Die Museumstour (#MMuseumsT) für Kinder mit Migrationshintergrund geht in die zweite Runde: Wir besuchten am 28. Juni 2016 das Museum Fünf Kontinente. Das Angebot des Museumspädagogischen Zentrums für Übergangsklassen führt die Kinder mit Migrationshintergrund durch Museen, um ihnen neue Wörter nahezubringen und sie auf ungewöhnliche Exponate neugierig zu machen. Was nahmen die Kinder wie wahr? Überraschendes kam dabei heraus und der Lerneffekt für Kinder und Begleiter fand nicht nur im Museum statt. Folge meinem Erfahrungsbericht!
Kleiner Geschichtskurs: die Museen König Maximilians II.
Das von König Maximilian II. von Bayern erbaute und bestückte Museum Fünf Kontinente war bis vor zwei Jahren noch das Völkerkundemuseum. Genau genommen wurde im Museumsgebäude an der Maximilianstraße ab 1869 der damalige Bestand des Bayerischen Nationalmuseums (BNM) gezeigt (Zur ersten #MMuseumsT lest unbedingt den Bericht zum Bayerischen Nationalmuseum). Erst 1900 zog die Sammlung in das aktuelle Museumsgebäude des BNM an der Prinzregentenstraße um. Die ethnologischen Sammlungen kamen erst 1925/26 in die Maximilianstraße. Zufällig sind also unsere beiden ersten Museumsbesuche historisch miteinander eng verbunden. Der Epitaph an der Fassade des Museums „Meinem Volk zu Ehr und Vorbild“ galt weniger den ethnographischen Sammlungen als der bayerischen Volkskunde.
Unsere Museumstour-Kinder: Wer ist „wir“ heute?
Mit von der Partie sind zwei Jungen und acht Mädchen. Darunter sind als Neuzugänge die ältere Schwester (7. Übergangsklasse) eines der Kinder aus Afghanistan vom vorherigen Mal und ein zehnjähriges Mädchen aus dem Irak (6. Klasse), das bereits seit der 1. Klasse in Deutschland lebt. Außerdem machen zwei Geschwisterkinder, die letztes Mal krank waren, heute zum ersten Mal einen Museumsbesuch.
Die Aufbruchstimmung ist leider durch Streit unter den Kindern getrübt, die sich in ihren Sprachen beschimpfen und beleidigen – bekannt aus der Nachmittagsbetreuung. Es lässt sich über die Sprachbarrieren hinweg schwer gerecht schlichten.
Die Kirche im Dorf lassen
Auf dem Weg ins Museum machen wir Rast am St. Johannisplatz – ein Kind blickt zur Kirche hinauf und fragt: „Ist das das Museum?“
Nicht alle sind heute vom Museumsausflug angetan – meine Begeisterung vom ersten Mal erhält einen Dämpfer. Einige fürchten, wir würden zu lange Wege zu Fuß zurücklegen. Werden wir es schaffen, bei sechs geplanten Museumsbesuchen in Folge, die Lust auf die Museen aufrechtzuerhalten? Oder wird der eine oder andere Museumsmuffel zu Tage treten? Ich habe Zweifel.
Spielplatz am St. Johannisplatz
Auf dem Spielplatz am Johannisplatz sind die Kinder zögerlich – andere Kinder belagern die Schaukel – sie trauen sich nicht – ich soll vermitteln – ein afrikanisches Mädchen aus der anderen Gruppe fragt: „Seid Ihr Moslems? Cool, ich auch, bin leider die Einzige in meiner Gruppe!“
Für das zehnjährige irakische Mädchen bedeutet die Rast Wiedersehensfreude: Sie trifft eine Erzieherin, mit der sie in ihrem ersten Schuljahr Leseförderung gemacht hat. „Ob sie wieder zu unserer Schule kommt?“ Wahrscheinlich nicht, lautet die Antwort. „Eine Art deutsche Lesemutter?“ fragt Rudolf, der andere Begleiter, und beide lächeln verschmitzt.
Weiter geht’s – Maximilianeum
Einmal rum um das Maximilianeum, um es von der Vorderseite anzuschauen. „Was ist ein Parlament?“ wird da gefragt. Und das Parlament zu Gast bei den besten Studierenden Bayerns, das übertrifft ihre Vorstellungskraft.[1] Die Älteste will wissen: „Um zu studieren, muss man zwei Sprachen sprechen, oder?“ Ich würde es ihr sehr wünschen, dass sie eines Tages studieren kann.
Alle wollen sich vor dem Maximilianeum fotografieren. Dann geht es über die Isar: „Ooh so viel Wasser, ich liebe Wasser“ sagt ein Mädchen, für das der Anblick der Isar neu zu sein scheint und das noch auf dem Schulhof meinte: „Heute wieder Museum?“ Von der Brücke blicken wir Richtung Deutsches Museum und kündigen an, nächste Woche sind wir dort!
Hereinspaziert – Museum Fünf Kontinente
In der Eingangshalle treffen wir auf Frau Susanne Bischler. Sie will gleich wissen, ob wir immer diesen Mädchenüberhang in unserer Gruppe haben, sonst ist es eher anders. Dann möchte sie wissen, ob jemand den Namen des Museums kennt. Ein Kind dreht sich flink zu den goldenen Buchstaben, die durch die Scheibe des Eingangsbogens durchscheinen und liest die Spiegelschrift entziffernd laut vor: „Mu-se-um Fünf Kon-ti-nen-te“. Jawohl, noch kein Jahr mit der deutschen Schrift vertraut und schon wird sie auch im Spiegelbild erfasst! Was für Künstler, diese Kinder!
Brot und Spiele – „Spiele aus aller Welt“
„Spiele aus aller Welt“ ist das heutige Motto der Führung des Museumspädagogischen Zentrums. Nach mehreren Treppen und schönen Ausblicken auf die Altstadt hocken wir uns am Eingang der Südamerika-Abteilung hin – hier geht es zunächst weniger um Spiele als um Essen und Wörter dazu, die aus Südamerika „zu uns“ gekommen sind.
In einem Schaukasten betrachten wir eine Vase mit Kopf umrankt von Maiskolben und die Führerin will wissen, ob die Kinder schon Mais gegessen haben. Sie erläutert, wie man aus Getreide Mehl macht. Dann riechen die Kinder an den Kakaobohnen, die Mutigsten kauen sie. An den Gesichtern merkt man, dass die Kinder etwas Süßeres mit dem Wort Kakao verbinden, das es auch in ihren Sprachen gibt. Eine berührte Museumswächterin nimmt offensichtlich Anteil an den Erkundungen der Kinder aus aller Welt ausgerechnet im Museum Fünf Kontinente und tauscht sich, eine Kakaobohne kauend, mit einem Kind darüber aus.
Etwas Ungenießbares gibt es zum Schluss der südamerikanischen Erzeugnisse: das Gummi eines Flumi. Somit sind wir wieder bei den Spielen und dem Flumi folgend springen wir wieder auf zur nächsten Abteilung „Nordamerika“.
Von Südamerika nach Nordamerika: Fühlen und Würfel
Hier fällt es den Kindern schwer, nicht gleich in die Eskimohöhle zu verschwinden – ein nur für Kinder vorgesehener Bereich. Im Schaukasten, vor dem wir diesmal hocken, sind Indianerschmuck und -gewänder zu sehen. Die Kinder ertasten den Unterschied zwischen einem Hasenfell und einem Robbenfell. Sie sollen versuchen, ihn zu benennen (weich, zart vs. rau, hart). Dann gibt es Würfel aus Knochen und die Kinder werden ermutigt, Spiele aus ihren Herkunftsländern mit den Würfeln zu erklären.
Zehn Kinder in der Höhle und auf nach Afrika
Zum Abschluss hier in Nordamerika kriechen alle Kinder in eine Art Iglu – einer stöhnt, dass es ganz schön eng da drin war – kein Wunder zu zehnt!
Nun einmal über den Atlantik nach Afrika: hier müssen die Kinder über die nackten Figuren kichern – es scheint ihnen dabei unwohl – wahrscheinlich wundern sie sich, dass auch solche Exponate Platz in einem Museum finden.
Spielzeug aus Müll
In der Abteilung Afrika bleiben wir vor einem Schaukasten stehen. Er zeigt Alltagsszenen mit aus Müll gebastelten Figuren. Die Führerin kündigt an, dass wir nun zum Basteln in die Werkstatt gehen. „Ob wir auch mit Müll basteln werden?“, fragt ein Kind – „Nein, hier im Museum gibt es wenig Müll“.
Geschlechtsspezifische Muster einmal anders
In der Werkstatt der Kulturen können die Kinder zwischen zwei Spielen wählen, die sie selbst basteln und bemalen können: zur Wahl stehen drei Sorgenpüppchen in einem Säckchen, die man in der Nacht unter das Kopfkissen stecken kann, oder ein Würfelspiel mit Bohnen in einer Dose.
Sieben der acht Mädchen entscheiden sich für das Glückspiel, während einer der beiden Jungen sich der Sorgenpüppchen annimmt. Während Rudolf, der zweite Begleiter, diesen zu seiner Wahl beglückwünscht, wundert sich die Führerin laut denkend über die vielen Mädchen, die das Würfelspiel vorziehen. Und sie kommt nicht aus dem Staunen heraus. Leider muss sie es sogar noch einmal betonen, „wirklich, es ist sonst anders“. Gar nicht so einfach das Festklopfen von geschlechtsspezifischen Mustern zu vermeiden.
Während die Kinder sich an die Arbeit machen, schaue ich neidisch auf das gut sortierte Bastelmaterial des MPZ in der Werkstatt – davon können wir in der Schule nur träumen!
Als die Kinder nach und nach mit ihrem Spiel fertig werden, gehen wir dazu über, in kleinen Gruppen zu würfeln und zu spielen. Die Führerin fängt in der Zeit ein Gespräch mit dem ältesten afghanischen Mädchen aus der Gruppe über ihre Sprache Farsi an – auffällig wie alle Erwachsenen in ihr gleich eine Gesprächspartnerin erkennen.
Orient-Abteilung
Auf Rudolfs Betreiben suchen wir noch nach Exponaten aus Afghanistan und dem Irak in der Orient-Abteilung – leider derzeit im Umbau. Einige Kinder erkennen neben Schmuckutensilien auch einen zweisprachigen Koran auf Farsi und in Hochpersisch. Stolz über ihre Sprachkompetenz erklärt ein Mädchen, dass es beide Schriftzeichen lesen und verstehen könne.
Ungeschulte Wahrnehmung von Stil und Epochen
Zum modernen Waschbecken am Eingang der Werkstatt der Kulturen – imponierend, da wahrscheinlich aus Marmor – meint ein Kind anerkennend, dass es bestimmt sehr alt sei. Lustig eigentlich, dass die Wahrnehmung von Altem und Modernem bei Exponaten oder Gegenständen im Museum so abweicht von unserer eigenen. Auch bei unseren späteren Museumsbesuchen erleben wir immer wieder ähnliches. Die Kinder glauben bei „alten“ Sachen, die 200 Jahre alt sind, dass sie mehrere Tausende Jahre auf dem Buckel haben. In ihrem Gefühl für Modernes und Altes oder sehr Altes sind die Kinder noch ungeschult.
Kurze Haare als Berufspflicht?
Als wir draußen sind, stellt ein Mädchen eine Frage, die für mich die überraschendste des Tages werden soll. Ihr macht es zu schaffen, dass letztes Mal beim Bayerischen Nationalmuseum die Führerin Gabi kurze Haare hatte und heute die Führerin wieder kurze Haare trug. „Müssen sie das? Gehört es zur Arbeit im Museum für Frauen dazu?“
Beim Warten auf die Tram: Luxus und Not
Im diesmal nicht musealen Schaufenster einer der ersten Boutiquen in der Maximilianstraße erblicken wir drei Handtaschen. Die „Günstigste“ für 1700 EUR und die Teuerste für knapp 3700 EUR zu haben: die Kinder staunen schwer und schütteln den Kopf missbilligend – Rudolf gibt zum besten: „Ja, hier kaufen unter anderem die Scheichs aus Dubai ein, die im Hotel „Vier Jahreszeiten“ ein paar Schritte weiter, unterkommen“ – Hotel Vierjahreszeiten, ob die Führung aus dem Bayerischen Nationalmuseum von letzter Woche bei den Kindern anklingt? – Ja, Kinder, auch das ist München. Müde Gesichter und müde Beine steigen in die Tram ein, auf Wiedersehen, bis nächste Woche. Alle winken immer so nett!
[1] Das Maximilianeum beherbergte zuerst die 1852 vom König Maximilian II. gegründete Stiftung Maximilianeum, die begabten bayerischen Studenten ein Studium der Rechts- und Staatswissenschaft ermöglichte. Erst nachdem das Bayerische Parlament im zweiten Weltkrieg ausgebombt worden war, zog dieses als Mieter ins Maximilianeum und übernahm den Unterhalt des Gebäudes.
Informationen zum Museum Fünf Kontinente
Museum Fünf Kontinente
Maximilianstraße 42
80538 München
Website: http://www.museum-fuenf-kontinente.de/
Öffnungszeiten
Öffnungszeiten
Dienstag – Sonntag
9.30 – 17.30 Uhr
Schließtage:
Faschingsdienstag, Karfreitag, 1. Mai, Fronleichnam, Heiliger Abend,
1. Weihnachtsfeiertag und Silvester
Eintrittspreise
Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre: frei
Erwachsene: 5 Euro
Für Ermäßigungen unter Eintrittspreise nachsehen.
Warst du schon im Museum Fünf Kontinente? Was hast du erlebt? Was beeindruckte dich? Ich freue mich auf deine Rückmeldung hier!
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