kultur oder besser noch die vielen Kulturen, die über vergangenen Jahrtausende entstanden, nicht vielmehr mit einem Wald vergleichen, durch den viele Wege führen? Große, kleine, schöne, steinige, matschige, sandige, gerade, krumme, schmale, breite usw.? Und wir alle laufen auf den Wegen… jeder auf seine Weise… jeder erlebt andere Dinge in diesem Wald… jeder trifft andere Lebewesen… jeder geht ein anderes Tempo auf diesen Wegen… manche gehen gemeinsam, manche allein… man trifft sich, geht vielleicht gemeinsam und dann auch evtl. wieder getrennte Wege. Man entspannt im Wald oder erlebt Abenteuer, man treibt Sport oder geht einfach spazieren, man beobachtet Tiere, man genießt Düfte und vieles anderes mehr. Es wird wohl keinen geben, der nichts erlebt. Wenn wir dann aus dem Wald herauskommen, erzählen wir, dass wir im Wald waren und was wir da erlebt haben, wen wir getroffen haben… Jeder behält etwas zurück von dieser Zeit im Wald und viele werden wieder in den Wald gehen wollen.
Ist es nun nicht auch mit „der Kultur“ so? Egal, ob wir ins Konzert, ins Theater, in Museen, Galerien, Kunstausstellungen, Töpferwerkstätten, Kreativküchen oder „ich weiß nicht was alles“ (ich habe sehr viel weggelassen) gehen und dort Dinge erleben, es ist das „unterwegs“ sein, das „Finden und Erleben“, was über den Verbleib in unseren Sinnen entscheidet. Das können ganz einfache und unvollkommene Dinge sein wie zum Beispiel ein paar Holunderdolden zum Sirupmachen nach Urgroßmutters Rezept oder sehr komplizierte und durchgestylte wie ein durchorganisiertes Festival oder eine Orchesterspielzeit. Letztendlich wird es an uns liegen, wie und ob wir davon erzählen, damit es nicht ungehört im großen Wald verhallt, sondern in den Köpfen aller weiterlebt und im großen „Kulturwald“ bestehen bleibt.
Denn Kultur ist ein großer Wald mit vielen Wegen, die wir alle auf unterschiedliche Art und Weise beschreiten. Dieser Wald verändert sich, er lebt, es wachsen Bäume, es werden Bäume gefällt, es sind viele oder wenig Lebewesen darin, es wird Unwetter und Katastrophen geben, die wir nicht beeinflussen können. Der Wald wird von Förstern „bearbeitet“, eventuell in eine Art Park, einen Kletterpark oder ähnliches verwandelt. Dazu sind wir Menschen fähig. Nicht alle wollen den Wald in gleicher Art und Weise und jeder möchte ihn anders erleben. Oft wird hart darum gerungen, welche „Bearbeitung“ für den Wald gut ist. Doch der Wald ist nicht so empfindlich. Der Wald wird sich jedesmal wieder erholen, neue Wege werden entstehen, je nachdem, wieviele Menschen ihn benutzen. Und wenn wir den Wald sich selbst überlassen, wird ein undurchdringlicher Urwald daraus. Dann wird es schwer, ihn wieder begehbar zu machen…
Es wird auf die Art und Weise unserer Benutzung ankommen, wie der Wald sich entwickelt. An uns wird es sein, dass wir dem Wald seinen Platz lassen, ihn nicht mutwillig zerstören und auch nicht gewaltsam hochkultivieren. Es wird darauf ankommen, in den Wald zu gehen, um etwas zu erleben.
So ist für mich auch die Kultur. Jeder einzelne kann in den Wald gehen, etwas erleben, Wege begehen und zur Erhaltung des Waldes beitragen oder eben nicht. Wenn wir dann noch daran denken, dass ein Wald sehr wichtig für ein gesundes Klima auf der Erde ist, dann ist der Vergleich zwar etwas weit hergeholt, aber doch nicht ganz abwegig… Ein Leben ohne „Kultur“, die von uns allen gemacht und getragen wird, kann ich mir nicht vorstellen.
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Hallo Susanne,
ein toller Beitrag! Für mich ist ein solcher Vergleich eine Definition. Sie mag zwar nicht alles de-finieren im Sinne von Abgrenzen, aber sie sagt soviel über das Wesen aus. Das ist mir persönlich viel wichtiger. Lieber ent-grenzen (offenlegen) als eingrenzen.
Danke schön!
Dankeschön, lieber Peter!
Die Worte geben genau die Ergänzung wieder, die meinem Beitrag noch fehlt. Kultur kann man meiner Meinung nach nicht ein- oder abgrenzen. Sie ist vielmehr etwas, was wachsen muss und darf. Wir sollten sie nur gemeinsam wachsen lassen durch unser Betrachten, Erleben und Beleben. Das schließt Traditionen pflegen genauso ein wie Neues entstehen lassen. Lasst uns in den Kulturwald gehen ohne Grenzen zu fühlen oder zu schaffen…
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