Virtual Reality und Musiktheater: EURYDIKE von Evelyn Hribersek

EURYDIKE von Evelyn Hribersek erhält den SXSW Creative Tech Grant 2019. Virtual Reality und Musiktheater – wie passt das zusammen? Reden wir von den Evelyn Hriberseks Projekten, dann spielen Kunstinstallation und Gaming mit hinein – ein immersives Gesamtkunstwerk, das herausfordert. Keine Berieselung, sondern Mitgestalten ist gefragt. Wie weit das geht, entscheidet jeder für sich. Ihr zweites Projekt „Eurydike“ erlebte ich in der Alten Feuerwache im Kreativquartier (Pathos München). Die knapp 30-minütige Grenzerfahrung machte mich ratlos. Warum?

=>Update: EURYDIKE gewinnt den SXSW Creative Tech Grant 2019, ausgelobt vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, der Initative Musik und MusicTechGermany. Das mehrfach nominierte Kunstprojekt wird in diesem Zuge in den USA bei der South by Southwest (SXSW) vom 12.-14. März 2019 vorgestellt, dem weltweit größten Event zu Film, Musik und Interactive.

Blick in eine Gasse des Kreativquartiers in München. Das rechte Gebäude ist die Alte Feuerwache. Hier findet Eurydike von Evelyn Hribersek statt - zerstörrend.

Mixed und Virtual Reality im Musiktheater ist eine absolute Grenzerfahrung. Eurydike von Evelyn Hribersek in der Alten Feuerwache im Kreativquartier in München fordert heraus.

Warum war ich 2017 ratlos?

Weil …

  1. … ich keine Gamerin bin?
  2. … ich blockiert war. Hätte mir vorher nicht die Presseberichte durchlesen sollen. „Hilfe, ich soll auch noch etwas tun?!“ – das beherrschte und schränkte mich ein, als ich durch die Alte Feuerwache im Kreativquartier München auf wackeligen Beinen dahinstolperte.
  3. … mir nur knapp 30 Minuten zur Verfügung standen, um gewisse Aufgaben zu erfüllen. Ja, das ist schon ein gewisser Stressfaktor, der einen emotional zusetzen kann.
  4. … mir schlecht wurde. Ich wollte zwischenzeitlich abbrechen, um mich nicht zu erbrechen. Tatsächlich musste ich mich erden, indem ich irgendwann anfing, mich an Kanten und Wänden entlang zu hangeln, vor allem aber bewegte ich mich langsamer, das bekämpfte die Übelkeit.
  5. … ich ausgepowert und angeschlagen und dadurch fantasielos war. Brauchte gar Starthilfe. Taperte wie ein Dumpfbacke durch die virtuelle, obskure, rosarot makabre abgedrehte Welt, ohne zu erkennen, irritiert und auf mich selbst zurückgeworfen.
  6. … ich mich in einem persönlichen, selbst- und fremdauferlegten dünnhäutigen Zustand befand.

Du merkst, ich bin ratlos. Ich kann dir weder sagen „jau, voll krass, irre“ oder „äh, meins ist‘s net“ oder „voll kacke, braucht keiner“. Die Inszenierung wirft dich auf dich selbst zurück, mit all deinen Emotionen, die dich zurzeit vereinnahmen. So war es bei mir. Wäre schon neugierig, was mein 16-jähriger Junior als Gamer dazu sagen würde. Aber dafür müsste er noch zwei Jahre warten: Der Zutritt ist erst ab 18 erlaubt – zurecht?

Virtual Reality – worum geht es bei Eurydike?

Rate mal, warum ich wohl Virtual Reality hier vorwegschalte? Die Inszenierung von Eurydike von Evelyn Hribersek hat wenig mit der griechischen Sagenwelt zu tun. Geht es hier wirklich um die Frau des Orpheus‘ – Sohn des Gottes Apollon und der Muse Kalliope -, ein begnadeter Sänger? Er stieg voller Liebeskummer in den Hades hinab, um seine zu früh verstorbene Eurydike für die Welt der Lebenden freizusingen. Erfolgreich. Seine Sangeskunst erweichte Steine und den Gott der Unterwelt. Er sang seine Frau unter der Auflage frei, sich auf dem beschwerlichen Weg nach oben zu den Lebenden nicht umzudrehen. Nur leider konnte Orpheus sich nicht zügeln, überließ sich seinen Ängsten, drehte sich um, da er von Eurydike nichts hörte, auf sich zurückgeworfen war. Irritiert und ohne Vertrauen. Aus. Vorbei. Liebe verloren. Chance vertan.

Wenn überhaupt, dann gibt es metaphorische Verbindungen – das Auf-sich-zurückgeworfen-Sein. Aber vielleicht hätte ich alle Aufgaben erfüllen müssen, um mir ein besseres Bild zu machen. Aber ich glaube nicht, dass das Ziel war, oder, liebe Evelyn Hribersek?

„Eurydike“ – Musiktheater, Kunstinstallation & Gaming

In einem Interview offenbart dir die Künstlerin, was sie antrieb und worauf ihre Kunst abzielt. Sie befindet sich mit ihrer Arbeit definitiv zwischen den Welten von Musiktheater, Kunstinstallation und Gaming. Eurydike folgt dem Erstlingswerk „O.R.pheus“ nach, das 2012 für Furore sorgte und gar für einen Gaming Award nominiert war. Das Interview entstand im Zuge der gamescom 2017, sehr bezeichnend.

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Ab Minute 13:45 geht es um Eurydike. Vorher verrät dir Evelyn Hriberseks ihre Beweggründe für ihre Kunst. Denn nichts anderes ist es für mich, interaktive Kunst, die mehrere Komponenten vereint oder bereithält, ein Angebot an den User mit unterschiedlichem Erleben. Ihr Anspruch „form follows function“ treibt die Künstlerin voran. Demnach ist der User/Spieler auf sich selber zurückgeworfen, denn Kunst sollte ihre Kratzer hinterlassen, in dem Fall rosane – sehr sympathisch! Kopfkino ahoi!

Suchst du nach einer Regel oder einen Plan, dann läufst du in die Irre, was vor allem ein Problem für den Gamer ist, so Hribersek. Eurydike spielt in einer heruntergekommenen Location statt: morbide, passend zur morbiden Installation in der Alten Feuerwache. Du musst O.R.pheus nicht erlebt haben, Eurydike ist keine Kopie, sondern bietet eine eigenständigen Erfahrungsraum an. Eurydike ist eine single player experience, limitiert, da wenige Kapazitäten zur Verfügung standen. Die Technologie ist eine mixed reality. Sie lädt zum Experiment, zum Selbstversuch ein. Hribersek setzt auf Content. Ihr nach reicht es nicht aus, „einfach eine Technologie zu haben. Es muss mit den Menschen etwas veranstalten, zerstören.“

Mein Fazit zu Eurydike

Irritiert, ratlos und frustriert. Genau das traf auf mich zu. Ich habe leider nicht meine Aufgaben erfüllt. Zu gerne wüsste ich, was passiert wäre, wenn ich alle Aufgaben erfüllt hätte. Wäre es dann ein musikalisch, immersives Highlight für mich geworden? Ich weiß es nicht. Ich habe so etwas noch nie erlebt. Vergleiche fehlen mir also. Vielleicht gehöre ich zu den 50 % der Wiedergänger, wie bei den Besuchern von O.R.pheus, die mindestens zweimal das Spiel erleben wollten, um mehr bzw. anders zu erfahren, abhängig vom jeweiligen emotionalen Zustand, den ich mit einbringe.

Eine Grenzerfahrung ist es definitiv. Erstaunlich, was für Gedanken währenddessen aufkamen. Du merkst, ich kann es nicht richtig fassen. Die Neugier ist geweckt. Die Lust mehr in der Art zu erleben ist da.

Wie fandest du Eurydike? Hast du Virtual Reality im Theater schon einmal erlebt? Wie war das für dich?

Weitere Infos zu Virtual, Augmented und Mixed Reality

Für die Blog-Kolumne des Deutschen Historischen Museums Berlin ging ich der Begriffsklärung und Historie von VR, AR und Mixed Reality nach in:
Was ist Virtual Reality? Nutzen für Gesellschaft und Kultur

-> Disclaimer: Ich danke Evelyn Hriberseks für den kostenfreien Eintritt zu Eurydike.

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4 Kommentare

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  3. Krass… das trifft es. Aber wer nicht das Interesse und den Mut hat, das auszuprobieren, wird nie erfahren, ob es sich gelohnt hat. Und das hat es letzten Endes ja wohl. Auch wenn es „verstörend“ war. Aber immer ein Blogthema.

    • Tanja Praske

      Lieber Lutz,

      ja, das trifft es … tatsächlich hinterließ es Kratzer bei mir, aber so war es ja auch gewünscht von der Künstlerin.

      Ich bin eher mit rationalen Gründen an das Erlebnis herangegangen. Ich muss einen Artikel über VR schreiben. Am besten geht das natürlich, wenn frau die Erfahrung macht. So war ich in der Cave der TU in Garching am Tag der offenen Tür der TU. Hier erlebte ich eine virtuelle Ausstellung in einem Museum. Das Bavaricon ließ mich eine alte Handschrift heranzoomen, kniete ich mich hin, befand ich mich in einer alten Weltkugel, was mich absolut faszinierte, mir wurde auch nicht schlecht.

      Das Musiktheatererlebnis war etwas vollkommen anderes, es rührte an meinen Emotionen, verstörte mich, ließ mich ratlos zurück. Ich war durch die Kunst zerkratzt. Viel krasser Stoff zum Nachdenken!

      Merci dir!
      LG, Tanja

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