Meine Passion für die Skulptur war am Ende ausschlaggebend und dieses Mal waren keine Tränen im Spiel, obwohl die Erstkonfrontation mit dem skulpturalen Werk des Künstlers um ein Haar dazu geführt hätte …
Zwei Museen, ein Künstler in Frankfurt
In Frankfurt zeigten gleich zwei Museen die Werke des Künstlers: seine Bilder in der Schirn, die Skulpturen im Liebieghaus. Mich erstaunten die Ideen, die Virtuosität in der technischen und künstlerischen Umsetzung. Ich ging unbedarft mit wenig Vorwissen in die Ausstellungen. Die Rede ist von Jeff Koons. Knallig und bunt geht es bei ihm zu. Ein Wechselspiel von Kitsch und Kunst sowie Provokation kennzeichnen seine Exponate. Eindeutigkeit, schnelles Erfassen des Dargestellten bzw. kaum tiefsinniges Ergründen werden vom Betrachter abverlangt – so nehme ich seine Kunst wahr. Heute also eher leichte, aber spannende Kost.
Wenn frau noch einem klasse Führer lauscht, der äußerst lebendig die Werke vorstellt, ist das schon die halbe Miete. Aber wofür? Zum Verstehen des Künstlers? Hm … das wäre eher traurig. Nein, etwas anderes ist mir hier wichtiger: der persönliche Zugang zum Werk, das Sich-Darauf-Einlassen, ohne den „Ballast“ des Wissens im Gepäck. Das macht die Faszination für Kunst aus. Deshalb lasse ich jetzt den Werdegang des Künstlers oder seine kunsthistorische Einordnung außer Acht. Zuletzt schrieb Annabelle Hornung in ihrem Beitrag zur #ABlogparade 2012 sehr treffend und reich bebildert über Koons in Frankfurt. Was reizte mich nun an Jeff Koons?
Die Konfrontation von Kitsch mit „Kitsch“
Richtig. Die Konfrontation von Kitsch mit „Kitsch“ überraschte und reizte mich nachhaltig. Nirgendwo besser konnte das erlebt werden als im Liebieghaus. Das unerwartete Wechselspiel der Plastiken von Jeff Koons mit den Skulpturen der Dauerausstellung des Liebieghauses fing mich ein. Aber nicht sofort. Im Gegenteil. Die erste Begegnung damit tat mir Mediävistin weh, sehr weh. Ich traute meinen Augen nicht, wollte es kaum glauben, was ich da sah. „Autsch“, „nur weg hier“ waren meine ersten Gedanken im Angesicht eines riesigen dicken Keramikschweins mit moppeligen Engelchen, das sich in einem Raum mit Meisterwerken der mittelalterlichen Kunst befand: Hummel- trifft Heiligenfigur. Kitsch pur. Oha! Warum nun Kitsch in Anführungszeichen?
Das geschieht aus heutiger Warte. Wir benötigen Erklärungen, um eine mittelalterliche Skulptur zu verstehen. Wir sehen sie oft unterschiedslos, weibliche und männliche Heilige, die Kirchen oder Museen bevölkern. Die museale Präsentation hat zumeist nichts mehr mit dem originalen Aufstellungskontext zu tun, häufig ist dieser auch für uns komplett verlorengegangen. Wir können froh sein, wenn die Skulptur in ursprünglich geplanter Aufstellungshöhe gezeigt wird. Denn ihre beabsichtigte Wirkung ist darauf ausgerichtet, sie ist fein komponiert. Manche von uns benötigen Erklärungen welcher Heilige dargestellt ist. Ein Kelch mit Giftschlange und ein Buch oder eine Schriftrolle in der Hand eines jungen Mannes bestimmt die Figur als Johannes der Evangelist. Für uns ist das nicht mehr eindeutig erfassbar, für den Zeitgenossen schon. Er erkannte anhand der Attribute wer dargestellt ist. Ein für ihn leicht durchschaubarer Code.
Uns ergeht es ganz ähnlich, wenn wir ein überdimensioniertes Schwein mit bunten Engeln sehen – Hummelfigur grüßt. Wir erkennen das deshalb, weil uns die Bildsprache bekannt ist. Das machte den Reiz der Werke von Jeff Koons im Liebieghaus für mich aus: die Konfrontation alt mit neu.
Faszinosum „ungewohnte Präsentation“
Sie offenbaren Bezüge bzw. bewusst eingesetzte Irritationen zu den ihnen umgegebenen Exponaten. Diese können formaler Art sein, wie die Anknüpfung an rauschende Barockformen in der bewegten Spiegelrahmung Koons oder der Kontrast von alt und hässlich mit schön und verrucht, wie seine Porzellanarbeit mit dem Schwein, das die am Boden liegende Büste der Geliebten des Künstlers beschnuppert. Diese ist angezogen und doch nicht angezogen, ihre Brustwarzen lugen vorwitzig durch das schwarze Netzoberteil hervor. In einer nahegelegenen Vitrine steht als Gegenpol die „Garstige Alte“, Ulm, um 1480 – die Schönheit der Frau ist verwelkt bis zur absoluten Hässlichkeit als Ausdruck des Ephemeren, des Vergänglichen. Wünschenswert wäre hier die Konfrontation mit der Sybille von Niklas Gerhard von Leyden gewesen. Ihr gespitzter „Kussmund“ im Verbund mit der Büste eines Propheten wurde schon im 15. Jahrhundert als real existierendes Liebespaar gedeutet. Kunst und ihre Wahrnehmung gehen mitunter seltsame Wege.
Die Reihe der Konfrontationen ließe sich beliebig fortführen – Ariadne mit Panther aus dem 19. Jahrhundert vs. dralle Blondine mit erschlafftem Pink Panther, Michael Jackson vs. ägyptische Kunst etc. Die Ausstellung, die ich im Rahmen eines Tweetups in beiden Häusern besuchte, war für mich sehr spannend.
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