#Shrigpin – ein irres Tweetup in der Pinakothek der Moderne

… voll und ganz irre war das, was da am 5. April 2014 in der Pinakothek der Moderne passierte. Ein Tweetup der besonderen Art erwartete uns Twitterati. Es brach mit dem klassischen Format der Tweetups. Nur das physisch bilderlose #outofblue kam nahe an #shrigpin heran und war doch anders. #Shrigpin zusammengefasst: Skulptur – Künstler – Fotoverbot – Zeichner – Twitterati – Zerstörung. Jetzt wisst ihr Bescheid, oder?

Der Künstler David Shrigley empfängt die Twitterer von #shrigpin in den Pinakotheken.

David Shrigley empfängt die Twitter-Meute zu #shrigpin in den Pinakotheken – ein cooler Künstler!



 
Nun, wer im Vorfeld darüber gelesen hat, das Tweetup verfolgte oder/und die Blogposts danach wahrnahm, der ist informiert, was das Besondere an #shrigpin war. Trotzdem für alle noch einmal eine Kurzfassung des Events:

Ablauf von #Shrigpin:

  • Dauer: 60 Minuten
  • Keine Führung, nur Einweisung, was uns erwartete
  • Das Gebot der Stunde: NO PHOTOS!
  • Geheimer Raum mit Secret Sculpture, Zeichnern und Twitterati
  • Highlight: Der Künstler David Shrigley war dabei – yeah!
  • Der obskure Hashtag setzt sich zusammen aus „Shrig“ für Shrigley und „pin“ für Pinakothek

Hier die Einstimmung vom Künstler David Shrigley und vom Kurator Bernhard Schwenk:

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#Shrigpin: eine Skultpur und viele Assoziationen

Es gab zwar eine Skulptur, aber viele Assoziationen zu dieser. Ob Männlein oder Weiblein, wurde unterschiedlich beantwortet. Wir sahen ein weißes Skelett mit weißer Wuschelfrisur und kohlrabenschwarzen Augen, den Mund leicht geöffnet mit Hang zum Verkniffenen. Lässig im angedeuteten Kontrapost stehend ließ sie Raum für Illusionen. Tatsächlich ging es dem Künstler wohl kaum um die Skulptur an sich, mit der er zeichnerisch zwei Wochen gerungen hatte, bevor sie sich uns in voller, labiler Pracht vorstellte, oder etwa doch? Sie hielt genügend Kontraste und Irritationen für uns parat: kecke Pose vs. Steifheit oder plumpe Knochen vs. graziele Gestik. Der seltsam proportionierte Körperbau mit dem breiten Oberkörper und der schmalen Hüfte resultierte definitiv nicht aus der Aufstellungshöhe; anders als dies der Fall bei mittelalterlichen Skulpturen ist, bei denen diese die Komposition bestimmte.

Der Bildhauer Adrian de Vries (siehe mein Blogstöckchen über die 20 Dinge) hätte den Künstler garantiert nach Hause geschickt, während er bei Claus Sluter sicherlich kaum als Steinträger zum Zuge gekommen wäre. Wenngleich auch die Propheten vom Mosesbrunnen Sluters in Dijon scheinbar unproportioniert wirken. Aber das hieße jetzt Äpfel mit Birnen zu vergleichen und führt hier kaum weiter. Gleichwohl hätten sich die drei Künstler prima über ein gemeinsames Thema unterhalten können: Wie übermittelt die Skulptur die angestrebte Botschaft? Wird sie tatsächlich vom Betrachter so wahrgenommen? Die Antworten wären sicherlich sehr unterschiedlich ausgefallen.

Vergänglich, zerstört und doch überliefert

Das Motiv des Memento Mori, der Vergänglichkeit bzw. Sterblichkeit des menschlichen Daseins, lässt sich nicht von der „skelettierten“ Hand der Skulptur Shrigleys weisen. Die Figur vergeht. Am Dienstag, 8. April 2014 wurde sie zerstört. Das war von Anfang an der Plan. Überliefert ist sie einzig allein durch Zeichnungen und Berichte der wenigen Besucher, darunter wir Twitterati. Uns ließ das Team der Pinakthek vor in den geheimen Raum mit der „Secret Sculpture“. Zeichner allen Alters, darunter eine Phantomzeichnerin und ein Gerichtszeichner, hielten sie zeichnerisch fest. Das Medium ist für den Künstler Shrigley elementar. Auch hier frage ich mich, sahen wir alle dasselbe? Die Zeichnungen reproduzieren nicht, sondern interpretieren und emotionalisieren sehr variantenreich. Die Atmosphäre, die Aura um die Skulptur im geheimen Raum, setzte künstlerischen Schöpfergeist frei. Schaut euch einfach die Ausstellung „David Shrigley. Drawing“ in der Pinakothek der Moderne an. Diese ist seit heute eröffnet. Die Pinakothek erwartet 40.000 bis 60.000 Besucher. Ich werde sie mir ganz bestimmt ansehen, das Tweetup weckte meine Neugier.

David Shrigley beobachtet die twitternde Meute mit großem Abstand. Tweetup, Pinakotheken.

Lauter gesenkte Köpfe, twitternd und beobachtet vom Künstler Shrigley. Spricht der Abstand für sich? Tweetup #shrigpin, Pinakotheken.

Auswahl von Skizzen der "Secret Sculpture" von David Shrigley, Tweetup #shrigpin, Pinakotheken.

Na, alles klar, wie die „Secret Sculpture“ von David Shrigley aussah? Tweetup #shrigpin, Pinakotheken.

Warum ein irres Tweetup?

Weil uns nichts vor die Nase gesetzt wurde mit ausschweifenden Erläuterungen. Weil der Raum mit der Skulptur eine eigenartige Stimmung erzeugte. Wir waren auf uns selbst zurück geworfen – auf uns und auf die Skulptur. Die Reihenfolge müsste eigentlich anders herum lauten, ist sie aber nicht. Die einzigen Geräusche bestanden im Gekratze der Zeichenstifte sowie im Geflüster sich anbahnender Gespräche zwischen Twitterati und Zeichner. Irgendwie wirkte alles surreal auf mich. Als Kunsthistorikerin blende ich das zunächst aus, konzentriere mich auf die Skulptur, analysiere sie, bevor mich die Realität wieder einholt. Bewusst setzte ich mich mit dem Künstler vorher nicht auseinander, weil ich mich einmal ohne den kunsthistorischen Wissensballast ganz unbedarft auf das Werk einlassen wollte. Ich gestehe, mich ergriff mehr die Atmosphäre im Raum als die Skulptur. Schnell verschwamm mein analytisches Sehen, denn tatsächlich gab es nicht viel zu sehen. Stattdessen kamen Erinnerungen aus meiner Studizeit hoch: Bilderfetzen wie ich Skulpturen analysiere, wie mich die Aura des Wunderbaren einfängt. Genau diese hat mich im verbotenen Raum erwischt und das Wissen, eine von wenigen zu sein, die die „Secret Sculpture“ in realita sahen.

Was bleibt mir nachhaltig in Erinnerung?

Der Künstler, wie er eingerahmt von Beckenknochen und Rippenbögen seines weißen Skeletts auf sein Smartphone blickend vor mir steht, brannte sich mir ein. Wie ich später erfuhr, checkte er gerade die Fußballergebnisse. Surreal, banal oder einfach nur irre?

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Hinweis – Lookbook, Tweetup-Formate und #scmuc14

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6 Kommentare

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  4. Danke für diesen sehr anschaulichen, intensiven und gedankenreichen Bericht über ein offensichtlich sehr gelungenes tweetup. Ich habe Shrigley erst vor Kurzem entdeckt, mag ihn sehr, fühle mich gerade in Hamburg weit weg und bin deshalb sehr dankbar, dass ich zumindest vermittelt von diesem Event erfahre – bei dir sogar ein wenig alles miterleben kann. Im Einstimmungsfilm hat mir übrigens am besten gefallen, wie Shrigley sein Handy aus der Plastiktüte zieht…

    • Tanja Praske

      Hi Nicola,

      schön, dass du das #shripin digital miterlebt hast und ich dir hier noch Stoff zum Nacherleben geboten habe. Das freut mich sehr. Tatsächlich habe ich diesen Post sehr gerne geschrieben, die Bilder vom Tweetup sind mir noch immer unmittelbar präsent.

      Der Künstler ist schon eine coole Socke. Oft stand er abseits der Gruppe und beobachtete uns distanziert, amüsiert. Vielleicht belächelte er uns auch insgeheim, wenn er nicht gerade Fußballergebnisse checkte ;-). Der Post von Barbara Hiller von Schreibstoff (s. Pingback) vermittelt nochmals eine andere Seite des Geschehens. Bezeichnend für dieses skurrile Tweetup ist, dass die bisherigen Blogposts absolut verschieden sind, unterschiedliche Wahrnehmungen dokumentieren. Gerade das finde ich äußerst spannend! Dagegen mutete die heutige Berichterstattung im Feuilleton der SZ recht langweilig an. Natürlich lässt es sich einfacher von Besuchern als von Twitterati sprechen – scheinbar…

      Merci für deinen Besuch bei mir, auf das noch viele weitere folgen mögen :-)

      Wünsche Dir ein schönes Wochenende!

      Herzlich,
      Tanja

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