KULTUR – MUSEUM – TALK

Hat Europeana ein menschliches Gesicht? | @Europeana1914

Zweimal schon berichtete ich als Gastautor über Europeana. Und jetzt mache ich das zum dritten Mal. Wieso eigentlich? Kann man sich nicht nur für Kunst und Kultur, sondern auch für eine internationale Institution begeistern? Heute geht es um Urheberrecht, Lizensen, Europeana 1914-1918 und die Jahresversammlung der Europeana Network Asssociation am 8.-9. November 2016.

Blick vom Turm der Petrikirche auf die lettische Nationalbibliothek, Riga, Lettland. Die Lettische Nationalbibliothek vom Architecten Gunnar Birkerts (lettisch Gunārs Birkerts) ist Tagungsort der ‚Europeana Network Association Annual General Meeting 2016‘, die am 8. und 9. November bevorsteht. Quelle: Wikimedia Commons, Bild von Zairon, CC BY-SA 4.0.

Ich begeistere mich für die Aktivitäten der Europeana.

Was ist denn Europeana?

Europeana bietet nicht nur ein Portal ‚Europeana Collections‘ mit über 53 Millionen Kunstwerken, Artefakten, Büchern, Videos und Audios aus ganz Europa. Wer sich die Website einmal etwas ausführlicher anschaut, wird schnell herausfinden, dass es eine Unmenge an Teilprojekten, virtuellen Ausstellungen und Blogposts gibt. Daten werden gesammelt, aufbereitet und verlinkt und in exemplarischen online Ausstellungen verwertet. Projekte, die teilweise mit vielen unterschiedlichen Partnern durchgeführt werden, treiben die Nutzung der Daten in mannigfachen Bereichen voran. Ausserdem kämpft Europeana an vorderster Front mit für ein gerechteres Urheberrechtsystem in Europa – und leistet uns allen auch in diesem komplizierten, wenig ansprechenden Bereich einen Dienst!

Das ewige Thema: Urheberrecht, Lizenzen – für wen?

Wie ‚menschlich‘ ist nun das Ganze? In Bezug auf die Gebrauchsrechte der eingespeissten Daten kann Europeana ganz schön kritisch sein, wie Karin Glasemann vom Nationalmuseum in Stockholm auf der MAI-Tagung 2016 in Hamburg berichtete (pdf – ‚Offener Zugang als Katalysator für die interne Entwicklung. Wie die Zusammenarbeit mit Europeana, Wikimedia und Linked Open Data Initiativen die Innensicht des Museums verändert‘, S. 4):

„Unsere Sammlungen wurden gelobt und beachtet, nur die Europeana selbst war in ihrem Urteil unmissverständlich: Während die Sammlung als Bereicherung des Portals gelobt wurde, so überwog doch die kritische Nachfrage, warum das Material nicht wiederverwendbar sei.“

Dr. Glasemann zeigt jedoch in der zweiten Hälfte Ihres Beitrags auf, wieviel Gutes die nachher durchgeführte Freigabe der Daten (CC BY-SA) hervorgerufen hat – außerhalb, aber auch innerhalb des Museums. Das Schwedische Nationalmuseum hat seine Sammlung noch weiter geöffnet, denn gerade erst gestern hat es über dreitausend Bilder in höher Auflösung zum freien Download mit der Angabe ‚Public Domain‘ (gemeinfrei) Wikimedia Commons übergeben und ausserdem auf GitHub plaziert. Die Bilder findet Ihr hier; bald werden sie auch in Europeana Collections vorhanden sein. Wer sich die Vorteile und Schattenseiten von OpenGLAM (Open Galleries, Libraries, Archives and Museums) mehr anschaulich vor Augen führen möchte, dem kann ich nur die neueste Slideshare von Merete Sanderhoff empfehlen: ‚Sharing is Caring. Societal impact of open collections?‚. Es geht letztendlich um Menschen …

Screenshot von Hanna Pauli’s ‚Frühstück‘ auf der Website von Europeana (Sammlung Nationalmuseum Stockholm), bereit zum Download, mit CC BY-SA Lizenz.

Ein menschliches Gesicht? Europeana 1914-1918

Gerade ein Projekt/Website wie ‚Europeana 1914-1918‘ zeigt, dass in ‚Daten‘ tiefe menschliche Gefühle und zum Teil dramatischen Ereignisse stecken können. Die Info auf der Website www.europeana1914-1918.eu/de beinhaltet:

Europeana 1914-1918 – Unbekannte Geschichten und offizielle Dokumente zum Ersten Weltkrieg. Entdecken Sie Geschichten, Filme und andere historische Dokumente zum Ersten Weltkrieg und tragen Sie Ihre eigene Familiengeschichte bei. Europeana 1914-1918 vereinigt Materialien aus Bibliotheken und Archiven aus aller Welt mit privaten Erinnerungsstücken von Familien aus ganz Europa.

Die privaten, eingescannten Objekte, Erinnerungen und Geschichten können zu jeder Zeit online hinzugefügt werden. Seit 2011 gibt es aber zusätzlich in fast allen europäischen Ländern ‚Aktionstage‘ vor Ort, wo Nachfahren Ihre Erinnerungsstücke zeigen und sofort digitalisieren lassen können, die damit verbundenen Geschichten erzählen und teilweise ebenfalls die Emotionen und Deutungen preisgeben, die diese ‚Objekte‘ auch heute noch auslösen. Es geht also um alles Andere als ‚trockene Wissenschaft‚. Etwa 200.000 private Objekte sind in dieser Weise bereits digitalisiert und auf der Website kommentiert worden!

Komplett digitalisierte Fotoalben von Rudolf Otte (Bildschirmfoto Europeana 1914-1918; http://www.europeana1914-1918.eu/de/contributions/14677#prettyPhoto

Worum es geht …

Harry Verwayen, Deputy Director von Europeana, hat in Juni an Aktionstagen in Poznan/Polen teilgenommen. Er beschreibt den Vorgang in einem Blogpost ‚A family with no history is not a family at all‚. Sein Fazit:

„I left Poznan reinvigorated and with the feeling that collecting people’s stories is as important as digitizing the objects and safeguarding them for the future. How do we make sure future generations can not only read the facts but also understand the emotions behind the metadata? How do we translate the energy that is unleashed when people ‘unload’ their story by expressing them to us in a room, to a compelling online experience? Currently they end up being part of a large corpus of individual narratives but we have yet to uncover the pan-European story that runs through all of them. This will require a lot of work to transcribe and translate the texts. But if we don’t do this we will have failed. A European union without a history is no union at all.“

Dies ist ein wunderbares Beispiel wie individuelle, persönliche Objekte, Erinnerungen und Geschichten zusammenfließen mit 800.000 Dokumenten aus Nationalbibliotheken und über 660 Stunden Filmmaterial. Aber mit Digitalisierung alleine ist es nicht getan, es bleiben Aufgaben, es geht um die Relevanz im Alltagsleben von Menschen …

Deshalb begeistere ich mich für eine Institution wie Europeana. Die ganze Bandbreite von Technologie, Urheber- und Bildrechte, Europäische Zusammenarbeit mit tausenden von Institutionen UND tausenden von normalsterblichen Menschen – der Fokus auf Respekt, kulturelle Eigen- und Verschiedenheit und zutiefst menschliche Gefühle … Der Europeana Dream von Nick Poole lässt grüßen!

Wie ‚quantifiziert‘ man solche ‚Projektergebnisse‘?

Vor wenigen Tagen hat Europeana ein Video und ein Case Study publiziert, worin der Versuch unternommen wird, die Auswirkungen (‚Impact‘) des Europeana 1914-1918 Projektes zu ermitteln und diese sogar in Zahlen zu ‚quantifizieren‘: ‚A fresh perspective on exploring impact‚. Harry Verwayen war mit federführend. Hat er sein Gespür für menschliche Emotionen verloren? Keineswegs! Entscheidungsträger wollen mit Zahlen über ‚Return on Investment‚ versorgt werden – nicht zu Unrecht. Es würde dem kulturellen Sektor generell gut tun, wenn er imstande wäre, seine ‚Resultate‘ irgendwie einsichtlich zu machen. Außerdem kann man seinen eigenen Blick damit gehörig schärfen!

Ich sehe diesen Versuch von Europeana jedenfalls als sehr mutig an. Vielleicht könnt Ihr Euch für Eure eigene Arbeit ein Stück weit inspirieren lassen. Ich werde das Video und die Studie hier nicht weiter kommentieren – Ihr seid von Europeana herzlich dazu eingeladen, dies zu tun, mittels Hashtag #europeanaimpact oder per Email an impact@europeana.eu (siehe den zitierten Blogpost). Das Video (7 Minuten) binde ich hier gerne ein:

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von Vimeo.
Mehr erfahren

Video laden

Workers Underground – a visual impact assessment journey of Europeana 1914-1918 from Europeana on Vimeo.

 

Auch bei dem Annual General Meeting der ‚Europeana Network Association‘ dabei?

Am 8. und 9. November findet die Annual General Meeting der ‚Europeana Network Association‘ statt, in Riga. Ich werde teilnehmen. Weshalb?

Bei dem Begriff ‚Jahresversammlung‚ denke ich spontan an pflichtmässige Veranstaltungen mit zum Teil öden Rechenschaftsberichten und Budgetverhandlungen – auf jeden Fall nicht an etwas, das zu begeistern vermag. Die AGM 2015 von Europeana in Amsterdam hat mich eines Besseren belehrt. Für ein ‚Institut‘ – ein Europäisches dazu – ist die Atmosphäre sehr lebendig, fast familiär und ohne Arroganz. Hauptbestandteil sind Präsentationen, Workshops, Austausch – spielerisch und wohl organisiert. Dieses Jahr lockt der 2013 fertiggestellte Neubau der Lettischen Nationalbibliothek in Riga, und das Programm ist Spitze!. Auch werden 28 neue Mitglieder des Member Councils gewählt. Wäre eine gute Sache für Europeana, wenn auch ‚end user‘ und ‚Kulturvermittler‘ sich mehr einbringen würden!

Transform the world with culture?

Das Leitbild von Europeana heisst: We transform the world with culture! We want to build on Europe’s rich heritage and make it easier for people to use, whether for work, for learning or just for fun.

We transform? Ein wenig arrogant? Beth Daley von Europeana fragt sich in ihrem Blogpost ‚We transform the world with culture. Say, what?‚:

„We – who? Transform – how? The world – it’s a big place! With culture – what’s that?
To me, these words have quite a variety of meanings. ‘We’ could be the Europeana Foundation, the Network Association or humankind. To ‘transform’ something, you change something from one state to another. So what is the process here and how do ‘we’ do that?“

Ich nehme es gerne als eine Aufforderung an mich selber. Und werde dabei nicht vergessen, dass es letztendlich die ‚User‘ sind, die die Welt verändern! Schließt Ihr Euch dieser Deutung an?

Heimlich freue ich mich, dass es im besagten Europeana 1914-1918 Video (5:36) schlicht und ergreifend heißt:

Motto Europeana 1914-1918

Wie steht Ihr zu Europeana? Was gefällt Euch, was gefällt Euch nicht? Was würdet Ihr Europeana empfehlen? Ich nehme Eure Bemerkungen gerne mit nach Riga – für den Fall, dass Ihr nicht selber Mitglied des Netzwerkes werdet und nach Riga kommt (es gibt Rückvergütung für Reise und Unterkunft).


Meine bisherigen Artikel zur Europeana:

 

Die mobile Version verlassen