Da bin ich! Als Gast auf dem tollen Blog von Tanja Praske. Ich bin ziemlich aufgeregt, weil ich einfach so in einem fremden Blog rumschreiben darf. OK, so ganz fremd ist mir Tanjas Blog natürlich nicht. Aber: was für ein fettes Vertrauen, dass sie mich eingeladen hat, in ihrem Urlaub einen Beitrag hier einzustellen. Deswegen bin ich eben aufgeregt!
Ich hab natürlich viel hin und her überlegt, worüber ich hier bloggen sollte. Weil Tanja sich immer besonders über Kunstkritik-Beiträge von der Kulturtussi freut, habe ich mir etwas Feines aus der zeitgenössischen Kunst ausgesucht. Wir haben nämlich in Köln und Umgebung derzeit das Glück, dass ein ganz spannender Künstler gleich mehrere Projekte hier realisiert hat. Und so kann ich euch gleich von zwei Begegnungen mit Werken des wunderbaren Gregor Schneider berichten!
Synagoge Stommeln – Erfahrung Gregor Schneider 1
Ich möchte euch nach Pulheim-Stommeln (ca. 15 km vor Köln) mitnehmen. Dort spielte sich Ende der 30er Jahre eine besondere Geschichte ab. Indem die Synagoge des Ortes an einen Bauern verkauft wurde, der den Davidstern zumauerte und sie als Abstellkammer nutzte, konnte dieser Bau die Jahre des Pogroms und des Krieges überdauern. Der zweite Teil der Geschichte spielt in den frühen 90er Jahren. Da entstand aus dem mittlerweile nicht mehr genutzen Gotteshaus eines der interessantesten Kulturprojekte der Neuzeit. Im jährlichen Wechsel werden hier international bekannte Künstler eingeladen, das historische Gebäude mit einer künstlerischen Intervention zu thematisieren. Hier zeigt sich vorbildlich, wie Kunst dazu beitragen kann, eine Auseinandersetzung mit den damaligen Geschehnissen anzuregen.
In diesem Jahr nun war es an Gregor Schneider, sich mit dem geschichtsträchtigen Ort auseinanderzusetzen. Der Künstler, der gerade in die Schlagzeilen geriet, weil in Duisburg die Realisierung einer bereits geplanten Arbeit abgeblasen wurde. Der Künstler, der mit dem Haus ur eine mittlerweile legendäre ortsbezogene Installation geschaffen hat.
Ortsbesuch
Das wollte ich mir genauer anschauen. Vor allem, nachdem ich vor einigen Wochen eine andere Installation von Gregor Schneider in Köln besucht hatte. Das war ein sehr nachhaltiges Erlebnis, von dem ich gleich noch erzählen will. Jetzt also Pulheim-Stommeln. Nach einer längeren Fahrt über die Felder kam ich dort an und war erst einmal verwirrt, weil es zu dem wirklich international anerkannten Kulturprojekt keinerlei Hinweisschild gab. Wie ich mittlerweile herausgefunden habe, gehört das auch zum Konzept Schneiders, der die Synagoge in einer Art Mimikry hinter einer richtig spießigen Einfamilienhaus-Fassade verschwinden ließ. Inklusive der Ikea-Schiebegardinen, die ich schon nicht mehr sehen kann, weil sie einem aus jedem Neubau entgegenrufen!
Kein Hinweis, nichts. Ich musste die Einheimischen fragen, die mir bereitwillig den kleinen Weg zeigten, der zwischen Einzelhandelslädchen unscheinbar in eine Art Hinterhof führte. Wenn ich nicht schon >gelesen hätte, dass Gregor Schneider diese Einhausung vorgenommen hat, ich wäre wohl unverrichteter Dinge umgekehrt. Oder vielleicht hätte mich doch die eine Stufe vor der Einfahrt zur Garage stutzig gemacht.Der Anblick des durchaus als spießig daherkommenden Einfamilienhauses erzeugte bei mir einen leicht gruseligen Schauer. Weil ich um die Geschichte wusste. Da war sie: die besondere Erfahrung Gregor Schneider. Auf beeindruckende Art und Weise hat der Künstler so sensible Themen wie das Verschwinden von Zeitzeugen oder die Übernahme früherer Besitztümer assoziativ in seine Installation einbezogen. Ein Impuls mag natürlich auch von dem Verstecken des Davidsterns ausgegangen sein, was ja letzten Endes eine Rettung bedeutet hat.
Neuerburgstraße – Erfahrung Gregor Schneider 2
Es braucht nicht viel Phantasie, um sich in und um das Haus herum agierende Figuren mit jeweils ganz konkreten Rollenbiographien vorzustellen. Und schon sind wir bei der zweiten Arbeit Schneiders, die dieser mit dem Schauspiel Köln realisiert hat. Ich finde ja, dass bei seinen Arbeiten die Inszenierung eine große Rolle spielt. Und dass der Rezipient seiner Kunst schnell auch zum Akteur wird. Ganz besonders beim Projekt Neuerburgstraße 21.
Kunst entsteht im Kopf des Betrachters! Das kann man bei dieser Installation wörtlich nehmen. Fast ist es, als wandele man durch seinen eigenen Kopf und nicht durch eine alte Industriehalle. Die befindet sich in einem Fabrikgelände, das vom Schauspiel Köln genutzt wird. Einzeln betritt man eine Abfolge von dunklen Gängen und vollkommen identischen Badezimmern. Es wird vor dem Einlass vom Theaterpersonal auch eindringlich darauf hingewiesen, wie man sich verhalten soll, wenn man Angstzustände bekommt. Das trägt natürlich zu einer gesteigerten Aufregung bei, mit der man sich dann auf eine etwa 20minütige Tour durch ungewisses Terrain begibt.
In den Badezimmern führt Gregor Schneider die Ästhetik des Banalen und Alltäglichen vor. Nicht neu, nicht stylisch, ein bisschen nach frischer Farbe riechend kommen diese Nasszellen daher. Nach dem vierten Badezimmer begann ich, mich auf die Details zu konzentrieren, nach Hinweisen auf Unterschiede zu suchen. Da, waren da nicht kaum zu sehende Fingerspuren an der einen Wand. Darauf wollte ich nächsten Badezimmer achten. Vielleicht Einbildung, aber ich sah sie auch in den anderen Badezimmern. Ich hab nicht gezählt, durch wie viele dieser Räume ich gegangen bin. Zwischendurch tastete man sich wieder durch mit dunklem Stoff abgehängte Gänge. Interessant, wie man versucht, diesen ewig gleichen Räumen etwas Besonderes abzutrotzen. Etwas, woran man sich orientieren könnte. Diesen Gefallen tun die Räume einem aber nicht. Und so ist man auf sich selbst zurückgeworfen. Auf seine Sinneseindrücke und die Gedanken, die sich daraus entwickeln.
Skulptur, Architektur, Design, Kunst, Theater – alles spielt bei der Erfahrung Gregor Schneider eine Rolle. Es sind Geschichten – vielleicht auch Obsessionen – mit denen sich jeder Mensch beschäftigt. Es geht um Behausungen, um Identität, um Leben und um Tod. Grenzen werden ausgetestet. Tabus gestreift. Das Alltägliche wird zur Grenzerfahrung, die Wahrnehmung von Raum und Zeit gerät zum Trip durch das eigene Bewusstsein. Das bleibt im Gedächtnis haften.
Wenn ihr meiner Empfehlung folgen wollt: sobald ihr die Chance habt, eine Installation von Gregor Schneider zu besuchen, geht unbedingt hin. In Kürze wird dies in Bochum möglich sein. Für die Münchener Szene dürfte sich sicher auch die Gelegenheit ergeben, denn schließlich lehrt der Künstler als Professor an eurer Akademie!
Wer bin ich und was mache ich?
Als Kulturtussi betreibe ich Kulturvermittlung schon seit 2006 mit einem eigenen Blog. Analog bin auch unterwegs – vorwiegend als Kunstvermittlerin in Museen und für Bildungseinrichtungen. Tanja kenne ich vor allem aus dem wundervollen stART-Universum. Außerdem bin ich noch Herbergsmutter und verantwortlich für die letzten stARTcamps in Köln. Und für so manch kreatives Getummel in Museen und Theatern, wo wir Kultur auf die Hand serviert haben.
Ich bin sehr gespannt, wie mein Gastbeitrag hier ankommt und vor allem natürlich, was Tanja dazu sagt ;-)
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