Kulturbegriff – brauchen wir Kultur? #KultDef 1

Der Kulturbegriff ist facettenreich, bunt und individuell. Das zeigt die Blogparade „Kultur ist für mich …“ (#KultDef, 29.5.-30.6.15). Sie lief ähnlich und doch ganz anders ab als #KultTipp oder #KulturEr. Verbindendes Element ist die Vielzahl der Beiträge. Unglaubliche 74 Artikel kamen zusammen. Heizte ich im Vorfeld und zu Beginn die Blogparade via Twitter über positive oder negative Aussagen zum Kulturverständnis an (siehe das Storify #KultDef), so ließ ich zunehmend nach, denn #KultDef schlug ein und war tatsächlich ein Selbstläufer. Ich kam phasenweise kaum hinterher. Fakt ist: Kultur berührt und fordert heraus, mehr als ich dachte.

#KultDef; Blogparade; Kulturbegriff; Tanja Praske

Bunt, durchrüttelnd, gefühlsbeladend ist der Kulturbegriff, zumindest so, wie ihn die 74 Teilnehmer der Blogparade #KultDef verstehen.

Und weil die Blogparade #KultDef so viel anders ablief als ihre Vorgänger, weicht die Analyse von meiner bisherigen Verfahrensweise ab. Sie kommt erst, nachdem ich alle Beiträge für dich zusammengefasst habe. Ich will so deinen Appetit auf die Texte schüren, dich neugierig machen. Erwarte also keine leicht verdauliche Kost, sondern setze nach, mache dir selbst Gedanken zum Kulturbegriff, diskutiere erneut oder zum ersten Mal mit den Bloggern. #KultDef besitzt Relevanz, und das umso mehr vor den aktuellen gesellschaftspolitischen Ereignissen.
 

Der Kulturbegriff der ersten 24 Artikel von #KultDef

1. eeMBee: „Vliese und chemische Erotik“ (27.5.15)

Ein alter Mann jodelt und erzählt vom Krieg – so fängt der erste Post zu #KultDef an, noch bevor die Blogparade scharf ging. Auslöser war wieder einmal ein Twitter-Dialog zwischen @Mikelbower und mir. Ich überlegte laut im Netz, wie ich meine nächste Blogparade nennen sollte und Michael sorgte sich, es käme ein Lehrstück dabei heraus: Die professionelle Kulturschaffende lehrt mal wieder wie Kultur aufzufassen ist – schmarrn! Michael wusste also nur, es soll irgendwie um Kultur gehen und ping, hatte er die Idee: Der „Wortmischer“ schreitet zur Tat. Was er zusammenrührte ist klasse und passt prima zu #KultDef. Kultur ist überall, auch in den Produkten des alten Arbeitgebers, oder was sagst du zur chemischen Erotik?

„… feiern Atome Parties
In Speicheln gemischt,
zungenumschlungen …“.

Oder zu Vliesen:

„… Fasern deines Lächelns
zu Vliesen gefestigt,
schützen mein Seelchen…“.

2. Stephan M. Unter: „Kultur ist für mich …“ (29.5.15)

Ein Ägyptologe umreißt seinen Kulturbegriff, einen Kulturbegriff, der ihm im Studium begegnete und gleicht ihn mit dem ab, was ihn bewegt. Der Post ist eine Kombi aus Schrift und Audio. Beides lohnt sich genau zu lesen bzw. zu hören. Erstmals wird der lateinische Begriff „volere“ für cultus bemüht. Andere Teilnehmer von #KultDef folgen ihm darin mit ganz unterschiedlichen Erkenntnissen. Für Stephan ist Kultur mannigfaltig, profan, tiefgründig. Nachdenklich stimmte mich seine Strukturierung von Kultur a) der Wissenschaften, b) als Abgrenzung und c) Basis dynamischen Wachsens „Kultivieren“. Sein Fazit: „Kultur ist für mich die Suche des Menschen nach sich selbst. Mit all ihren Konsequenzen“.

4. Kinder: „Kultur ist für mich … Kinderkultur – Kultur der Kinder“ (1.6.15)

@HelenKnauf unterscheidet zwischen a) Kultur für Kinder, d.h. kulturelle Angebote für diese, Lob und Kritik inklusive und b) Kultur von Kindern. Sie schaffen selbst neue geistige Gebilde und werden zu handelnden Subjekten. Ihr nach fehlt eine Diskussion beider Punkte. Aktueller denn je, bezogen auf Flüchtlingssituation und #ParisAttack, ist der Aspekt der inklusiven Kraft von Kinderkultur. Sie ist identitätsstiftend und entsteht (scheinbar) ungesteuert von den Erwachsenen. Spannend: Keine Inklusion ohne Exklusion.

5. Kulturtussi: „Kultur aus meiner Sicht“ (1.6.15)

Anke startet mit einer Zeichnung: ein Radlfahrer auf seinem Drahtesel ohne Reifen, der Spruch dazu „Nicht-Vorwärtskommen“ Kultur auf dem Weg in die Zukunft“ – trist, oder? Sie zitiert weitere Sprüche, wie „Kultur ist, wenn man’s trotzdem macht“ oder „Kultur gehört nicht zur Daseinsfürsorge“. Die Diskutanten greifen das auf. Anke geht auf die Funktion von Kultur ein, von Literatur (=Nahrung für die Seele), Musik (=pure Emotionen), berichtet über zweischneidige Willkommenskultur für Flüchtlinge sowie über Projekte, die sie bewegen. Sie verwahrt sich vom vorherrschenden Mangeldenken in und um Kultur. „Kultur kann heilen!“, so Anke.

7. Bambooblog: „Blogparade: Was ist Kultur für dich?“ (3.6.15)

Sie schaut, welche Begriffe es im Chinesischen gibt, die Kultur betreffen. Sie sind verwandt mit und weichen doch von unserem Kulturbegriff, da sie verändern, wandeln oder etwas vom Menschen Gemachtes bezeichnen. Zwei Konstanten bilden sich dabei heraus: a) Wandel sowie b) Bildung, Zivilisation – beides hängt mit dem chinesischen Kulturbegriff zusammen. Für Ulrike ist es wichtig, sich mit alten Kulturen zu befassen.

9. micp: „Kultur ist für mich … fragil“ (4.6.15)

@eubulia sieht in der Kultur „eine bedrohte Art, ein bedrohtes Miteinander“. Kultur benötigt Forderung und Freiraum, jenseits von Investmentinteressen der Immobilienbranche, jenseits von Stadtmarketing, das sich nur an Großevents heranwagt. Kultur darf kein unerwünschtes Milieu werden, genau so wenig darf es Verkürzungen über das Buzzword „Kreativwirtschaft“ geben, in dem Kultur als Standortvorteil gesehen wird. Seine Thesen macht er an Hamburg fest. Ist das so, lieber Leser?

10. Cronenburg: „Kultur! Hundifiziert euch“ (4.6.15)

Petra aka @buchfieber startet mit der lateinischen Herleitung von „cultura“ im Sinne von Etwas, das der „Mensch selbst gestaltend hervorgebracht hat“. So viel Wahres steckt in ihrer Aussage: „Weil der Mensch aber oft ein Mistvieh ist, gebraucht er seinen Kulturbegriff gern als Waffe. Es ist ein Genuss, ihrer Sprach- und Bildgewalt zu folgen. „Da keift die Hochkultur gegen die Trashkultur und der Popkulturpinscher pinkelt den konservativen Kampfhund ans Bein“. Konsequent muss Kultur hundifiziert werden, und prompt ist Bilbo im Gespräch mit Ismo über Klischees aus der Menschenwelt aus Hundesicht verstrickt. Ihr Passus zu Selfies erinnert mich stark an die #Selfierade. Klarer Lesetipp!

12. GenussTouren: „Kultur in Südafrika“ (6.6.15)

Wie funktioniert Kultur in einem Land, in dem es elf Amtssprachen gibt? Was hat das mit der Siedlungsgeschichte Afrikas und der Apartheid zu tun? Und wie kann man heute den Mix verstehen? Diesen Fragen geht @genusstouren nach. Es wird ein Abriss der Geschichte Afrikas geboten sowie afrikanische, indische, holländische, englische sowie französische Charakteristiken aufgezeigt. Eine bunte und spannende Tour durch die Besonderheiten Südafrikas. Weißt du, was der „WhiteElephant“ ist? Nein? Dann lies!

13. Iliou-Melathron: „Kulturbegrifflichkeiten analog und digital“ (7.6.15)

@cogries widmet sich dem bzw. seinem Kulturbegriff, trotzdem er diesen recht skeptisch beäugt. Zu sehr schwanke Kultur von endlosen Bedeutungsweisen bis hin zur Sinnentleerung. Das Resultat ist ein Gewaltritt durch die Kunstgeschichte – analog wie digital, also, ausreichend Lesestoff für die nächsten Stunden und Tage und genügend Denkstoff für Wochen. Kultur bietet Orientierung. Im 21. Jahrhundert ist das aber kein geschlossenes System mehr und benötigt deshalb neue Konzepte im Umgang. „Kultur braucht das Sichtbare und das Unsichtbare, das Analoge und Digitale“, so Christian. Er fordert mehr „Mut zum Experiment und zur Perspektive“.

14. Notizhefte: „Kultur ist – und erst recht für mich“ (7.6.15)

@citoyenberlin geht von einem altbackenen, eingeschränkten Kulturbegriff aus, da er vieles, was en vogue war oder ist, nicht vertiefend kennt und nicht kennen muss. Die Welt der Operneinspielungen ist die seine. Dafür verhandelt er seine „Kulturthemen“ im Blog. Kinder und Jugendliche sollen Kultur jenseits des Kommerzes wahrnehmen, so fordert er. Deshalb sei es wichtig, Kunst und Musik in der Schule zu unterrichten.

15. Historytoby: „#KultDef“ (7.6.15)

Nach @historytoby ist Kultur der „menschliche Gegenentwurf zur Natur“. Er stellt die unberührte Natur dem anthropogenen Klimawandel gegenüber. Was wir unter „Natürlichkeit“ verstehen sei nicht selten als „Produkt der Kultur zu entlarven“. So resultierten die Nationalparks Afrikas und Nordamerikas kolonialen, teils genozidalen Prozessen. Er thematisiert die Gleichstellung von homosexuellen Menschen. Was wir als Natur verstehen, sei nicht selten Kultur, so @historytoby.

16. KulturNatur: „Kultur ist für mich …“ (8.6.15)

„ … auch gesellschaftliches Bewusstsein & Übereinkommen“. Die ersten zwei Sätze, die Nadine in ihrer ersten Vorlesung als angehende Kulturwissenschaftlerin hörte, lauteten: „Die Suizid-Rate ist bei Kulturwissenschaftlern höher als bei anderen Studenten“ und „es gibt nicht die eine Definition vom Kultur“. Wieder begegnet uns die Aussage: Kultur ist „all das, was vom Menschen gestaltet wurde und Natur ist der Rest“. Am Beispiel des Nationalparks Bayerischer Wald kommt sie zu einem ganz ähnlichen Schluss wie @historytoby: „Ist nicht die allermeiste sogenannte Natur (…) heutzutage auch Teil der Kultur?“.

17. ClearSky-Blog: „Blogparade: Kultur ist für mich #KultDef“ (8.6.15)

Astronomie, Natur und Kultur werden von @gottie29 ins Verhältnis zueinander gesetzt. Cultura wird bemüht. Danach ist Natur „wie sie ist“ und „Kultur das, was der Mensch ändert und hervorbringt“. Dieser Anspruch wird auf die Astronomie umgemünzt, die eine Kultur(technik) ist, da sie mit dem Teleskop die Natur, hier das Weltall, beobachtet. Dadurch wird das Verständnis von Natur erweitert. Für @gottie29 ist Astronomie untrennbar mit Kultur verbunden. Der Sternenhimmel ist nach ihm Kulturgut. Planetarien bringen die Kultur der Sterne näher und müssen deshalb unterstützt werden.

18. Pyrolirium: „Kultur ist … das ganze pralle Leben“ (9.6.15)

@citoyenberlin stiftete Susanne zur Teilnahme an #KultDef an – wie fein! Sie besitzt einen ähnlich altbacken verrufenen Kulturbegriff wie Norman. „Kultur ist alles, was nicht Natur ist und damit ist alles Natur“ – hä? Ihre Auffassung von „Kultur der Lebensgestaltung“ und „Leben mit Kultur“ bringt Licht ins Dunkel: 1. „Kultur hat keine Funktion, da man ohne sie leben kann“, 2. „Kultur zu genießen/würdigen hat etwas mit Wissen zu tun“. Ihr Fazit: „Kultur genießen ist gut, die eigenen Fähigkeiten zu kultivieren, ist besser“.

19. Zwo43: „Sie leben von Dingen, die sie liehen (Gottfried Benn)“ (9.6.15)

Für @MartinLaetzel hat Kultur den „Hang zur Individualität und einen kollektiven Charakter“. Das ist untrennbar mit a) der Möglichkeit, der Erörterung, b) dem Können und c) dem Ich verbunden. Zu a) führt Martin den Zusammenhang von Kultur und Zivilisation aus, denn „wo es keine Möglichkeit gibt, über Kultur zu reflektieren, wo keine Freiheit herrscht, gibt es keine Zivilisation und Kultur wird pervertiert“. B) hängt mit Bildung und Kultur zusammen. Sie sind zwei Seiten einer Medaille. Das Ich (c) als „handelndes Individuum“ ist „wesentlicher Teil der Kultur“. Kulturträger und Beetpflege gehören zusammen. Kryptisch, oder? Tja, dann einfach genau lesen!

23. Kultur-blog: „Kultur in Zeiten des digitalen Wandels“ (11.6.15)

Wo liegen die Chancen für die Kultur in Zeiten der Vernetzung? Das fragt @SabineHaas. Sie stellt drei Thesen dazu auf: 1) „Kunst und Kultur ist bunt, vielfältig und individuell“. Es geht um die schöpferische und kreative Freiheit, dabei ist die Reichweite im Netz nicht entscheidend, sondern die Interessen des Publikums. 2) „Kultur lebt von Beziehung und Emotionen“ und wird durch ihr Publikum lebendig, Kultur wird so zum Erlebnis. 3) „Kultur ist ein Instrument der „stillen Vernetzung“. Die „Bildungsbürger-Konformität ist aufgelöst“, es herrscht die „Heterogenität der Interessen“. Genau das sind die Chancen der Kultur in Zeiten des digitalen Wandels.

24. JaelleKatz: „Vom Kulturbeutel zu Kafka: Eine Blogparade“ (11.6.15)

@jaellekatz schildert ihre Erstbegegnung als Kleinkind mit dem Begriff „Kultur“. Der Kulturbeutel und das Kulturhaus prägten diesen. Ohne ihre Großmutter und eine Bekannte wäre sie nicht zur klassischen Musik gekommen. Was haben Porzellangeschirr und Schwammlätzchen am Sonntagmorgen mit klassischer Musik zu tun? Was empfand sie, als sie erstmals durch eine Bekannte mit der Aufführung eines Kirchenchors konfrontiert wurde? Sie brachte ihre Kinder zur klassischen Musik. Denn Kultur funktioniert nur über kultivieren, wie sie später im Studium erfuhr. Ihr Zugang zur Kultur ist ein persönlicher. Sie hält es mit Kafka: „Wer es nicht wagt, durch seine Tür hindurchzugehen, dem bleibt sie verschlossen“. Sehr lebendige Diskussion des Posts!

Kurze Statements zu #KultDef

@Modelamong reagierte auf die Twitter Dialoge und schickte mir am 30.6.15 einen Gastbeitrag via Mail (3). Er berührte und freute mich sehr. So macht Bloggen Spaß und so lohnt sich die Arbeit einer Blogparade. Modelamong fühlte sich zunächst am Kulturbegriff gescheitert. Weit gefehlt, oder was sagst du zu seinem Fazit: „Kultur ist für mich das Leben. In all seinen Facetten“.

@Feedforth schreibt auf Ognozo (5), dass Kultur das wird, „was entsteht, weil es relevant ist“. Für ihn ist Kultur „die Hoffnung, dass etwas Leben unseren Körper überdauert, obwohl man uns schon bald vergisst“ (1.6.15).

Für Jürg Kobel von SocialMediaBerater (8) ist Kultur vielfältig, aber vor allem „schlicht das Herz“ (5.6.15).

Für „my little world in pictures“ ist Kultur (11) ein Grafitti (5.6.15).

Ingo von eHotel spricht über Kultur als das Salz in der Suppe (20). Er führt das an Berlins mannigfaltigen Kulturangeboten aus – ein kleiner Parforceritt durch die Berliner Kulturlandschaft (9.6.15).

Faszinierend ist Monika Heusingers Beitrag zu #KultDef (21), eine feine Infografik zur Kult(o)ur. Treffend zitiert sie Dietrich Bonhoeffer: „Kultur ist der Spielraum der Freiheit“ (10.6.15).

Marion von @Atelier_MaMuk bringt einen Spruch zu #KultDef (22) begleitet von einem Kunstwerk: „Kultur ist für mich … Kult-UR: eine religiöse oder spirituelle Praxis im (ur-)Strom der Zeit“ (10.6.15).
 
 
Lass dir Zeit diese fantastischen ersten 24 Beiträge zu lesen. Lese sie! Sie bereichern und regen an. Es gibt Überschneidungen in der Diversität der Gedanken. Mosaiksteinchen wird zu Mosaiksteinchen gefügt.

Was berührte dich besonders? Worin stimmst du überein? Was fordert dich heraus? Und liebe Teilnehmer, was sind eure Gedanken, wenn ihr #KultDef erneut lest? Her damit!

4 Kommentare

  1. Pingback: Definition von Kultur - warum? #KultDef 2

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  3. Halo Tanja,
    vielen Dank für den Überblick und die Zusammenfassung. Meinen Beitrag hast Du in wenigen Worten toll auf den Punkt gebracht.
    Liebe Grüße
    Stefan

    • Tanja Praske

      Lieber Stefan,

      danke dir vielmals für deinen Beitrag!

      Die ersten 24 Posts versammeln wunderbare Sichtweisen auf Kultur. Hier steckt viel Stoff zum Weiterdenken drin. Ich bin nochmals geplättet, wie viele Blogger die Blogparade mobilisiert hat. Ein Thema also, das berührt und wichtig ist.

      Schönen Sonntag!

      Herzlich,
      Tanja

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