Magie des Ortes

Frisch selbst aus dem Urlaub zurück, darf ich mich wieder auf Tanjas Blog ausbreiten. Ich bin ja schon geehrt, dass sie mich immer wieder fragt :-) Und mir natürlich der Verantwortung voll bewusst. Dafür habe ich auch eine wunderbare Geschichte aus der Schweiz mitgebracht. Es geht um besondere Ausstellungsorte! Wer weiß, vielleicht kann ich euch anstecken und ihr macht euch demnächst auf ins schöne Unterengadin.

Meist starten wir ausgedehnte Wanderungen im Dörfchen Vná, das sich auf gut 1600 Metern Höhe befindet. Diesmal sind wir aber aus einem ganz besonderen Grund die kleine kurvenreiche Straße nach oben gefahren. Eine Führung durch die Ausstellung WILD lockte uns. Die Präsentation von Arbeiten des nicht nur in der Schweiz bekannten Künstlers Michael Günzburger. In der Chasa Piz Tschütta, einem zum Hotel umgebauten typischen Engadiner Haus. Das wollten wir sehen.

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Bevor wir uns Michael Günzburger zuwendeten, waren wir sofort eingenommen von der besonderen Atmosphäre des Hauses. Das Konzept des Umbaus des traditionellen Hauses setzt die Materialien in Szene, mit denen in dieser Bergregion gearbeitet wurde. Dass solche Häuser zudem aus mehreren Bauphasen bestehen, lässt sich beim Durchwandern der Piz Tschütta gut nachvollziehen. Wir sind begeistert, dass Christof Rösch uns auf die architektonischen Einzelheiten aufmerksam macht. Man spürt das Herzblut, das er in dieses Projekt gesteckt hat.

Ich könnte sofort mehrere Lieblingsplätze ausmachen. Besonders die holzvertäfelte Stube hat es mir angetan, die diesen ursprünglichen heimeligen Charme der alten Schweizer Bauernhäuser ausmacht.  Wer jetzt aber an gedrängte Enge denkt, der wird überrascht sein. An manchen Stellen wurden Lichtschächte eingebaut und durch „moderne“ Materialien wie z.B. Stahlträger Akzente gesetzt.

Mensch, Tier, Ort

Die Piz Tschütta wird vom NAIRS Zentrum für Gegenwartskunst bespielt, das hinter Scuol liegt und von dem ich gleich noch mehr berichten will. In loser Folge werden Ausstellungen organisiert, die nicht von ungefähr auch immer mit dem Ort zu tun haben. Kurator Christof Rösch vermittelt zwischen den Künstlern und dem spannenden Charakter des Hauses.  Mit Günzburger konnte er aktuell einen Künstler gewinnen, der diese Schnittstelle zwischen Tradition und Avantgarde aufgreift, die ich auch in den sensiblen Umbauten des alten Hauses gespürt habe.

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Verfahren für „Erscheinungen“ in der Druckerei Wolfensberger, April 2015. Ziegenpergament, Federfarbe, Papierstreifen und Rolle. Foto: Michael Günzburger

 

Mit einer außergewöhnlichen Technik entstehen Drucke, die einen auf verschiedenen Ebenen ansprechen. Wir stehen vor außergewöhnlich schönen Papierarbeiten, auf denen ein feines Liniengeflecht zu sehen ist. Entstanden durch die natürlichen Haare des Felles, mit dem gedruckt wurde. Ja, richtig. Es werden Tierfelle genutzt, die eingefärbt und gerollt eine interessante Verschmelzung von Trägermaterial mit dem Papier eingehen – und gleichzeitig auch zum Objekt werden können.

Für mich fügten sich die Arbeiten Michael Günzburgers fast organisch in die Umgebung. Ich stellte mir vor, wie die Menschen früher in unmittelbarer Nähe zu ihren Tieren lebten.

Einige der Arbeiten betitelt Günzburger mit „Erscheinung“ – auf einem Steinbock zum Beispiel. Da assoziiert man als Kunsthistorikerin natürlich sofort so etwas wie das Turiner Grabtuch. Ich kann mir gut vorstellen, dass der Künstler mit solchen Assoziationen spielt.

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Untiere 4, 2013 Foto: Michael Günzburger

 

Es geht aber auch etwas ganz Archaisches von diesen Tier-Zeichnungen aus. WILD – das verweist natürlich auch auf die Jagd.Die Arbeit „Wolf“, mit der Günzburger viel Aufsehen erregt hat, entführt einen tatsächlich auch in mythische Sphären. Aber am Ende geht es dann doch wieder um Linien, um das Zeichnerische. Die Tierdrucke sind ja auch nur ein Komplex in dem äußerst vielgestaltigen Werk Günzburgers.

Man sollte sich in seinen Assoziationen nicht zu weit entfernen vom eigentlichen Werk. Ich verliere mich ein bisschen bei der Betrachtung der Arbeiten zwischen abstraktem Linien-Kosmos und den greifbaren Geschichten hinter den real vorhandenen Tieren. Die haptischen Reize der Piz Tschütta tun ein Übriges. Viele Eindrücke für die Sinne.

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Auf dem Heimweg erfreue ich mich an dem begehbaren Wörterbuch, das mit kleinen Täfelchen die Sprache Rumantsch (Rätoromanisch) vermittelt. Das ganze Dorf ist voll davon. Übrigens auch wieder ein Kunstprojekt! Der Konzeptkünstler  H.R. Fricker hat’s erfunden :-) Als er als Artist-in-Residence unten in NAIRS war. Das Konzept sieht vor, dass jedes Jahr im August alle Schilder abgenommen werden, auf einem Platz in der Mitte des Dorfes ausliegen und die Bewohner sich wieder ein neues für ihr Haus aussuchen können. Eine sehr interaktive Sache.

Und oben auf der Alp hängt noch eines, das ich besonders mag. Man beachte den kleinen Tierknochen links daneben. Da kommen sie wieder zusammen, Mensch, Tier und Ort.

Kunst stiftet Identität

Was im kleinen Rahmen dort oben in dem Bergdörfchen passiert, wird in NAIRS als fantastisches Kulturprojekt seit mehreren Jahren betrieben. Man möchte die Kulturlandschaft des Engadin beleben. Gleichzeitig aber auch zeitgenössische Kunst präsentieren. Es ist für mich immer ein besonderes Erlebnis, wenn ich dieses Kulturzentrum aufsuche. Direkt am Inn und tief unten im Tal gelegen, verströmt es eine ganz eigene Atmosphäre. Es ist eine Einrichtung eines ehemaligen Kurbades in Scuol-Tarasp.

Ein Haus mit Geschichte, das derzeit behutsam restauriert wird. Seit Mitte der 80er Jahre haben sich dort Künstler inspirieren lassen.  Einstmals kam man zu Trinkkuren und Badeanwendungen. Es gibt viele Räume, in denen noch Wannen und ähnliche Apparate für die Kuren zu sehen sind. Im Keller stecken interessante Heizanlagen. Ich bin sehr gespannt, wie viel von den alten Kur-Einrichtungen erhalten bleibt, die ein besonderes Kopfkino anstossen. Man bemüht sich derzeit auch, die Trinkhalle, die Büvetta zu erhalten. Ein fantastischer Ort für künstlerische Interventionen.

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Büvetta Tarasp, Lichtinstallation von Men Duri Arquint. Foto: Simon Egli

 

Besonders bemerkenswert ist das Artist-in-Resident-Programm von NAIRS, das im Moment aussetzen muss. Aber wenn alles glatt geht, dann eröffnet das Haus nächstes Jahr und man wird wieder erleben können, wie Künstler aus aller Welt dort über einen längeren Zeitraum leben und arbeiten. Und ihre Sicht auf die Landschaft und die Engadiner Kultur darstellen werden.

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Im letzten Jahr war ich übrigens auch mit #myRembrandt dort zu Besuch und habe ihn zusammen mit Gisela Göttmann fotografiert, die administrative Leiterin von NAIRS. Ich bin mächtig gespannt auf die Zukunft von NAIRS und freue mich auf weitere tolle Ausstellungen. Und vor allem Begegnungen mit den Menschen vor Ort!

Mehr von Anke von Heyl gibt es auf Kulturtussi!

1 Kommentare

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