Caritas Ausstellung – Interview mit der Kuratorin Dr. Ruhmann

Die Caritas Ausstellung im Diözesanmuseum Paderborn ist seit dem 23.7.15 eröffnet. Erstmals organisierten das Museum zusammen mit der Tourist-Information eine Bloggerreise unter dem Motto „Nächstenliebe in Paderborn“ (#pbkleiner3). Die Kuratoren des Museums führten Blogger und Podcaster durch die Ausstellung. Ich war eine von ihnen. Dr. Christiane Ruhmann, Kuratorin und Projektleiterin, stand mir in einem Interview Rede und Antwort. Mich fasziniert der Blick hinter die Kulissen. Du erfährst heute etwas über Entstehungsprozess sowie Konzeption einer Ausstellung, Ideenfindung, Anspruch und Wirklichkeit, Restaurierungen, Schwierigkeiten und Lieblingsstücke. Lesen!

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Bloggerreise #pbkleiner3 zur Caritas Ausstellung ins Diözesanmuseum Paderborn – Dr. Christiane Ruhmann erklärt uns das Ausstellungskonzept

Wie und wann kam es zur Idee der Caritas Ausstellung?

Noch während der großen Credo-Ausstellung kam die Frage auf, wie ein kleiner Haufen Christen sich in so kurzer Zeit über den Erdball ausbreiten konnte. Schnell stand die Caritas – die Nächstenliebe – als Impulsgeber für die rasante Entwicklung im Raum. Das Team setzte sich im Januar 2014 zusammen und begann das Konzept zu stricken. Die heiße Phase setzte sechs Monate vor Ausstellungsbeginn ein. Da lief nichts anderes mehr: die Leihobjekte trafen ein, die Dauerausstellung wich Caritas, alle arbeiteten fieberhaft auf die Eröffnung am 23.7.15 hin.

Was ist die Leitidee der Ausstellung?

Es geht um das menschliche Gefühl und nicht darum, eine katholische Jugendveranstaltung zu sein oder mit erhobenem Zeigefinger Missstände in der Gesellschaft aufzuzeigen. Wie empfinden wir Erbarmen, wenn wir menschliches Elend sehen? Was macht das mit uns? Wir wollen zum Nachdenken anregen, was Caritas bedeutet. Wo ist die Mitte der Gesellschaft? Welche Rolle nimmt die Caritas darin ein? Was ist der Mensch? Wie definiert er sich? Ist der Mensch gut oder böse? Was ist normal? Wie und warum veränderte sich das Menschenbild im Verlauf der Zeiten? Wie ist das Verhältnis von Anspruch und Wirklichkeit? Der Brückenschlag von den frühen Christen bis zur Gegenwart zeigt die Entwicklungsstränge der Caritas und lädt zur Reflexion ein. Wo kommen wir her und wohin gehen wir? Genau das umreißt die Ausstellung. Das Vorwort des begleitenden Katalogs ergänzt: „Wie kann ich ein gutes Leben führen?“.

Wie werden die Werke zur Ausstellung ausgewählt?

Der wissenschaftliche Beirat setzt sich zusammen und berät gemeinsam mit uns, welche Werke interessant sind. Das ist eine Besonderheit des Diözesanmuseum Paderborns. Wir bauen auf interne und externe Kollaborationen basierend auf Teamarbeit. Vorschläge werden gemacht, angenommen oder verworfen. Die Ausstellung entsteht prozesshaft. Die verschiedenen Kompetenzen ergänzen sich hervorragend. Der wissenschaftliche Beirat besteht aus Wissenschaftlern sowie Experten aus anderen Museen im In- und Ausland. Universitäten bringen die neueste Forschung mit ein. Wir suchen vor allem wenig bis noch gar nicht ausgestellte Werke. Dadurch „zwingen“ wir Wissenschaftler in unser Museum und mehren Wissen.

Der umfängliche Katalog erfüllt wissenschaftlichen Anspruch. Er gibt die neueste Forschung verständlich wieder. Die Beiträge schrieben hauptsächlich Wissenschaftler und Leihgeber der Werke. Von uns stammen wenige Texte. Wir übernahmen die Katalogredaktion.

Was war die größte Herausforderung?

Wir wollten die institutionalisierte Nächstenliebe im Diakonat darstellen. Dazu bot sich eine Marmortafel mit inschriftlicher Nennung eines Xenodochiums (Kat. Nr. 28) an. Xenodochien „sind Herbergen, die Ortsfremden und Armen ein Obdach kostenlos anboten“ (Caritas-Kat., S. 411). Ich kannte die Marmortafel aus der Literatur, nicht aber ihren Aufbewahrungsort in Rom. Denn nachdem man sie 1951 entdeckt hatte, verschwand sie in eines der zahlreichen römischen Magazine. Sie aufzuspüren bedeutete Detektivarbeit für die Kollegen vor Ort. Wir fanden sie. Trotzdem war nicht gesichert, ob wir sie zeigen können, weil sie vor ihrer Präsentation noch restauriert werden musste.

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Detektivarbeit: Aufspüren des Xenodochiums (rechts oben)

Gab es Werke, die Sie nicht erhielten? Wenn ja, warum?

Ja, das kommt immer wieder vorher. Gleichzeitig überraschten uns unverhoffte Zusagen. Häufiger Grund für eine Absage ist der konservatorische Zustand des Werkes. Bei Handschriften sind, nachdem sie einmal ausgestellt wurden, mehrjährige Sperrfristen zu ihren Schutz einzuhalten. Diese variieren zwischen drei und fünf Jahren. Wenn wir Pech haben, trifft das auf das angefragte Werk zu.

Gibt es Auflagen seitens der Leihgeber?

Ja. Wir müssen bestimmte Sicherheitsauflagen erfüllen. Die Auflagen beziehen sich auf das Material der Präsentationsform, die Dicke des Glases, die Lux-Anzahl sowie die Versicherungshöhe des Werkes. Wenn eine Handschrift ein Mal während der Ausstellung umzublättern ist, müssen wir die Modalitäten vorher mit dem Leihgeber abklären. Es gibt vieles im Leihverkehr zu bedenken.

Wie viel Prozent der ausgestellten Objekte ließen Sie vorher restaurieren?

Zwei bis fünf Prozent der Werke restaurierten wir auf unsere Kosten. Ich sehe das sehr positiv. Wir leisten so einen sehr wertvollen Beitrag zur Konservierung der Werke. Gleichzeitig befördert die Restaurierung neue wissenschaftliche Erkenntnisse oder löst tiefergehende Untersuchungen aus.

Gibt es etwas, was Sie in der Ausstellung noch ändern möchten?

Ja. Die Präsentation des barmherzigen Samariters von Erich Heckel (Kat. Nr. 159) vor der Schützengrabensituation werden wir ändern. Die Szenografie soll das Unerhörte, das passiert, darlegen. Die Tötungsmaschinerie im Krieg stellt eine Zäsur dar. Das Antlitz des Toten im Schützengraben soll in den Hintergrund treten. Hierzu werden wir die Beleuchtung ändern. Uns geht es um die Botschaft, nicht um die realistische Darstellung des Todes. Solche Unstimmigkeiten zeigen sich erst nach Ausstellungseröffnung, wenn die große Hektik der Endphase vorüber ist.

Wie finanzieren Sie Sonderausstellungen?

Für Sonderausstellungen erhalten wir ein Extra-Budget seitens der Diözese. Sie deckt die Hälfte der Kosten, die andere Hälfte stammt aus Drittmitteln (Sponsoren und Stiftungen). Davon beauftragen wir Restaurierungen oder setzen neue Vermittlungsmethoden um – Stichwort: Inklusion, Barrierefreiheit sowie digitale Kulturvermittlung.

Seit wann organisiert das Diözesanmuseum Paderborn Sonderausstellungen?

Das Diözesanmuseum Paderborn (gegründet 1853) organisiert vor allem unter dem aktuellen Museumsdirektor Prof. Dr. Christof Stiegemann Sonderausstellungen, seit 1999 auch größere.

Was ist ihr Lieblingswerk?

Puh … das ist schwer zu beantworten: das „Hohelied der Liebe“ im 1. Korintherbrief des Apostels Paulus (Kat. Nr. 1) – er definiert für mich die Nächstenliebe – und die Arbeit „Observance“ von Bill Viola (Kat. Nr. 179). Als ich diese in Bern zuerst sah, war klar, ich muss sie in der Caritas Ausstellung zeigen. Ihre Emotionalität berührt. Der Podcaster @BrankoCarnak von „Wasserdrachen“ interviewte hierzu ebenfalls Frau Dr. Ruhmann. Sein Podcast dazu dürfte in Kürze erscheinen.

Lieben Dank, Frau Dr. Ruhmann, für das sympathische Interview! Ich gebe Ihre Antworten hier in freier Weise wieder.

Infos

Diözesanmuseum Paderborn
Öffnungszeiten:
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr
Montag geschlossen
erster Freitag im Monat bis 20.00 Uhr
Anschrift
Erzbischöfliches Diözesanmuseum und Domschatzkammer
Markt 17 · 33098 Paderborn
T +49 (0) 5251 125-1400
T +49 (0) 5251 125-1403 (Museumskasse)
Fax +49 (0) 5251 125-1495
www.dioezesanmuseum-paderborn.de

Lesetipps zur Caritas Ausstellung:


==>Der Beitrag entstand im Zuge der Bloggerreise #pbkleiner3, die vom Diözesanmuseum und der Touristeninformation Paderborn finanziert wurde. Der Post spiegelt meine persönliche Sicht auf die Ausstellung wider.


11 Kommentare

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  5. Liebe Tanja,
    schön, dass du bei der Reise dabei warst!
    Herzlichen Dank auch für dieses Interview, welches noch einmal einen ganz anderen Blick auf diese Ausstellung gewährt. Gerade auch spannend für Leute wie mich, die nicht so tief in dem Kunstsektor drinstecken. Oft ist einem als Museumsbesucher gar nicht bewusst, welche Mühen und Schritte unternommen werden (mussten), damit die Ausstellung am Ende tatsächlich steht. Danke hierfür!
    Liebe Grüße, Kristine

    • Tanja Praske

      Liebe Kristine,

      danke für die Einladung zur Bloggerreise #pbkleiner3! Ich war sehr gerne dabei und es hat mir prima gefallen. Die Idee zum Interview kam im Zug nach Paderborn auf. Während der Fahrt notierte ich mir fleißig Fragen. Ich dachte dabei an meine Leser – wie kann ich mein Interesse mit Ihnen verbinden? Ein bisschen egoistisch, ich weiß. Die Museumsfrau in mir gewann.

      Somit werdet ihr sehr unterschiedliche Beiträge erhalten von @tinowa, @Teilzeitreisen, @BrankoCanak und das ist doch das Spannende an einer Bloggerreise.

      Es freut mich, wenn dir die Hintergründe nochmals anders die Augen für die Caritas-Ausstellung öffneten!

      Herzliche Grüße,
      Tanja

  6. Liebe Tanja,

    ein guter Einblick in die Hintergründe der Ausstellung. Auch wenn ich persönlich nur schwer einen Zugang zu dem Thema finde, ist es interessant durch das Interview mehr darüber zu erfahren.
    Als ich die Ausstellungsbesichtigung auf Twitter mitverfolgt habe, hat mich überrascht, dass auch hier wieder Vorgaben von Leihgebern die Abbildung bestimmter Exponate verhindern. Bei zeitgenössischer Kunst ist man es mittlerweile gewohnt – bei historischen Objekten fragt man sich aber wirklich, wozu das gut sein soll.

    Viele Grüße
    Angelika

    • Tanja Praske

      Liebe Angelika,

      nun, als ich von der Bloggerreise hörte, war ich sofort sehr angetan davon, die Mediävistin freute sich. Vor über vier Jahren war das Mittelalter meine Spielwiese und zwar nicht deshalb, weil ich ein so gläubiger Mensch bin, sondern weil mich das Gedankengut, die Philosophie und das Ränkespiel faszinierten.

      Besonders die Ausdrucksform in der Kunst fand ich spannend. Tja, habe nicht umsonst über die skulpturale Präsentation eines geheiligten Königs promoviert. Wer mir das aber zu Beginn des Studiums gesagt hätte, den hätte ich ausgelacht. War tatsächlich nicht meine Absicht.

      Gut. Bildrechte sind immer ein leidiges Thema, da stimme ich dir zu. Hier ging es mal wieder ums Eigentumsrecht oder war es das Besitzrecht? Auf jeden Fall bestimmt der Eigentümer, was mit dem Bild geschieht. Wenn er es nicht abgelichtet haben möchte, dann ist das zu akzeptieren, andernfalls verleiht er es nicht. Ob wir es mögen oder nicht, wir müssen das so hinnehmen. Das sage ich jetzt mal ganz pragmatisch. Mir hatte schon bei der #bsgauguireise15 gefallen, dass die Fondation Beyerle mit Leihvertrag die Bildrechte auch für Blogger abgeklärt hat. Auch hier gab es Bilder, die wir nicht fotografieren durften – c’est la vie! Ich begrüße das keineswegs, akzeptiere es aber.

      Jedoch habe ich meine Schwierigkeiten damit, wenn der Leihgeber eine öffentliche Institution sprich ein Museum ist. Und wozu das generell gut ist? Tja, das frage ich mich auch.

      Yep, eine hinlänglich unzulängliche Praxis.

      Herzlich,
      Tanja

    • Mir ging es ähnlich. Ich dachte zunächst, das Thema passt gar nicht. Letztlich ist es für mich weniger das Ausstellungsthema als andere Aspekte, an die ich sehr gut anschliessen konnte, wie das ewige Fotografie-Verbot, ältere Museumsbesucher/innen, Vermitlung für Menschen mit Einschränkungen und lokale Kooperationen. Das sind Themen, die generell für Museen und Bildungsarbeit relevant sind.

      Zudem gefällt mir der Gedanke, Museen zu unterstützen, die noch wenig via Twitter etc. wahrgenommen werden, sich aber anstrengen dort via Blog und Twitteraccount sichtbar zu sein. Ich fand auch spannend, dass Podcaster/innen und Blogger/innen eingeladen waren.

      • Tanja Praske

        Liebe Tine,

        es kam ja schon während #pbkleiner3 heraus, dass es einige Blogger gibt, die mit dem Thema der Caritas gar nichts anfangen können. Um so besser finde ich es, dass ihr dabei ward, wohl getrieben von der Neugier.

        Mir ergeht es ähnlich wie dir, ich unterstütze gerne Museen, die einfach versuchen via Blog und Twitter auf sich aufmerksam zu machen. Wenn das wirklich zur Community Building genutzt wird und zwar authentisch, helfe ich gerne. Nun, der Twitter-Account ist recht aktiv, der Facebook-Account ließe sich optimieren und was mit dem Blog passiert, wird sich zeigen. Schön wäre es, sie behielten ihn als Vermittlungsinstrument bei.

        Was hinsichtlich Inklusion und barrierefreies Museum vom Diözesanmuseum Paderborn geleistet wird, gefällt mir. Man merkte auch Frau Ruhmann an, dass sie gerne diese neuen Wege gehen und darin wünsche ich Ihnen viel Erfolg. So kann ein Museum integrativer und vermittelnder Bestandteil der Gesellschaft werden.

        Alles Gute,
        Tanja

        • @DioezMuseum_PB

          Hallo zusammen,

          vielen Dank für die rege Disskussion und eure Meinungen zu der Caritas-Ausstellung und ihren ersten Schritten im „community building“. Wir vom twitter-account finden es wichtig, dass die Themen der Ausstellung im Netz disskutiert werden. Wir freuen uns, dass wir so viel positiven Zuspruch finden und uns immer mehr mit Bloggern vernetzen. Das Format der Bloggerreise fanden wir super spannend, hatten viel Freude dabei und haben sehr viel dabei gelernt! Wir freuen uns weiterhin über Tipps, Wünsche und Anregungen von euch!

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