Verrückte Geschichten liest du in der heutigen Museumswelt, teils verwoben miteinander und doch wieder anders. Querblicken eröffnet neue Horizonte. Die Stichworte aus dem Titel spannen sich von der Antike bis zur Jetztzeit. Sexualität spielt dabei eine Rolle, Digitalisierung natürlich auch sowie Hoffnungen in der Nach-Pandemiezeit für Museen, sofern es ein Post-Corona mal gibt. Was fehlt in meiner Auflistung? Ein Gang durch die Musikgeschichte mit Blick auf Komponisten und Reisen in den Schoß der Mutter Erde – stark mit Kulturgeschichte verbunden. Happy Reading!!!
„Geschichte am Meeresgrund – Faszination Wracktauchen“ – GNM_Blog (8. Juni 2020)
Viele Themen konnte ich mir für das GNM vorstellen. Dass aber Tobias Jüttner, Veranstaltungskaufmann, von seinem Tauchgang zur „Mosel“ im Skagerrak vor Norwegen schreibt – einem 1944 versenkten, zum Kriegsschiff umgebauten Fischdampfer, überraschte mich dann doch. Wunderbar, dass das Museum Mitarbeiter auch jenseits ihrer Museumsarbeit berichten lässt. Das Schiffswrack befindet sich in 32 und 52 m Tiefe. Wir sehen eindrückliche Bilder, erfahren etwas über die Tücken des Tauchens in großer Tiefe und erleben eine andere Art von Erinnerungskultur als das GNM üblicher Weise für uns bereithält.
Das macht den Reiz des Blogs aus – kaum etwas ist vorhersehbar. Auch bei den Lesern kommt der Artikel gut an. Es ist schon lange her, dass ich bei einem Museumsblogpost so viele Kommentare gelesen habe – großes Kompliment dafür und weitermachen!
„Das Kunsthaus im Netz“ – Universalmuseum Joanneum (9. Juni 2020)
Die Reihe #KunstimNetz des Universalmuseums Joanneum bietet immer wieder neue Denkimpulse, reflektiert und kritisch. In der Museumswelt 21 ging es um digitale „Verzweiflungstat“(en) von Museen in Corona-Zeiten. Nun betrachten sie, wie sich das Kunsthaus Graz als Schnittstelle zwischen virtuellem und physischem Raum begreift und „gezielt Interaktionen mit einem heterogenen Publikum“ sucht. 2017 entstand mit fiber and liquids die erste Ausstellung im Netz – eine Auseinandersetzung mit globalen Vernetzungen, Big Data, Rückzugsorten, postkoloniale Auslassungen und mehr.
Spannend auch die Experimentierfreude des Kunsthauses hinsichtlich von Kunstprojekten auf Instagram und Facebook, mit denen sie Künstler*innen beauftragten. Diese thematisierten gesellschaftspolitische Fragestellungen. Erstaunlich dabei, welche Erfahrungen sie mit Algorithmen der Plattformen machten. Ein tatsächlich faszinierender Ansatz, Kunst im Social Web zu kuratieren. Danke für diese Einblicke!
„Kilometerarbeit! Römische Spinnkunst“ – Archäologisches Freilichtmuseum Oerlinghausen (9. Juni 2020)
Eine lebendige Geschichte der Spindel mit Gegenwartsbezug zieht das AFO. Von der Jungsteinzeit, vor 7000 Jahren, bis zum Ende des 13. Jahrhunderts war die Handspindel das einzige Spinngerät. Zunächst beschreiben die Autoren den Aufbau und die verschiedenen Materialien, aus denen die Spindel bestehen kann. Ausgrabungen im ehemaligen römischen Hafen in Köln brachte eine Vielzahl gut erhaltender Spindelstäbe (Rocken) zu Tage.
Am Artikel gefällt mir der Vergleich von damals und heute, wie verschieden zeitintensiv die Verarbeitung einer bestimmten Garnmenge für ein Kleidungsstück ist. Somit ist der Zeitaufwand für mich nachvollziehbar und beeindruckt. Die Autoren beschreiben den Arbeitsprozess zunächst mechanisch, untermauern ihn mit Schriftquellen und bebildern aufschlussreich die einzelnen Schritte. Vor allem aber ordnen sie die Spindel in lockerer Weise in die Kulturgeschichte ein. Nach einem Gedicht von Catull (Carmina 64,311-314) spinnen die Parzen (Schicksalsgöttinnen) folgendermaßen:
„Und es wirkte die Hand […] am Faden. Hielt die Linke den Rocken, mit weicher Wolle umschlossen […]. Zog die Rechte dann sacht von dem Knäuel und formte die Fasern. So mit gewendeter Hand, setzt dann, den Daumen nach unten, schwenkend die schwebende Spindel in Gang mit gedrechseltem Wirtel …“.
„Selbst sollte der Mann nicht sein“ – Schweizer Nationalmuseum (10. Juni 2020)
„Selbstbefriedigung macht unfruchtbar und krank,“ so der Arzt Samuel Auguste Tissot im 18. Jahrhundert. Eine These, die sich rasant verbreitete und hartnäckig bis ins 20. Jahrhundert hinein hielt. Sein Werk „Von der Onanie“ von 1758 fußt auf die antike Lehre der Körpersäfte. Nach dieser müssen die menschlichen Säfte im Gleichgewicht stehen. Danach entstehe die Spermaflüssigkeit im Gehirn und gelange über die Wirbelsäule in den Penis. Schlussfolgernd daraus verliert der Mann beim Masturbieren Gehirnflüssigkeit, was ein zu großes Opfer sei, da damit zahlreiche gesundheitliche Gebrechen einhergehen.
Triebbefriedigung und Lustempfinden hatten in der vorherrschen bürgerlichen Sexualmoral keinen Platz. Erst in den gesellschaftlichen Revolten der 1960er Jahren wurde die Selbstbefriedung akzeptiert. „Ironischerweise gehen Mediziner heute davon aus, dass regelmäßiges Masturbieren bei Männern das Risiko herabsetzt, an Prostatakrebs zu erkranken.“ – so, das ihr nun das wisst, gell!?
„Was macht eigentlich ein*e…Komponist*in? [Museum für Zuhause]“ – LVR Landesmuseum Bonn (10. Juni 2020)
Ein Kinderblog, ein Jugendblog? Nein. Einfach ein Artikel, der sich an ein jüngeres Publikum richtet, ohne direkt als solches gekennzeichnet zu sein. Ich bin mir sicher, dass auch Erwachsene gerne diesen Beitrag lesen. Anlässlich von Beethovens 250. Geburtstags nimmt uns das LVR-Landesmuseum Bonn auf eine Musikreise der besonderen Art mit.
Seit wann gibt es Komponisten? Wer schrieb die ersten Noten? Welche Bedeutung besaß der Hofkomponist im 16. Jahrhundert und wie verdiente Beethoven als freier Komponist seinen Lebensunterhalt? Wie inspirierte die Natur seine Musikstücke?
Nebenher erfahren wir einiges über Stiltechniken der Filmkomponisten, wie Leitmotiv-Technik (Stichwort: Star Wars), Underscoring (King Kong), Mickey Mousing (Tom und Jerry), On Screen-Technik (Der König der Löwen) und Mood-Technik (Amélie). Der Artikel ist angereichert mit Hörstücken, vielen YouTube-Videos zur Erläuterung sowie Anleitungen zum Selbermachen. Tatsächlich ein sehr facettenreicher Blogpost mit vielen Impulsen, sich unterschiedlich in die Thematik zu versenken. Danke dafür!
„GAY AGAIN – Theresa Seraphin und Lisa Jeschke im Interview | #ErikaMann“ – Monacensia (11. Juni 2020)
Corona veränderte die Museen. Veranstaltungen fielen aus, Ausstellungen wurden verschoben und Museen waren für zwei Monate geschlossen. Das setzte einiges an Experimentierfreude frei. Auch die Monacensia ging neue Wege. Die ursprünglich analog angedachte Performance Erika & Therese GAY AGAIN von den Künstlerinnen Theresa Seraphin, Lisa Jeschke und Marie-Kristin Burger wandelte sich kurzerhand zur Audio-Performance.
Erika Mann war mitunter GAY. Das ist bekannt. Sie selbst sprach darüber jedoch nie in der Öffentlichkeit. Die Audio-Performance der drei Künstlerinnen entstand in der Auseinandersetzung mit Archivmaterialien der Monacensia in Kombination mit eigenen Texten und Sounds der Künstlerinnen. Grandios, was dabei herauskam.
Zugleich zeigt die Aktion wie verschieden Ideen in Programmen eingebunden werden können – vom BloggerWalk #ErikaMann im November 2019 zur Vernetzungsaktion im März 2020 bis zur neuen Performance im Juni. Der Blogpost mit dem Interview der Künstlerinnen ist die Base für die diversen Inhalte, die Monacensia aktualisierte und redatierte den älteren Beitrag. Das Vorgehen – Recycling und Erweiterung bestehender durch neue Inhalte – vermittelt neue Denkanstöße. Mosaiksteinchen zu Mosaiksteinchen zusammengefügt, ergibt ein sich wandelndes Bild. Zugleich vernetzen sich die Programme darüber und Social-Media-Aktionen werden so nachhaltig an das Haus zurückgebunden, insofern sie über das Blog gut wiederauffindbar sind.
Ähnlich und doch anders geht das Blog des Archäologischen Museums Hamburg vor. Sie greifen ältere Artikel wieder auf und informieren über die Artikelkennzeichnung #BlogBergung darüber. Ich finde es richtig, länger bestehende Inhalte erneut in den Fokus zu rücken.
„Reisen in den Schoß der Mutter Erde: Montantourismus am Rammelsberg“ – Weltkulturerbe Rammelsberg (12. Juni 2020)
1806 schreibt Kaspar Friedrich Gottschalk in „Taschenbuch für Reisende“ über den Harz:
„Da der Berg und Hüttenbau die Hauptmerkwürdigkeit des Harzes ist, so verdient er auch (…) von jedem gesehen zu werden. (…)“.
Unter den Montantouristen, die in die Bergwerke und Hütten des Harzes strömten, befanden sich so berühmte Persönlichkeiten wie Gottfried Wilhelm Leibniz, Charles des Montesquieu, Johann Wolfgang von Goethe, Heinrich von Kleist, Heinrich Heine, Hans-Christian Andersen und andere VIP’s vergangener Zeiten. Es liest sich ein bisschen wie das Who’s who der Zeit. Auch Frauen durften in einem Berg-Habit gekleidet in den Berg.
Die „Touristen“ begeisterte das Feuersetzen am Rammelsberg. Das waren große Feuer, die das harte Erz lösen sollten – de facto erlebten die Montantoursiten eine fremde und geheimnisvolle Welt. Heinrich von Kleist schrieb:
„Man glaubt in der Hölle oder doch wenigstens in der Werkstatt der Zyklopen zu sein. (…)“
Herrliche Kulturgeschichte bietet uns der Artikel zum Weltkulturerbe Rammelsberg. Und das Tolle daran: Wir dürfen uns auch vor Ort auf diese Reise begeben. Ein sehr treffendes Ferienprogramm, oder?
„Marta erwacht – Vom Wert der Kultur in Pandemie-Zeiten“ – Martamuseum (12. Juni 2020)
Der Artikel von Daniela Sistermann bewegte mich sehr, als Museumsfrau und Kulturmensch und ja, als Kulturschaffende, die auch Konzepte zur digitalen Kulturvermittlung entwickelt und umsetzt (siehe oben Monacensia) oder an ihnen mitwirkt. Die Pandemie ist einschneidend, die Museen wie das Martamuseum, erlitten hohe finanzielle Einbußen. Hoffentlich wirkt sich das nicht negativ auf Stellenschlüssel aus. Tatsächlich sehe ich wie Daniela Museen als „lebensrelevant“ an.
Sie „haben einen gesellschaftlichen Auftrag und sind dazu da, um (unbequeme) Fragen zu stellen, den Meinungsaustausch und die Meinungsbildung zu fördern oder bereichern manchmal einfach nur mit sinnlicher Erfahrung oder als „Dritter Ort“.“
Daniela lässt uns an den Sorgen und Nöten eines Museums teilhaben. Ein Museum, das sich viel Neues für 2020 vorgenommen hatte, vor allem im Austausch und im Miteinander mit den Besuchenden, auch in der Positionierung als Dritter Ort. Die Pandemie mag das vielleicht augenscheinlich eingedämmt haben, hat sie nicht aber auch andere Perspektiven eröffnet? Und ja, die Relevanz von Kultureinrichtungen muss noch stärker ins politische Bewusstsein verankert werden. Mittel müssen bereitgestellt werden für den Dienst am Menschen und für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, den Museen über Vermittlung und Denkanstöße befördern können, jedenfalls so, wie es das Museum hier angedacht hat.
Ich lese schon lange das Blog des Martamuseums, stellte auch einen Artikel in der letzten Museumswelt vor und empfehle es in Workshops für Museen immer wieder, gerade auch für die kritische Herangehensweise an gesellschaftspolitischen Fragestellungen. Der Artikel berührt und regt zum Nachdenken an.
Wenn du noch mehr darüber lesen möchtest, wie es Museen nach der Wiedereröffnung ergeht, dann lies bei Jörn Brunottes Blogparade #Closedoropen rein. Darauf macht auch Daniela aufmerksam.
Vier Wochen gibt es die Museumswelt bei mir wieder im Blog. Es bereitet mir große Freude, mich gezielt mit Museumsblogs und ihren Inhalten auseinanderzusetzen. Was bewegte dich? Welchen Artikel empfiehlst du?
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