Dieser Gastbeitrag von Katharina Schwinn von der Galerie Bender passt ganz hervorragend zur aktuellen Diskussion über die Banalisierung der Kunst, dieses Mal aus Galerie-Sicht. Darf der Besucher alles anfassen, um zu begreifen? Tut er das denn im Museum? Was ist Kunst?
Anfassen, um zu begreifen?
Über den Umgang mit Kunst im Ausstellungsraum
Oft werde ich scherzhaft von Besuchern gefragt, ob die weißen Eames Chairs in unserer Galerie zum Sitzen gedacht sind oder schon Kunst sind. Daraus könnte man einerseits eine hohe Wertschätzung dieser Designerstücke ableiten, andererseits weist die Frage aber auch auf eine gewisse Unsicherheit allen Objekten gegenüber hin, die sich in einer Galerie befinden. Schließlich gibt es nichts schlimmeres, als die Leute, die sich im Museum versehentlich auf den Kubus von Sol LeWitt setzen, über einen Schlitten von Beuys stolpern oder ein anderes modernes Kunstwerk nicht als solches erkennen und durch Betreten, Draufsetzen oder Umwerfen im schlimmsten Fall sogar beschädigen. Daher wird dem Designerstuhl in der Galerie auch mehr Ehrfurcht und Vorsicht entgegengebracht als im heimischen Wohnzimmer.
„Skulpturen sind wie Frauen“
Doch es gibt – und damit kommen wir zum eigentlichen Thema dieses Textes – auch andere Besucher. Diese klopfen ungeniert gegen Skulpturen und fassen auf Oberflächen, um deren Beschaffenheit oder Materialität zu erfühlen. Freundliche Hinweise seitens der Galeristen, die Objekte mögen bitte nicht berührt werden – weil man A: nicht jeden Tag nachpolieren möchte oder B: die Arbeiten beschädigt werden können – werden teils brüsk abgewehrt. Ein Herr erklärte mir kürzlich, Skulpturen seien „wie Frauen“, man müsse sie „anfassen, um sie zu begreifen.“ Seine nebenstehende Gattin schien ein wenig peinlich berührt und auch besorgt angesichts dieses Bekenntnisses.
In unserer letzten Ausstellung „Mostly Monochrome“ zeigten wir unter anderem Arbeiten des Italieners Alfonso Fratteggiani Bianchi, der pures Pigment in umbrischen Sandstein reibt. Der „pudrige“ Charakter des reinen Pigments und die dadurch samtene Oberfläche lassen die Farben völlig ungetrübt erfahren. Nachdem bereits auf der Vernissage eine Dame der verführerisch samtenen Oberfläche nicht widerstehen hatte können – und hinterher mit hochrotem Kopf das blaue Pigment von den Händen waschen musste – entschloss ich mich, zur Sicherheit ein Schild neben den Arbeiten anzubringen mit dem Hinweis, sie bitte nicht zu berühren.
Flucht mit Pigment-verschmierten Fingern
Es nützte nichts. In einem unbeobachteten Moment fasste ein Besucher nicht nur eine, sondern gleich zwei der hochempfindlichen Arbeiten an. Der Tapser auf der blauen Arbeit wäre ja noch zu verkraften (und restaurieren) gewesen, aber mit dem blauen Finger dann noch mitten auf die daneben hängende rote Arbeit zu fassen, grenzte dann fast schon an mutwillige Zerstörung. Beide Arbeiten mussten zurück zum Künstler geschickt werden, der Besucher verschwand ohne ein Wort zu sagen. Den Schaden bemerkten wir erst, als er mit blau-roten Fingern längst über alle Berge war.
Kann man „Anfasser“ erkennen? Nach etlichen Messen ist die Erkenntnis so klar wie unbefriedigend: Nein, man sieht es den Leuten nicht an. Kleidung und Auftreten verraten nichts über die Art und Weise, wie jemand einem Kunstwerk begegnet. Am ehesten kann man noch Kindern zwischen fünf und 15 vertrauen, diese werden vor dem Betreten eines Ausstellungshauses oder einer Messe ermahnt „mit den Augen zu schauen und nicht mit den Händen„. Die Kinder, die auf der letzten Art Karlsruhe in Windeseile den rosa Riesenhasen von Ottmar Hörl bekletterten, sind von diesem Lob ausgenommen. Aber der Hase war schon sehr verführerisch und Ostern stand ja auch noch vor der Tür.
Kokettieren mit der „Berührungsangst“
Mit der Erweiterung des Kunstbegriffes in der Moderne ist es für den Betrachter schwieriger geworden, Kunst als solche zu erkennen, da sie – überspitzt gesagt – nicht mehr als gerahmtes Gemälde an der Wand hängt oder als Skulptur auf einem Sockel steht. Vielmehr kommt sie in neuen Erscheinungsformen daher; da wird ein Flaschentrockner zur Skulptur erklärt (Duchamp) oder die Überreste einer Mahlzeit werden samt Geschirr an der Tischplatte befestigt und an die Wand gehängt (Spoerri).
Viele Künstler spielen auch mit der „Berührungsangst“ bzw. dem „Berührungsverbot“ von Kunst. So rief Valie Export mit ihrem feministischen „Tapp- und Tastkino“ Passanten dazu auf, ihren nackten Oberkörper durch einen vorgeschnallten Kasten mit zwei Öffnungen zu berühren.
Auch die Entdeckung neuer Materialien lädt natürlich zum Anfassen ein, so erwarb Piero Manzoni in einem Frankfurter Dekorationsgeschäft ein Stück einer neuartigen Kunstfaser aus extrem langem, künstlichen Haar. Gerahmt wurde das gute Stück in der Ausstellung „Europäische Avantgarde“ in Frankfurt 1963 gezeigt. Die Besucher „reagierten verwirrt auf das wuschelige Objekt (…) Nicht alle verstanden, dass sie hineinfassen sollten, um sich von der Sensorik des brandneuen Stoffs elektrisieren zu lassen.“ [Cola Zero, In: MONOPOL 3/2015, S.74]
Manchmal möchte man aber auch den Nimbus des Werks durch Berührung aufnehmen, ähnlich wie manche Menschen einen Prominenten anfassen möchten. Ein Sammler flüsterte mir vor Jahren einmal aufgeregt zu, er habe ein weltbekanntes Gemälde eines spanischen Alten Meisters berührt. Dabei hielt er seinen Finger in einer Weise hoch, die mich kurzzeitig vermuten ließ, er habe besagten Finger seitdem nicht mehr gewaschen.
Moderne Kunst verleitet mehr zum Anfassen als die Alten Meister; Skulpturen reizen den Tastsinn mehr als Gemälde. Die Werke in einem Museum sind durch Alarm nicht nur gegen Diebstahl gesichert, sondern auch vor Berührung geschützt. Der Schmutz und das Hautfett tausender Finger würden sonst auf Dauer immensen Schaden anrichten. Sichtbar wird dies an Bronzeskulpturen im öffentlichen Raum, die durch jahrelange beiläufige Berührung der Passanten an manchen Stellen blank-poliert sind. Wenn die musealen Bewegungsmelder nicht so teuer wären, würde so mancher Galerist nicht nur seine Ausstellungsräume, sondern auch den Messestand damit ausstatten.
Im Wohnzimmer ist Anfassen erlaubt
Als Faustregel gilt: wenn Kunstwerke ausdrücklich berührt werden dürfen, wird meistens in irgendeiner Form darauf hingewiesen. Wenn also nicht explizit dazu aufgefordert wird, sollte man sich also besser zurückhalten, das Werk mit anderen Sinnen als dem Sehsinn zu begreifen. Andernfalls macht man sich im besten Fall einfach nur unbeliebt beim Galeristen. Im schlimmsten Fall beschädigt oder zerstört man das, was man ja eigentlich so schätzt: die Kunst.
Die eigene Gattin sowie sich im eigenen Wohnzimmer befindliches Kunstgut sind von diesem Berührungsverbot selbstredend nach wie vor ausgenommen.
Katharina Schwinn
arbeitet seit 2008 in der Galerie Renate Bender
Adresse: Türkenstr. 11, 80333 München – www.galerie-bender.de
Fotos: Galerie Bender, 2015.
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Vielen Dank für das nette Feedback! Die Sicht eines Restaurators auf das Thema wäre sehr spannend!
Wunderbarer Beitrag, der mich sehr zum Schmunzeln brachte! Das mit dem Anfassen oder eben nicht ist schon eine schwierige Kiste in der Kunstvermittlung. Denn leider steht es nicht immer ausdrücklich daneben, wenn das erwünscht ist. Oder zu versteckt, so dass der unerfahrene Betrachter es nicht findet.
Ich denke immer, dass man eigentlich auch mit der alltäglichen Erfahrung schon erschließen kann, welche Objekte zum Anfassen geeignet wären. Aber manch einer denkt eben nur aus seiner persönlichen Perspektive und nicht auch über die Situation in einer Ausstellung nach. Wahrscheinlich ist das Verhalten in einer Galerie noch extremer. Im Museum haben viele Besucher ja so eine erlernte Scheu. Wobei da auch komische Verhaltensweisen vorkommen. So hörte ich von Restauratoren, dass es viele verstörende Dinge gibt, die ganz versteckt den Werken angetan werden.