KULTUR – MUSEUM – TALK

Europeana – was und wem nutzt sie? #CultJam15

Am 9. und 10 Juli fand in der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien die Konferenz Europeana Creative Culture Jam (#CultJam15) statt. Ich war dabei. Was ist hängen geblieben? Viel Stoff zum Nachdenken über die Schlagworte ‚creative re-use‘, Metadata, ‚ready to use‘, Gesellschaftsfragen, nationale und europäische Identität, historisches Bewusstsein, Remixes und vieles mehr. Was kann die Europeana leisten und wem nutzt sie? Hier nun meine Sicht auf #CultJam15 für dich!

Der Vogel (die junge Frau – die Kunst) wird frei. Eckersberg’s Gemälde „Bella and Hanna“ (1820; links) und Installation Free der Finnischen Designerin Neea Laakso. Bild: Statens Museum for Kunst, www.smk.dk. (Public Domain; links); Peter Soemers CC BY-SA 4.0 (rechts)

Creative Culture Jam – was ist das?

Eine berechtigte Frage, oder? „Jam“ erinnert an Jam Session. Wikipedia sagt dazu:

„Eine Jamsession … ist ein zwangloses Zusammenspiel von Musikern, die nicht üblicherweise in einer Band zusammenspielen und -singen.“

Passt doch! In Wien waren Leute aus unterschiedlichen ‚Welten‘ zusammen: Professionals aus der Cultural Heritage-Welt und Vertreter der Kreativwirtschaft. Und ich als ‚einfacher User‘.

Die Teilnehmer diskutierten Ideen, (Pilot-)Projekte, Websites, Videos sowie Apps in vielfältiger Form (keynotes, pitches, ignites, chef’s tables, roundtable discussions, oder Oxford Debate) – Hauptsache „kreativ„. Auslöser und Angelpunkt dabei war das europäische digitalisierte kulturelle Erbe wie es von Europeana (‚die digitale Europäische Bibliothek‘) bereitgestellt und erweitert wird.

Wie kann diese Datenmenge zur Grundlage für ‚creative re-use‚ werden? Was bietet Europeana an, wie stimuliert sie „creative re-use“ und weshalb? Was machen Privatpersonen und die Kreativwirtschaft damit? Was fehlt wem? Was sollte anders werden? Darum ging es!

Die Finnische Designerin Kati Hyyppä zeigt den Besuchern ihre von Hammershøy (Gemälde links oben) inspirierte Installation As light goes by. Bild: Ida Tietgen Høyrup, CC BY-SA 4.0

Knapp 70 Leute präsentierten ihre Ideen und Initiativen – mir dröhnt noch immer der Kopf. Natürlich war auch Coding da Vinci dabei. Auf Twitter lief der Hashtag #CultJam15 heiß. Alle Sessions wurden gestreamt. Sie werden bald auf der Website der Europeana zu sehen sein. Aber die Präsentationen sind bereits als Hyperlinks im Programm online.

Zusammenfassen lässt sich das Ganze schwer. Kirstin Dill und Elisabeth Stricker von der Österreichischen Nationalbibliothek versuchten das für uns: #CultJam15: Where cultural heritage and creative industries came together. Die Videos werden so manche Präsentation verlebendigen. Und was beschäftigt mich im Nachhinein? Es sind vor allem Paradoxe und Chancen.

Datenmengen: Reichtum oder Last?

‚Wer alles findet, findet nichts‘. Die Kreativwirtschaft ruft nach noch mehr Bildmaterial: leicht zu finden, von hoher Qualität und nicht belegt von Copyright (oder zumindest sollten die Rechte geklärt sein) – ready to use. ‚Leicht zu finden‘ setzt voraus, dass die ‚Verschlagwortung‘ (Metadata) auf die Fragen der Nutzer antwortet. Das kann ein Dilemma sein, denn die Anwenderfragen sind nur zum Teil vorhersehbar. Verschiedene Präsentationen machen hier einen Vorstoß, indem sie ein anderes Tagging und das Anlegen von ready-to-use Sammlungen vorschlagen.

Was nutzt Kultur der Gesellschaft?

Gerade in den sogenannten ‚Chef’s Tables‘ wurde heftig diskutiert, ob die Bestrebungen des kulturellen Sektors und namentlich von Europeana wirklich fruchten. Antworten sie auf die Fragen in der Gesellschaft? Oder spielen sie nur eine bescheidene Rolle am Rande des weltweiten Geschehens auf Google, Youtube und Flickr?

Inspiration für mehr Partizipation

Besonders zwei Museumsmenschen inspirierten mich zu meinen Überlegungen: Michael Peter Edson und Merete Sanderhoff. Ihre Ideen stellte ich kürzlich vor in „Wie das? Vom anonymen Museumsbesucher zur Partizipation„.

Engagement und kulturelles Erbe

Michael Peter Edson hielt die erste Keynote. Er sprach erneut über die ‚Dunkle Materie‘ des Internets. Damit meint er das ungeheure Potential der ‚Nicht-Professionals‘ im Internet, das noch zu wenig von Kulturinstitutionen wahrgenommen, genutzt und bedient wird. Welches Engagement sollten die Professionals haben? Das verdeutlichte er bildhaft: Er verließ das Podium, nahm einen 50 kg schweren Sack Zement auf die Schulter und trug diesen das Podium hoch. So illustrierte er die Geschichte von Frauen eines Dorfes in der Nähe von Kathmandu. Sie schleppen jeden Tag vor der Arbeit auf dem Feld 90 Minuten lang solche Säcke einen Hügel hoch, um in ihrem Dorf eine Schule und Bibliothek bauen zu können (Geschichte erzählt von John Wood. So viel ist ihnen Bildung wert!

M.P. Edson zeigt was Bildung uns wert sein sollte (unten) und wie sein #VanGoYourself ausschaut (oben).
Bild: Peter Soemers, CC BY-SA 4.0

Ein solches Engagement sollten kulturelle Institutionen auch zeigen. Dass es sich hier nicht um einen spontanen Gag handelt, habe ich später im persönlichen Gespräch mit ihm erfahren. Säcke von 50 kg waren in Wien nicht zu beschaffen, denn 25 kg ist das Höchstgewicht (mehr darf ein Arbeiter in Österreich nicht tragen). Daher hat Michael aus Washington einen leeren 50 kg-Sack eingeflogen und in Wien umgefüllt. Kurz nach dieser ‚Show-Einlage‘ war er tatsächlich ein wenig außer Atem.

Kulturelles Erbe und Identität: eine politische Frage

Außerdem hielt Michael einen ‚Chef-table‘. Er ermutigte uns, ein großes Problem anzugehen und dies in Form einer kurzen Frage zu formulieren. Das Gespräch fokussierte allmählich auf: Wie kann kulturelles Erbe dazu beitragen, dass ‚Decision Makers‚ vernünftigere Entscheidungen treffen? Die Antworten kreisten um die Notwendigkeit, nationale(!) und europäische Identität neu und klar zu definieren.

Ein einfaches Rezept kam dabei nicht heraus. Aber diese Frage trage ich seitdem mit mir herum. Themen wie „Griechenland“ und „Einwanderung von Flüchtlingen“ drängen geradezu in die Richtung. Die Schätze, die Europeana sowie kulturelle Institutionen verwalten und anbieten, können und sollten historisches Bewusstsein schärfen und Menschen zu einem besseren Miteinander anspornen. Decision Makers lassen sich vielleicht noch am ehesten durch wirtschaftliche Argumente überzeugen, und die Kreativindustrie ist ein beträchtlicher Wirtschafsfaktor. Grund genug für Europeana und Kulturinstitutionen da am Ball zu bleiben!

Set Art free

Merete Sanderhoff stellte in ihrer Präsentation „Set Art free vor – ein Event an einem Freitag in Mai in Kopenhagen’s National Gallery, inklusive Abendprogramm. Schaut Euch die Präsentation an, um einen Eindruck zu gewinnen, was alles an diesem einen Tag vor sich ging. Kunst wurde in mannigfacher Weise ‚freigesetzt‘; Installationen / Remixes wurden neben den Original-Kunstwerken aufgestellt, damit die Wechselwirkung sich intensivieren konnte. Die Künstler erzählten über ihre Werke. Die Ausstellung dieser Remixes unter dem Namen „Mix it Up“ dauerte nur drei Tage (Schade!) – aber auf der Website (Hyperlinks zu den einzelnen Künstlern im Menü links) und in einem Blogpost ist sehr viel festgehalten.

Freitagabend, dem 29.05.2015: Besucher vor Statens Museum for Kunst geniessen Set Art Free und Kopenhagen. Bild: Ida Tietgen Høyrup, CC BY-SA 4.0

Erneut: Historisches Bewusstsein und Identität

In der Präsentation (Dia 40) notiert Merete auch die folgende Aussage eines der teilnehmenden Künstler:

“It was very important to have the visual and conceptual bridge between the two artworks, as it established a historical link. The two artworks sort of became one new artwork together as the commentary between them went both ways, talking about our understanding of our society and our understanding of previous societies.”

Sind wir hier nicht sehr nahe an der Identitätsfrage, die ich oben angesprochen habe? Verhilft dies uns nicht, Teil eines größeren Ganzen zu werden und über den Tellerrand des Hier und Jetzt hinauszuschauen? Die gleiche Bemerkung wurde schon einmal gemacht anlässlich der Remixes am Metro-Zaum bei der Marmorkirken in Kopenhagen:

“It’s great to have some new designs, so you have something from both the old and new world. How we live now compared to back then.”

Natürlich werden ein paar Remixes nicht im Stande sein die große Politik maßgeblich zu beeinflussen. Aber vielleicht leisten sie einen kleinen Beitrag und bereichern das Leben von Menschen.

Chris Wild: ‚retro‘ in die Geschichte

Am Schluss der Konferenz gab es dann noch eine Keynote! Chris Wild , auf Twitter und woanders The Retronaut genannt. Er nutzt historische Fotos, die er zum großen Teil aus der Schatztruhe der Europeana hervorholt, vgl. z.B. Monuments Men. Wie ein Astronaut reist er rückwärts durch die Weltgeschichte. Seid gespannt auf das Video: Er erzählt, wie er dazu kam und was ihn berührt – ein sehr persönliches und bewegendes Zeugnis. Seine Zeitreisen haben mit Identität zu tun: Zurückgehen in die vermeintlich bekannte Geschichte, um die Gegenwart besser ver- und bestehen zu können.

Mein Fazit der Konferenz

• Gebt Kunst und jedes kulturelle Erbe so frei wie möglich.
• Gebt jedem Menschen auf dieser Erde die Chance, herauszuholen was ihm gut tut.
• Lasst uns Teil eines größeren, weltweiten Ganzen werden. Mit Dank an Europeana und soviele begeisterte Menschen!

Spannend war #CultJam15 – ein Format, das es so in Deutschland nicht gibt – User und Professionals vereint. Kann die deutsche Museumswelt diese Tendenzen ignorieren? Was inspiriert?


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