KULTUR – MUSEUM – TALK

Staub aufwirbeln oder was #kunstputz kunsthistorisch bedeutet

Die Herbergsmütter wirbeln seit einigen Wochen massiv Staub auf mit #Kunstputz – im Netz und am 21. März 2015 um 15:00 mit einer analog digitalen Action – eine Staubführung durch Köln mit dem Gründer des Deutschen Staubarchivs – wie cool ist das denn?! Habe mir nun Gedanken um den #Kunstputz in der Kunstgeschichte gemacht. Als Kunsthistorikerin bin ich immer wieder damit konfrontiert worden und zwar mit der schädigenden Wirkung von Staub, Nässe und saurem Regen. Skulpturen mögen diese Kombination gar nicht, zumal mittelalterliche Skulpturen. Wenn es dann zu heftig ist, die Schäden schon da sind, steht der fachliche #Kunstputz der Restauratoren an – mal gut, mal weniger gut.

#Kunstputz im Marstallmuseum in Nymphenburg – „seht her, ich erstrahle bald wieder!“ – Ludwig II. wird’s freuen. [Foto: Tanja Praske]


Ich weiß, jetzt gibt es einen Aufschrei unter den Restauratoren, aber wartet, bitte noch nicht aufbegehren!

Kunstwissenschaftliche Vorgehensweise: Befundsanalyse

Ein Kunsthistoriker muss sich immer eng mit Restauratoren austauschen, um technisch bedingte Fehlinterpretationen auszuschließen. Das gehört zum kunsthistorischen Methoden-Rüstzeug dazu. Genau das waren meine Highlights während meines Studiums und später. Über so manches Restaurierungsdossier brütete ich. Vor allem jenes zum Mosesbrunnen im Dijon begeisterte mich vollends. Unglaubliche Erkenntnisse über Technik und Farbigkeit des Werkes brachte es hervor, nachdem Staub, Schmutz und Rußpartikel erst einmal aufwendig und kostenintensiv entfernt wurden.

Deshalb irritierte mich das mir gegenüber geäußerte Ansinnen von Restauratoren, die sich mehr Austausch mit Kunsthistorikern wünschten, teils fühlten sie sich von diesen übergangen. Für mich ist die Zusammenarbeit zwischen Restauratoren und Kunsthistorikern grundlegend, um den Geheimnissen der Werke näherzukommen. Restaurierungsergebnisse bilden prinzipiell die Ausgangslage für kunsthistorische Betrachtungen – so viel Plädoyer für die Methode der Befundsanalyse, bevor kunstwissenschaftlich weitergedacht wird. Warum schreibe ich das jetzt? Hm, weil es mit #kunstputz zu tun hat und zugleich ein Hinweis auf die Blogparade von in-arcadia-ego ist, die aktuell nach kunstwissenschaftlichen Methoden (#KuGeMethoden) fragt. Zurück zum #kunstputz für die Herbergsmütter.

Staubflusen im Haar Christi

Ganz hervorragend zu #kunstputz passt der Artikel „Ein Echthaarkruzifix aus der Kaiserburg Nürnberg wird restauriert“ von Marion Biesalski zur Kultur-Blogparade des Residenzmuseums von 2013:

„Eine dicke Schmutzschicht über Haut und Haar verstärkt den unheimlichen Eindruck [des Echthaarkruzifixes]. Doch damit nicht genug: Ein unbedarfter Mensch hat sich irgendwann an der Reinigung versucht, dabei höchst unglücklich agiert und ein großes helles Rechteck auf der Brust herausgeputzt. […]“

Wer fühlt sich da nicht erinnert an die Putzfrau im Museum Ostwall im Dortmunder U, die 2011 den Gummitrog von Martin Kippenbergers Werk „Wenn es anfängt durch die Decke zu regnen“ reinigte. Kein Einzelfall, auch zwei Werke von Beuys – „Fettecke“ und „Badewanne“ – unterlagen dieser Prozedur.

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Wie ist nun die Vorgehensweise bei der Restaurierung eines Echthaarkruzifixes?

„Zuerst muss der gröbste Schmutz beseitigt werden. Bewaffnet mit Mundschutz, Pinsel und Staubsauger werden die losen Verschmutzungen abgenommen, aus den Haaren mit Hilfe von einer Pinzette ganze Nester von verbackenen Flusen entfernt.“ [Marion Biesalski]

Entnahme der Staubflusen. [Foto: Marion Biesalski]

#Kunstputz par excellence! Nun, die Staubflusen im Haar Christi landeten nicht im Kölner Staubarchiv, sondern im Mülleimer. Welche Geschichten hätte dieser Staub nur erzählen können? Staub ist nicht gleich Staub. Das legt das Interview mit Dr. Wolfgang Stöcker, Initiator und Begründer des Deutschen Staubarchivs, nahe.

#Kunstputz bei Bernardo Bellottos Ansichten von Nymphenburg

Bevor die große Ausstellung zu Bernardo Bellotto genannt Canaletto in der Alten Pinakothek startete, unterzogen sich seine Ansichten von Nymphenburg im Residenzmuseum einer „Verjüngungskur“. Die Restauratorin der Bayerischen Schlösserverwaltung reinigte die Gemälde sorgfältig. In einer Art Schauwerkstatt in den Kurfürstlichen Zimmern konnten die Besucher des Residenzmuseums ihr bei der Arbeit zuschauen. Wer die Nymphenburger Ansichten Canalettos mit sich herumtragen und vor Ort mit dem Schloss und der Gartenanlage Nymphenburgs vergleichen möchte, der lädt sich auf sein Smartphone die kostenlose Garten-AppSchloss Nymphenburg. Lustwandeln im Garten“ herunter – Canaletto to go!

Action im Schauatelier der Kurfürstlichen Zimmer in der Residenz München. [Foto: Bayerische Schlösserverwaltung]

Fataler #kunstputz: der „Beau Pilier“ der Kathedrale von Amiens

#Kunstputz geht nicht nur gut aus. Es gibt Restaurierungen, die tun dem Kunsthistorikerherz richtig weh. Ich hätte heulen können, als ich die Aufnahmen der restaurierten Statuen des Beau Piliers sah. Die Reinigungsmethode, wahrscheinlich Sandstrahl, beschädigte die Oberflächenstruktur der Skulpturen gravierend. Ich wollte den Beau Pilier, nachdem ich meine Maîtrise über ihn schrieb, Jahre später in meinem Forschungsprojekt zur Historischen Emotionsforschung erneut analysieren. Frohgemutes fuhr ich nach Amiens, um mir die Aufnahmen und Restaurierungsdossiers des Beau Piliers anzusehen. Schließlich sind die neun Skulpturen der einzige weitgehend vollständig überlieferte Figurenzyklus, der König Karl V. mit seinen beiden Söhnen, drei Ratgebern sowie drei Heiligenfiguren zeigt und in die 1380er Jahre datiert.

Hier wartete der Beau Pilier der Kathedrale von Amiens noch auf die Restaurierung – jetzt ist es getan – leider“

Was war ich in meiner Studizeit in Paris begeistert von dem Ensemble. Bei eisiger Kälte (- 13°) fotografierte ich stundenlang die Figuren mit einem riesig langen Objektiv (analog), schließlich befinden sich die Statuen in großer Höhe an der Außenfassade der Kathedrale von Amiens. Eisige Finger und kalte Füße zwangen mich immer wieder ins Café. Dafür lockten mich die Statuen stets wieder in die Eiseskälte heraus. Sie zogen mich magisch an aufgrund ihrer kompositorischen Komplexität und den möglichen Bildhauern, die mit ihnen in Verbindung gebracht wurden. Dann also, Jahre später, sah ich die Detailaufnahmen und verwarf das Ensemble für mein Forschungsprojekt. Von der Expressivität der Mimik, die mich einst beeindruckte, blieb kaum etwas nach der fatalen Restaurierung übrig. Also stürzte ich mich auf den Mosesbrunnen von Claus Sluter. Sein Name fiel auch im Kontext des Beau Piliers. Die Restaurierung in Dijon war zwar nicht frei von Konflikten, aber reich an Erkenntnissen. Dazu ein anderes Mal vielleicht mehr.

Puh … die Ideen zu #kunstputz sprudeln – trotzdem stoppe ich hier. Also jetzt ein fettes

SAVE THE DATE #kunstputz 21.3.15 um 15:00

Was? Staubführung in Köln
Wo? Treffpunkt: um 15 Uhr an der goldenene Stele der Domschatzkammer (Nordseite des Doms)
Organisator: Herbergsmütter
weitere Infos

Was sind deine Ideen zu #kunstputz? Welcher Staub begeistert oder nervt dich? Besuchst du öffentliche Restaurierungen in Museen?

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