Verrückte Zusammenstellung, oder? Kannst du aus dem Titel schließen, was dich in der heutigen Museumswelt erwartet? Vermutlich nicht wirklich. Dieses Mal geht es in die Schweiz, nach Leipzig, Hamburg, Oberhausen und Altenberg. Gesellschaftsgeschichte, Künstler, Ausgrabungen, Schrauben und das Projekt Black Period erwarten dich – nur zu: Happy Reading!
Drogen fürs Volk – Schweizer Nationalmuseum (15.6.2020)
In den 1980er Jahren hatten die Schweizer ein großes Drogenproblem (und nicht nur sie). Schmuddel, Dreck, Kälte und Ratten kennzeichneten Drogenplätze wie die Berner Bundesterrasse, den Zürcher Platzspitz und später den Bahnhof Letten. Dagegen richtete sich die Maßnahme von Emilie Lieberherr: Sie führte die kontrollierte Heroinabgabe ein. Eine faszinierende Frau, die 1969 eine unbewilligte Frauendemo organisierte und später zur Zürcher Sozialvorsteherin gewählt wurde. Benedikt Meyer führt uns durch Schweizer Drogenhistorie der 1980er und 1990er Jahre.
Der Artikel zog mich aus zwei Gründen an:
- Ich kann mich noch gut an den schockierenden Film „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ erinnern, den wir damals gefühlt alle sahen oder uns ansehen mussten, fast schulisch verordnet.
- Ich fange an, mich mit den 1980er Jahre für ein neues, cooles Projekt zu befassen – später mal mehr dazu.
Der Drogenmissbrauch war in der Zeit auch in Deutschland ein großes Thema. Gefühlt erscheint mir das Problem damals größer als heute gewesen zu sein. Das mag aber daran liegen, dass wir es überall auf der Agenda hatten: Medien, Schule und zu Hause. Und heute? Vergleiche ich die schulische Aufklärung über Drogen zwischen mir als Jugendliche und meinem Junior, dann setzt die Schule aktuell andere Prioritäten, schließlich muss der Stoff gemäß Lernplan durchgeackert werden. Klar gibt es weiterhin die Drogenproblematik. Vielleicht ist sie einfach diverser als früher, neue, synthetische Drogen sind hinzugekommen, die Ausdauer auf Dancefloors versprechen und genauso gefährlich sind wie Heroin und Co.
„Hermann Naumann & Helga Luzens – die Kunst der Gabe“ – Grassi Blog, Leipzig (16.6.2020)
Spannend wie das Grassi Museum für Angewandte Kunst in Leipzig seit drei Jahren peu à peu Werke des Künstlers Hermann Naumann von diesem höchst persönlich erhält. Ein Oeuvre von 70 Jahren erschließt sich bald den Besuchenden. Seine Kunst ist facettenreich. Als Bildhauer schuf er zahlreiche Skulpturen. Diese formte er mangels Material anfänglich aus Gips. Später kamen dann doch noch Bronzegüsse hinzu. Das Bildwerk „Stehender Akt“ von 1970 fasziniert. Skulpturen ziehen mich an, das hast du schon in der Museumswelt KW 21 erfahren. Der Titel „die Kunst der Gabe“ verführte mich, den Artikel im Feedly anzuklicken.
Was mich an seiner Kunst reizt ist die Vielfalt. So illustrierte er als Grafiker Arbeiten von Kafka. Bekannt ist er vor allem auch als „Punzenstecher und Lithograph, als Spezialist der Algraphie und des Holzschnitts – ein Allrounder, der sich gestalterisch wie technisch flexibel ausprobierte.“ Man merkt klar die Begeisterung der Blog-Autorin und des Direktors für diesen Künstler. Danke dafür!
„Alles zerfällt: Werke im Fokus #12 – Albert Welti, Unterwelt“ – Kunstmuseum Bern (17.6.2020)
Für die Ausstellung Alles zerfällt. Schweizer Kunst von Böcklin bis Vallotton in Bern holt das Museum Gastbeiträge von Studierenden der Universität Bern und von jungen Kunsthistoriker*innen ein. Dadurch soll der Diskurs aus verschiedener Perspektive angefacht werden. Die zentralen Themen der Ausstellung sind das narzisstische Selbstbewusstsein des Menschen und seine extreme Verletzlichkeit. Schlüsselfiguren darin: Ferdinand Hodler und Sigmund Freud.
Der Ansatz, den wissenschaftlichen Nachwuchs mit einzubinden, gefällt mir prima. Einfühlsam bespricht Gregor von Kerssenbrock-Krosigk Albert Weltis Werk „Unterwelt“. Die erfrischend lebendige Bildbeschreibung vermittelt uns die dramatisch düstere Zeit, in der Weltis wirkte. Diese verbindet der Autor mit Versen aus T. S. Eliots (1888 – 1965) Gedicht The Hollow Men und zeigt die Unterschiede von diesem zu Weltli auf. Gleichwohl verbindet beide das Thema: die Geschichte des „Totenfluss Acheron, den die Sünder mit Hilfe des Fährmanns Charon überqueren müssen.“
Kerssenbrock-Krosigk rundet den Artikel mit einer Bewertung Leopold Webers über Welti ab: «…das Eigentümliche an Welti war, dass er […] nicht mit den Augen bloss schaute, sondern dass ihm das Herz unentwegt dreinredete…». (Weber, Weltis Leben, 1912, S. 10).
„PROJECT BLACK PERIOD – Arthothek Upgrade“ – Ludwiggalerie (18.6.2020)
Mei oh Meter, erneut bleibe ich an einen Artikel der Ludwiggalerie hängen – good job, liebes Museumsteam!
„Markus von Frieling grinst verschmitzt, versucht aber gleich wieder, es zu verbergen. Denn sein Kunstprojekt „PROJECTBLACKPERIOD“ ist nicht lustig.“
Worum geht es? Vom Koch zum Erzieher hin zum Künstler – ein schicksalhafter Verlauf, der zum Update der Arthothek führt. Im Idealfall entsteht zukünftig einmal pro Jahr eine Ausstellung von unbekannten Künstlern, die empfohlen werden und zwar nicht von Kuratoren, sondern von Interessierten. Dann kann es wie hier passieren, dass Kunstwerke im Wäschekorb vom Künstler in Jogginghose vorbeigebracht werden.
Comics und Graffiti prägten Markus von Frieling. Das schlägt sich in seinen Werken nieder. Sie erinnern vom Stil her an Rorschach-Tests, benannt nach dem 1884 geborenen Psychiater Hermann Rorschach. Dieser zeigte seinen Patienten schattenhafte Bilder. Sie sollten hier ableiten, was für Dinge sie sahen und diese beschreiben. Klingt einnehmend, oder?
„Die Grabung auf der Reichenstraßeninsel 2019/2020“ – Archäologisches Museum Hamburg (19.6.2020)
Ausgrabungen sind kriminologische Verfahren, der Vergangenheit auf die Spur zu kommen. Entdeckungen lösen Adrenalin-Schübe aus, zumindest wäre das bei mir so. Im Studium der Klassischen Archäologie kam ich nur bis zur Einweisung der technischen Verfahren, weiter ging es bei mir nicht, da die Kunstgeschichte mich stärker vereinnahmte. Seither lese ich gerne Berichte zu Ausgrabungen, so wie diesen vom Archäologischen Museum Hamburg. Ein 13-köpfiges Archäologen-Team grub 8 Monate in der Hamburger Altstadt (entlang Hopfensack in Richtung Meßberg).
Was sie entdeckten und was Erdschichten bis heute aussagen mitsamt ihren Gerüchen, das verrät uns der Artikel. Schon im Spätmittelalter überlegten sich die Menschen in Hamburg, wie sie trockenen Fußes zum Hafen kamen, dafür mussten sie Vorkehrungen treffen und Baumaßnahmen umsetzen.
Wie treffend zum Thema der Artikel „Was macht eigentlich ein*e…Archäolog*in? [Museum für Zuhause]“ vom LVR LandesMuseumBonn. Liest du beide Beiträge, dann gewinnst du einen umfassenden Einblick über archäologische Arbeit.
„Neues Zeug: Der Schraubenkompressor“ – Zinkfabrik Altenberg (19.6.2020)
Glück und Unglück liegen so eng beieinander. Was das Museumsherz erwärmt: Das Angebot einen Schraubenkompressor von 1958 in die Sammlung zu übernehmen, hat einen bitteren Beigeschmack. Die Herstellerfirma „GHH Rand Schraubenkompressoren GmbH, deren Wurzeln bis 1758 zurückreicht und die sich vor allem in den 1960er und 1970er Jahren zum größten europäischen Maschinenbaukonzern entwickelte, steht vor dem Aus. Der amerikanische Eigentümer verlagert die Produktion nach Amerika und China. Damit fallen 250 Arbeitsplätze weg. Traurig.
Der Blogbeitrag ist empfehlenswert. Er erklärt anschaulich und nachvollziehbar für einen absoluten Techniklaien wie mich die Funktionsweise des Schraubenkompressors. Vom Schaudepot wird dieser in die neu zu gestaltende Dauerausstellung integriert. Das Thema: „Aufstieg Deutschlands zu einer der weltweit führenden Exportnationen“. Wenn die Ausstellung so eingänglich wie der Artikel ist, dann werden bald spannende Zusammenhänge erklärt. Ich wünsche viel Erfolg dabei!
Das war es für diese #Museumswelt. Als weiteres Goody füge ich noch zwei 360-Grad-Rundgänge für dich zum Lustwandeln von Daheim bei.
360° Rundgänge durch Museen: Deutsches Museum – Stadtmuseum Duisburg
- Der neue virtuelle Rundgang durch das Deutsche Museum – das gesamte Museum, Ausstellungen und Einzelexponate sind erfasst mit Vertiefungsebenen – wunderbar!
- Das Stadtmuseum Duisburg bietet 360-Grad-Rundgang im Stadtmuseum an: Stadtgeschichte-Ausstellung und Mercator-Schatzkammer vom heimischen Sofa aus erleben.
Happy Sunday – und versenke dich gerne in diesen wunderbaren Lesestoff. Weiteren findest du in der Museumsblogroll. Bis bald wieder!
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Hey, vielen Dank für diese großartige Zusammenstellung.
Auch der Titel ist super gewählt. :)
LG aus Hannover,
Winfried