Im frühen Herbst durfte ich das Kröller-Müller Museum erkunden. Es liegt in der Nähe von Arnheim, im Niederländischen Nationalpark „De Hoge Veluwe„, in etwa 140 Kilometer westlich von Münster oder 110 nordwestlich von Duisburg. Ist euch, aus Liebe zur Kunst und zur Natur, die Reise wert? Was erwartet euch dort?
Ein Ausstellungsbericht über einen Ort, der in diesen Monaten den ‚Nabel der niederländischen Museumswelt‘ darstellt. Vincent van Gogh, der sonst hier alle Blicke auf sich zieht, ist wohl einverstanden.
Kröller-Müller – ein Museum wie viele andere?
Schon einmal vorweg: Das Kröller-Müller Museum ist ziemlich außergewöhnlich. Welches mittelgroße Kunstmuseum liegt in einem Nationalpark, abgeschieden von dicht besiedelten Regionen und inmitten wenig kultivierter Natur? Welches niederländische Museum wurde von einer Frau aus dem Ruhrgebiet gegründet? Als eine der ersten Kunstliebhaber sammelte Helene Kröller-Müller (1869-1939) Werke von Vincent van Gogh: 90 Gemälde und über 180 Zeichnungen – die zweitgrößte Van-Gogh-Sammlung der Welt. Welches Kunstmuseum verfügt außerdem über einen Skulpturenpark mit mehr als 25 Hektar Fläche und über 160 Skulpturen?
Darüber hinaus präsentiert Kröller-Müller bis Anfang Februar 2019 „For the love of art“: eine Sonderausstellung von 80 Neuerwerbungen aus über 40 Museen in den Niederlanden. Daher spreche ich jetzt gerne vom Kröller-Müller als vom ‚Nabel der niederländischen Museumswelt‘. Was steckt hinter dieser Ausstellung?
Uhr grüßt spanische Wand
Wie stellt man 80 Kunstwerke aus 40 Museen aus – und weshalb? Die Sonderschau umfasst Gemälde, Skulpturen, Keramik, Installationen, Graphik, Fotoaufnahmen, Möbel, Kunsthandwerk – eine große Uhr, eine spanische Wand und einen riesigen Gobelinteppich. Der gemeinsame Nenner: alle Ausstellungsstücke sind Neuerwerbungen aus den vergangenen 10 Jahren – angekauft mit Unterstützung vom Rembrandt-Verein: „Vereniging Rembrandt„.
Zuerst war ich gespannt auf die Konzeption und die Formgebung. Wie stellt man ein solche bunte Mischung aus, ohne dem Besucher das Gefühl zu geben, er bewege sich in einem Auktionshaus oder Museumsdepot? Was tun, wenn inhaltliche oder historische Zusammenhänge nicht von vornherein gegeben sind?
Neo Rauch grüsst Andries Copier
Der ‚goldene Griff‘ war, dass man Gastkonservator Peter Hecht den Stylisten und Gestalter Maarten Spruyt zur Seite gestellt hat. ‚Auf Teufel komm raus‘ haben die beiden inhaltliche und formale Bezüge herausgearbeitet und durch unkonventionelle Gegenüberstellungen Akzente gesetzt. Daher trägt die Ausstellung das Motto: „ein Fest unerwarteter Begegnungen“. Spannend dabei: der Besucher trifft auf ihm bekannte Kunstwerke an unerwarteter Stelle UND die Kunstwerke begegnen sich! Mittels der Gegenüberstellung erzählen sie von sich und von einander.
Mein Lieblingsbeispiel ist die Begegnung von Neo Rauch’s Gemälde „Gewitterfront“ mit Andries Copier’s Likörkaraffe:
Grüne, runde Formen prägen beide Kunstwerke; die Mütze und der Stopfen setzen das i-Tüpfelchen oben drauf!
Gegenüberstellungen dieser Art gibt es mehrere in der Ausstellung. Sie erinneren mich an die Hängung der Gemälde in der Barnes Foundation in Philadelphia (ich war leider nie dort). Gründer Albert C. Barnes (1872-1951) „taught people to look at works of art primarily in terms of their visual relationships„. Die Barnes Foundation zieht heutzutage diese Linie auch online durch, indem man die Sammlung mit Filtern für Farbe, Linien, Licht und Raumwirkung durchblättern kann.
Louise Bourgeois grüßt Mark Manders
Im Erweiterungsbau vom niederländischen Architekten Wim Quist (1975-1977) gibt es einen Saal (8) mit ungeheuer schöner Licht- und Raumwirkung. Auch wenn der Raum komplett leer wäre, ginge ich gerne hinein, um dort einen Moment für mich zu haben. „For the love of art“ stellt hier u.a. die Installationen „Cell XXVI“ von Louise Bourgeois (2003, Sammlung Gemeentemuseum, Den Haag) und „Mind Study 2010-2011“ von Mark Manders (Sammlung Bonnefantenmuseum, Maastricht) gegenüber. Sie zeigen menschliche Figuren in schwieriger Lage.
Die Ausstellungsstücke und ihre Anordnung sind es, die zunächst ins Auge fallen. Die einführenden Ausstellungsvideo (Trailer) deuten weiter Kombinationsbeispiele an.
Das Auge des aufmerksamen Betrachters bekommt mehr in der Ausstellung geboten: ein raffiniertes Design.
Design mit Pfiff
Gestalter und Stylist Maarten Spruyt entwarf die Einbettung der Objekte in den Räumen und die Beleuchtung. Diese Formalien fallen zunächst nicht auf. Schauen wir uns nochmals um in dem Saal, wo die Uhr und die spanische Wand gezeigt werden:
Ein zartes, helles Grün dominiert – abgestimmt auf Farben im Wandschirm. Als baulich-tragendes Element geht im Raum ein schmaler Pfeiler aus grauen Backsteine hoch. Diese Backsteine kennzeichnen den Erweiterungsbau des Museums, von innen und von aussen.
Dieses Backsteinmotiv benutzt Spruyt in Druckform als ‚Bekleiding‘ für die Bänke und Sockel im Ausstellungsraum:
Außerdem benutzt er das Licht- und Schattenspiel in der das Museum umgebenden Natur als Design für die Sitzfläche der Bank und für den Standsockel der Vitrine mit den Keramikfiguren.
Natur, Architektur, Kunst
Die Printmuster bleiben sehr verhalten, sie drängen sich nicht auf. In einem Interview im Begleitheft „Als kunst je lief is“ (S. 16-19) betont Spruyt, sie haben eine dienende Funktion, sie sollten den Objekten Harmonie, Raum und Zusammenhang geben.
Dem Interview habe ich auch entnommen, dass die Printdesignfotos, die die umgebende Natur schattenhaft widerspiegeln, vom Museum aus aufgenommen worden sind – durch die Fensterscheiben hindurch. Somit verlassen wir das Museum keinen einzigen Augenblick, aber die Natur darf sich drinnen kund tun und mitschwingen. Wir werden in einem späteren Blogpost sehen, dass dies ganz im Sinne der Gründerin und Namensgeberin ist. Helene Kröller-Müller würde sich freuen und ihr beliebter Philosoph Spinoza lässt grüssen (‚das Göttliche ist in allem vorhanden‘)! 1
Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte; das gilt umsomehr für bewegtes Bild. Das (niederländisch gesprochene) Vlog der beiden jungen Damen von „My Daily Shot of Culture“ gibt uns schöne Einblicke in die Ausstellung und das Design:
Vereniging Rembrandt und die ‚Collectie Nederland‘
Zurück zum Inhalt dieser Jubiläumsausstellung. Gezeigt werden rund 80 Ankäufe aus 40 niederländischen Museen, die in den letzten 10 Jahren mit Unterstützung (unter anderem) der 135-jährigen Vereniging Rembrandt erworben wurden. Die Vereniging Rembrandt engagiert sich als Privatorganisation für den Schutz und die Bereicherung der niederländischen öffentlichen Kunstsammlungen. Diverse Aspekte des Sammelns für die ‚Collectie Nederland‘ (Sammlung Niederlande) werden in der Ausstellung thematisiert: Wie und warum wurde und wird gesammelt, welche Kriterien werden dabei herangezogen, welche Veränderungen ergaben sich im Laufe der Jahre?
Museen aus den ganzen Niederlanden, egal wie groß oder klein, Publikumsmagnet oder bescheiden-regional, können finanzielle Unterstützung beantragen, wenn sie einen bedeutenden Ankauf tätigen wollen. Ziel der rund 15.500 Mitglieder ist, dass auch künftige Generationen in öffentlichen Museen für die Niederlande bedeutsame Kunst sehen und weitergeben können. Seit seiner Gründung hat der Verein zum Kauf von mehr als 2.200 Werken beigetragen. In den letzten 10 Jahren wurden mit Unterstützung des Verbandes insgesamt 280 Käufe getätigt. In den letzten 70 Jahren hat Vereniging Rembrandt das Kröller-Müller-Museum bei insgesamt 40 Neuerwerbungen unterstützt. Gibt es im Deutschen Sprachraum eine ähnliche Institution?
Was ist denn genau diese ‚Collectie Nederland‘? Als kollektive Schirmherrin trägt Vereniging Rembrandt dazu bei, Meisterwerke für die Niederlande zu erhalten oder wichtige niederländische Kunst an ihren Herkunftsort zurückzubringen. Aber sie verfolgt auch die späteren Entwicklungen der Kunst bis in die Gegenwart. ‚Collectie Nederland‘ will breit gefasst werden; es geht auch um den internationalen Kontext ’niederländischer‘ Kunst. Auch in früheren Zeiten haben Künstler viel gereist und in anderen Ländern gearbeitet. Daher ist der Begriff ’niederländische Kunst‘ sehr dehnbar. Inspiration ist nicht regional gebunden!
Gastkonservator Peter Hecht, emeritierter Professor für Kunstgeschichte an der Universität Utrecht und Fellow der Vereniging Rembrandt, hat, begleitend zur Sonderschau, ein nüchtern-humoristisches-leidenschaftliches Plädoyer für die Sammlertätigkeit der öffentlichen Museen (und somit für die Arbeit des Rembrandt-Verbandes) geschrieben. Es trägt den programmatischen Titel: „De Collectie Nederland is niet af“ (die Sammlung Niederlande ist nicht abgeschlossen). Anhand vieler in Kröller-Müller gezeigter Kunstwerke belegt er die unterschiedlichen Gesichtspunkte, die in wechselnden Zeiten bei Ankäufen von Museen eine Rolle gespielt haben. Die Zeiten werden auch weiterhin wechseln; daher ist behutsames, kluges, mutiges Sammeln auch weiterhin ein Muss!
Die Ausstellung ist an diesem Ort genau richtig! Gründerin Helene Kröller-Müller widmete sich ein Leben lang der Zusammenführung einer spektakulären Sammlung moderner Kunst – insgesamt fast 11.500 Kunstwerke – und der Schaffung ‚Ihres‘ Museums, das sie der Gemeinschaft schenkte. Aufbauend auf dieser Grundlage sammelt das Museum bereits 75 Jahre fleissig weiter. Helene’s Kollektion ist eine der größten und bedeutendsten Privatsammlungen des 20. Jahrhunderts, die dem öffentlichen Besitz übergeben wurden. Ein zweiter Blogpost wird sich mit dieser Sammlerin und mit dem Museum als solches beschäftigen.
FAKTEN ZUM KRÖLLER-MÜLLER MUSEUM
Kröller-Müller Museum
Houtkampweg 6
NL – 6731 AW Otterloo
Website
Info zur Anfahrt
„For the Love of Art“- Ausstellungswebsite: deutsch und englisch
Saaltexte (pdf; niederländisch/englisch)
Presse (niederländisch/englisch)
Praktische Info zum Skulpturengarten
Öffnungszeiten
Dienstag bis Sonntag & Feiertag, 10 bis 17 Uhr
Geschlossen: Montags und am 1. Januar
Der Skulpturenpark schliesst um 16:30 Uhr.
Eintrittspreise
Kombiticket: Nationalpark De Hoge Veluwe + Museum:
19,- Euro regulär | 9,50 Euro Kinder (2018)
Das Museum liegt mitten im niederländischen Nationalpark De Hoge Veluwe. Deshalb zahlt ihr als Museumsbesucher auch Eintritt für den Park.
=>Das Kröller-Müller Museum gewährte mir freien Eintritt – vielen herzlichen Dank dafür!
1. Vgl. Eva Rovers‘ magistrale und umfangreiche Biographie „Sammeln für die Ewigkeit. Helene Kröller-Müller: die bedeutendste van Gogh-Sammlerin der Welt“, Oberhausen: ATHENA-Verlag 2016, S. 64
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