KULTUR – MUSEUM – TALK

Partizipation: Vom Museumsbesucher zum Macher?

Liebes Marta Herford,

besucht habe ich Euch noch nie – das heißt, leiblich, vor Ort. In den Sozialen Medien umso öfter, angeregt durch die Diskussionen, die dort stattfinden. Ich bin auf Euch aufmerksam geworden durch die vielen Museumsleute, die ich dort kennengelernt und liebgewonnen habe. Was macht dieser Besucher? Wie steht es um meine Besuchermacht? Gerne nehme ich an eure Blogparade #BesucherMacht teil!

Besucher in Museum van Bommel van Dam, Venlo, Oktober 2015. Ausstellung: „Willy Gorissen – Een verzwegen loflied“. Bild: Peter Soemers, CC-BY 4.0

Das Thema Partizipation beschäftigt mich. Lange Jahre war ich ein eifriger Museumsbesucher ohne jeden Kontakt zu Kuratoren. Vermisst habe ich den immer schon. Aber ich sah mir die Museen und Ausstellungen an, kaufte Kataloge und Bücher und studierte diese ‚wie ein Einsiedler‘ zuhause. Das was danach kam, ist hier nachzulesen: „Wie das? Vom anonymen Museumsbesucher zu Partizipation (Teil 2 – #KultDef)“ Erst jetzt leuchtet mir ein, dass dieser Post im Grunde bereits ein Beitrag zu #BesucherMacht darstellt! Aber ich schreibe hier fleißig weiter und versuche, etwas konkreter zu werden in Hinblick auf Ausstellungsgestaltung und Mitarbeit. Danach weite ich mein Blickfeld wieder.

Besucher und Ausstellungsgestaltung

Würde ich mich an der Gestaltung einer Ausstellung beteiligen? Wenn das Thema mich sehr interessieren würde, könnte ich mir das gut vorstellen. Der Fall ist noch nicht eingetreten. Ich habe mich bisher beschränkt auf vereinzelte Hinweise an Museen. Darin äußerte ich Vorschläge für eine etwaige vom Museum zu gestaltende Ausstellung. Klar, dass die noch nicht honoriert wurden – dazu braucht es selbstverständlich viel Zeit und Glück, die Ausstellungsplanung wird ja oft schon Jahre im Voraus gemacht.

Ich stelle Euch aber gerne zwei Ausstellungen in den Niederlanden vor. Sie räumten Besuchern ziemlich viel ‚Macht‘ ein.

1. Mix und Match

Erstens das Mix Match Museum. Das war kein real an einem Ort existierendes Museum, sondern ein gemeinsames, bereits abgeschlossenes Projekt von sechs Museen in 2014/15. Über die projekteigene Website (nicht mehr online) wurde im Prinzip jedermann eingeladen, auf eigener Faust eine virtuelle Ausstellung im Netz zu gestalten. Es standen 300 Objekte zur Verfügung, von den Kuratoren aus den sechs teilnehmenden Museen ausgewählt, je 50 pro Museum. Der ‚Besucher‘ durfte per Mausklick drei bis 12 Objekte aus dieser Sammlung auswählen und auf der Website wie eine kleine Ausstellung präsentieren (‚mix and match‘) – vorausgesetzt, er fügte eine kurze Begründung oder Geschichte bei.

Da eine Anzahl von auserkorenen virtuellen Ausstellungen nachher auch wirklich vor Ort in jeweils einem der teilnehmenden Museen mit den realen Objekten gezeigt werden sollten, konnte man ebenfalls den bevorzugten Ausstellungsort mit angeben. Mir ist übrigens nicht klar geworden, wer da juriert hat. Vermutlich haben die Museen diese ‚Macht‘ weiterhin selbst ausgeübt. Wie auch immer, aus den 669 konstruierten Sammlungen wurden insgesamt 24 in handfeste Ausstellungen in den Museen überführt! Eine beträchtliche Zahl, finde ich! Eine Ausstellung war von einer Gruppe Elfjährigen gestaltet worden.

War ‚der teilnehmende Laie‘ komplett auf sich gestellt? Nein: Die beteiligten Mitarbeiter der jeweiligen Museen präsentierten sich auf der Website. Sie schrieben Blogposts zu dem Vorhaben und zu einzelnen Objekten; man konnte darauf reagieren und Fragen posten.

Ich kenne jedoch Museumsleute, deren innerliche Grundüberzeugung sie zu diesem Schritt bewegt: Die Kunstwerke gehören der Allgemeinheit, sie gehören ‚in der Hand des Publikums‘. Was damit gemeint ist? Siehe den letzten Teil meines bereits erwähnten Blogpost „Wie das?“, worin ich am Schluss meine drei Hauptinspiratoren vorstelle: Ihr Credo ist mein Credo! Ich habe gesprochen! #BesucherMacht!

2. Limburgs Museum, oder: Wie schreibt man einen Katalog?

Das breit kulturhistorisch orientierte Limburgs Museum in Venlo veranstaltete 2013 eine Ausstellung ‚Geschilderd van Eijsden tot de Mookerhei‚ – eine Präsentation von Gemälden, die Orten und Landschaften der Provinz Limburg darstellen. Es gab keinen Katalog.

Limburgs Museum, Venlo, 2013. Ausstellung: ‚Geschilderd van Eijsden tot de Mookerhei‘. Bild: Peter Soemers, CC-BY 4.0.

Jedoch: In Zusammenarbeit mit zwei großen Tageszeitungen wurde während der Ausstellung jede Woche ein Gemälde in den jeweiligen Wochenendausgaben kurz vom Museum vorgestellt. Die Leser wurden aufgefordert, Kommentare und Geschichten zu dem Gemälde einzuschicken. Nach redaktioneller Bearbeitung durch Zeitungsverlag und Museum wurde daraus eine ‚Story‚, die in der Woche danach publiziert wurde – zusammen mit der Vorstellung des darauffolgenden Gemälde-der-Woche.

Die Publikumsbeteiliging und der Enthusiasmus war dermaßen groß, dass man sich zu einer nachträglichen Veröffentlichung in Buchform entschloss. So kam ‚der Ausstellungskatalog‚ zustande. War dieser eine kunsthistorische Meisterleistung? Wohl eher nicht. Aber das war ja auch nicht die Absicht! Das Ziel war, den ‚Zeitungs- und/oder Museumsbesucher‘ mit Kunst und Kulturgeschichte in Berührung zu bringen und deren höchstpersönlichen Bezug zu den Gemälden ins Licht zu rücken: #BesucherMacht.

Eine tolle Art und Weise, in einem Museum ‚verstecktes‘, gemeinsames Kulturgut den Menschen zurückzugeben. #BesucherMacht wurde hier wirksam ‚verführt‘, und einige neue historische und kunsthistorische Einsichten sind dabei auch noch herumgekommen! Hier zitiere ich gerne Anke von Heyl: „Ja, der Besucher hat die Macht. Im Museum ist er eingeladen, die Kunst zu vollenden.„. In der Zeitung diesmal auch.

Was will ‚der Besucher‘?

Es ließen sich bestimmt noch mehr Beispiele finden. Was ist aus meiner Sicht wichtig?

Besucher (wie Kuratoren auch) sind Menschen. Jeder Mensch hat unterschiedliche Bedürfnisse, Vorstellungen und Wünsche. Ich als einzelner Besucher habe auch nicht ständig die gleichen Wünsche und Bedürfnisse. Damit erheben sich mathematisch gesehen die quasi unendliche Faktoren nochmal ins Quadratische. Ich kriege immer ein mulmiges Gefühl, wenn Besucherforschung betrieben wird, indem man versucht, bestimmte Gattungen herauszuarbeiten. Ich biete mich gerne als Versuchskanikel an. Wenn @mikelbower da auch noch mitmachen würde, hätten wir schon zwei sperrige Gattungskandidaten für wissenschaftliche Besucherforschung. ‚Der Besucher‚ existiert nicht.

Eindeutige Kommunikation

Weil ‚der Besucher‘ nicht existiert, kann man es nicht allen Besuchern (und Kuratoren) Recht machen. Klare Kommunikation darüber, was genau man mit Besucherpartizipation im Rahmen von Ausstellungsgestaltung vorhat, hilft schon viel. Auch die späteren Besucher der unter Beteiligung von ‚Laien‘ gestalteten Ausstellungen sollten über den Prozess informiert werden.

Das Museum zieht seine eigenen Grenzen

Für mich ist von vornherein völlig akzeptabel, dass das Museum selber die jeweiligen Spielregeln bestimmt. Die Kunst mag gewissermaßen uns allen gehören, die Museumsleute sind die Verwalter und sie haben meinen Vertrauensvorschuss. Wenn man im Laufe des Prozesses ‚auf Augenhöhe‚ ins Gespräch kommt (Zitat Sarah Niesel – und das ist, was ich mir wünschen würde!), kann man im Rahmen des gewachsenen Vertrauens immer noch Verbesserungsvorschläge diskutieren. ‚Auf Augenhöhe‘ bedeutet nicht, dass der Kurator seine fachliche Kompetenz verliert oder verleugnen sollte! Oder dass ‚der Besucher‘ sich als ausgebildeter Kunsthistoriker oder erfahrener Kurator benehmen sollte. Ein Überschuss an Enthusiasmus darf von dem Museumsteam gerne etwas eingebremst werden.

Im Grunde genommen geht es hier um ganz normale zwischenmenschliche Kommunikation. Mehr kann ich daraus nicht machen. Kuratoren und Besucher agieren ja außerhalb der Museumswelt auch mit unterschiedlichen Kompetenzen in mannigfachen sozialen Geflechten – wie jedermann.

Mein Herzenwunsch in Bezug auf Museumsleute

Wenn ich Museumsdirektor wäre, ginge es mir vor allem um die richtige Geisteshaltung meiner Mitarbeiter. Natürlich ist die zu wählende Strategie wichtig; selbstverständlich ist die praktische Umsetzung wichtig. Aber als betrachtender, teilhabender und vielleicht auch mitgestaltender Besucher möchte ich ‚das Herzblut‘ der Veranstalter spüren. Gelingt es den Kuratoren und sonstigen Mitarbeitern, den Besucher wirklich ernst zu nehmen? Ist es ihr Wille, Otto Normalverbraucher den Zugang zu Kunst und Kultur zu erleichtern – und dass nicht von einer ‚akademischen Warte‘ heraus? Haben sie verinnerlicht, dass das ihr Auftrag ist – sogar schon auf einer rein menschlichen Ebene?

Ich kann nur wiederholt auf meine Inspiratoren hinweisen. Ihnen ist es ein Herzensanliegen, den Menschen das Kulturgut zu ‚übergeben‘, das ihnen zutiefst gehört. Das kann sogar dazu führen, dass Museen das sogenannte ‚Remixen‘ von digitalen Abbildungen ermutigen, wie z.B. Jamie Seaboch das schon Jahrzehnte praktiziert (zunächst im stillen Kämmerlein, wegen Copyright-Verletzungs-Angst …).

Museen sind nicht Eigentümer, sondern ’nur‘ Verwalter und Mit-Gestalter. Welches Format man auch wählt, ich lege mehr Wert auf die spürbare innere Gesinnung, auf das Gemeinschaftsstiftende. Dann darf die Strategie und die Ausführung meinetwegen auch mal weniger perfekt sein. Es geht darum Mensch zu sein, nicht darum perfekt zu sein.

Besucher in Museum van Bommel van Dam, Venlo, Oktober 2015. Ausstellung: „Willy Gorissen – Een verzwegen loflied“. Bild: Peter Soemers, CC-BY 4.0

Museum braucht Besucher, Kunst braucht Betrachter?

Wenn das Museum Besucher braucht, ist die Diskusssion, ‚ob das Publikum wichtiger ist als die Sammlumg‘, ziemlich müßig. Beide sollten halt nicht vernachlässigt werden.
Anke von Heyl schreibt in ihrer Antwort auf dem Kommentar von Michelle van Veen:
Ich will nicht ausschließen, dass es Kunst gibt, die nur sich selbst genügt.

Schaut Euch das obige Eingangsbild meines Blogposts an. Es zeigt eine Besucherin der derzeitigen Willy Gorissen-Ausstellung in Museum van Bommel van Dam in Venlo, unweit der Deutsch-Niederländischen Grenze (Zeitungsartikel Rheinische Post ).

Willy Gorissen (1915-2006) war Lehrer an der Städtischen Akademie in meinem Heimatort Maastricht. Er hat diese, seine Kunst nie gezeigt – wohl auch deshalb nicht, um auf dem freien Markt nicht Konkurrent seiner Schüler zu werden. Er hat im öffentlichen Leben nur für seine Schüler gelebt. Seine Kunst ist zeitlebens völlig unbekannt geblieben. Er hat keinem Zutritt zu seinem Atelier gegeben, es existierte quasi nicht. Erst nach dem Tod seiner Geschwister wurden Hunderte von Kunstwerke gefunden.

Kunst die nicht gesehen werden wollte – Kunst, die nur sich selbst genügt? Ein Geheimnis. Ich bin froh, dass Kuratoren nun machen, und ich als Besucher mache auch etwas und biete Euch gerne einen kleinen Einblick.

Lasst uns gemeinsam Kunst und Kultur gestalten und genießen!

Twitter: @PSoemers

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