KULTUR – MUSEUM – TALK

Der Biber – zwischen Aberglauben, Fastenzeit und Bibergeil

Biber Bassin im Schlosspark Nymphenburg

… wann der Biber gejagt / und so nah an den Hag
oder die Netze getrieben werde / das er sich
besorge gefangen zu werden / haue er ihm selbst
seinen Geylin auß und werffe sie dem Jäger dar /
als eine Rantzion und Lößgeld für sein Leben.

Conrad Gessner (1516-1565)

Huch … was gibt das jetzt? Biber zwischen Schlössertouren, Ausstellungen und Social Media? Spinnt die? Nein. Das Thema hat etwas mit „Kunst erleben“, mit Kultur-Apps und mit einer Blogparade zu tun. Es ist mein Beitrag zur Initiative des Universalmuseum Joanneums „Welt ohne Zufall? Blogparade zum Thema #Aberglauben“. Wunderbare Geschichten und Fabeln ranken sich um den Bockert (=Biber). Zudem eignet sich die Fastenzeit hervorragend über ihn zu schreiben. Dem Ideenreichtum der Geistlichen waren fast keine Grenzen gesetzt, den kargen Speisezettel fantasievoll zu erweitern. Biber und Schlössertour passen auch prima zusammen! Alles klar, oder?

Das würde mich wundern. Für eine Kultur-App, die für dieses Jahr geplant ist, bin ich auf den Biber und auf eine Ausstellung im Netz über ihn gestoßen. Schreck und Faszination liegen hier eng beieinander. Aberglauben trifft zu.

… haue er ihm selbst seinen Geylin auß …

Holla … was ist das denn? Ich kannte es nicht. Als ich ähnliche Passagen meinem Vater am Telefon vorlas, stöhnte er entsetzt auf. Damit steht er vermutlich nicht alleine da. Klarer wird es dann schon im „Handwörterbuch des Deutschen Aberglaubens“. Danach ist die Geschichte über die Klugheit des Bibers eine seit dem Altertum am weitesten verbreitete naturgeschichtliche Fabel:

Wenn er verfolgt wird, beißt er sich seine Hoden selbst ab und opfert sie so seinen Verfolgern, weil er weiß, dass ihm deshalb nachgestellt wird; denn so glaubte man, die Hodensäcke sind der Sitz des so begehrten Heilmittels, des Bibergeils.

Im Mittelalter wird die Geschichte christologisch umgemünzt. Der Jäger wird mit dem Bösen, dem Laster verbunden, er begehrt das Bibergeil. Der Biber personifiziert danach die Tugend. Er beißt sich das Objekt der Begierde ab und befreit sich somit vom Laster, vom Teufel.

Wozu das Bibergeil?

Nach den Arzneimittelbüchern des 16. bis 19. Jahrhunderts zu urteilen, ist das Bibergeil ein Wunderheilmittel gegen alle möglichen Leiden. Es hilft bei Impotenz, Fallsucht, Wahnsinn, Magenleiden, besonders schön „bei Kröten im Bauch“, Kolik, Ischias, Herzgesperr, Atemnot sowie Zahnweh. Auch bei der Geburt brachte das Bibergeil der Frau Erleichterung. Kein Wunder also, dass der Biber gejagt wurde. Im 19. Jahrhundert wurde er fast gänzlich ausgerottet. Sicher, sein Fell war beliebt und sein Fleisch begehrt, besonders in der Fastenzeit und zwar mit Rechtfertigung von ganz Oben. Aha, wie das?

Biberschwanz: eine Delikatesse zur Fastenzeit

Nun, da der Biber im Wasser lebt, vor allem der Biberschwanz sich hauptsächlich unter Wasser befindet, zählt der Biber zu den Fischen, wie die Gans übrigens auch. Das Konstanzer Konzil 1414/18 erlaubte den Verzehr zur Fastenzeit. Der Jesuitenpater Charlevoix präzisierte 1754:

„Bezüglich des Schwanzes ist er ganz Fisch, und er ist als solcher gerichtlich erklärt durch die Medizinische Fakultät in Paris, und im Verfolg dieser Erklärung hat die Theologische Fakultät entschieden, dass das Fleisch während der Fastenzeit gegessen werden darf.“

Nicht nur die Geistlichen schätzten das Fleisch des Biberschwanzes, sondern dieser galt vor allem in der höfischen Gesellschaft als besondere Delikatesse. Es gibt wunderbare (ist wohl eine Frage des Geschmackes), heute verbotene Rezepte, da der Biber unter strengem Naturschutz steht. Lest Petra Foedes Blogartikel „Historische Rezepte: Gedämpfter Biber“ dazu. Ihr entnahm ich folgende Zubereitung des Biberschwanzes, die aus dem Kochbuch von Davidis-Holle 1898 stammt:

„Der Schwanz des Bibers, dessen anderes Fleisch man in einer Braise dämpft, nachdem man es einen Tag mariniert hat, ist eine große Delikatesse. Man schuppt den Schwanz ab, kocht ihn in Essig, Wasser und etwas Salz weich und wendet ihn alsdann in zerquirltem Eigelb und geriebenem Zwieback. Dann begießt man ihn mit Butter, brät ihn auf dem Roste braun und serviert ihn mit Citronenscheiben.“

Biber und Schlössertour?

Ja, das geht: Im Schlosspark von Nymphenburg gab es seit 1754 Biber. Kurfürst Max III. Joseph liebte die Tiere, für die er

„ein eigenes, aus zwey Bassins und zwey kleinen Häuschen bestehendes Behältnis einrichten, und dieses mit einer Brustmauer umgeben [ließ]. Die Thiere befinden sich in den kleinen Häuschen, … . Von Zeit zu Zeit gehen sie durch gemauerte Gängchen, in das darneben befindliche Bassin schwimmen und tauchen im Wasser mit einer bewunderungswürdigen Fertigkeit, wobey ihnen ihre breiter, ruderähnlicher Schweif als Steuerruder sehr zu statten kommt. … Ein eigner Biberwärter zeigt diese Thiere den Schaulustigen.“

Carl August Sckell, 1839

Ende 1860 verstarb der letzte Biber im Schlosspark Nymphenburg.

Wie melodramatisch und passend, so meinen Beitrag zur Blogparade des Joanneums zu beenden. Ein Post, der seltsam in meiner Bloghistorie ist, mir aber viel Freude bereitete und jede Menge Aberglauben bot.

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